„Wir mussten was Verrücktes tun“

von Günther Jakobsen14:02 Uhr | 22.06.2007

55 Millionen Euro hat der FC Bayern heuer für Spieler ausgegeben – ein neues Kapitel in der Vereinsgeschichte. Vizepräsident Prof. Der von unserem Kollegen Johannes Scharnbeck aus der 11Freunde-Online-Redaktion interviewte Fritz Scherer war Zeuge vieler Metamorphosen, die immer wieder nur eines hervorbrachten: Den FC Bayern selbst.

Der FC Bayern München hat die besten Spieler unter Vertrag, erzielt den größten Umsatz und ist der reichste Klub in Deutschland. Wie konnte der Verein zur nationalen Nummer eins aufsteigen?

Wir stellten bis Mitte der Siebziger Jahre die dominierende Mannschaft in der Bundesliga, mit mehreren Meisterschaftstiteln und drei Siegen im Europapokal der Landesmeister. Dann folgte ein Einbruch, die vielen Erfolge wurden zur Selbstverständlichkeit, Franz Beckenbauer verließ den Verein, und andere wichtige Spieler beendeten ihre Karriere. Und als Uli Hoeneß als Manager und ich als Schatzmeister 1979 anfingen, hatten wir für die damalige Zeit extrem hohe Verbindlichkeiten. Unsere Schulden waren so hoch und Gott sei Dank der Öffentlichkeit nicht bekannt. Wir hatten uns damals jedoch geschworen, dass wir den Verein aus eigener Kraft an die Spitze führen wollen. Wir haben keine Kredite aufgenommen und Spieler nie aus Fremdmitteln finanziert. Das war unser eisernes Prinzip und das haben wir bis heute durchgehalten.

Gab es Momente, an denen es Ihnen besonders schwer fiel, dieses Prinzip einzuhalten?

Nein, denn wir waren uns in der Führungsebene immer alle einig. Wir haben uns immer gesagt: Warum sollen wir dieses Risiko eingehen? Wir haften für die Zukunft dieses Vereins. Unser Vorteil war damals auch, dass wir sehr viele deutsche, sehr viele bayerische Spieler im Kader hatten, die voll hinter dem Klub standen und die stolz waren, für Bayern München zu spielen. Und als sich der Erfolg dann eingestellt hatte, bekamen wir plötzlich in der Werbung und im Sponsoring viel mehr Aufmerksamkeit. So konnten wir dann wirklich beginnen, etwas aufzubauen im Verein.

Dann ist die Prinzipientreue die größte Stärke des FC Bayern?

Ja, auf jeden Fall. Natürlich hatten wir auch das Glück, dass viele gute Spieler aus der Jugend dem Verein große Erfolge beschert haben. Und so konnten wir uns nach und nach von den Verbindlichkeiten befreien und sogar soviel Geld ansammeln, dass wir auch ein oder zwei schlechte Jahre relativ schadlos überstanden hätten.

Mehr als zwei enttäuschende Jahre hätte sich der FC Bayern nicht leisten können?

Doch, doch. Viel besser kam es für den Verein dann Anfang der Neunziger Jahre. Durch den Einstieg des Free-TV erhielten wir genug Geld, um wirklich sicher arbeiten zu können. Überhaupt waren die steigenden Fernseheinnahmen ein Meilenstein der Kommerzialisierung des deutschen Fußballs. Früher gab es für 18 Bundesligavereine insgesamt gerade einmal 14 Millionen D-Mark an Fernsehgeldern. Wenn wir nur 500.000 D-Mark mehr wollten, erhielten wir als Antwort: Dann gibt es am Samstag halt einen schwarzen Bildschirm und es wird etwas anderes als Fußball gezeigt. Damals hatten wir keine Chance, etwas herauszuholen. Durch den Einstieg des Free-TV erhielten wir zusätzliches Geld. Darüber hinaus, wurde der Fußball von den Privatsendern extrem gepusht, verbreitet und vermarktet. Durch die große Fernsehpräsenz kamen dann immer mehr Sponsoren zu den Vereinen. Die Kommerzialisierung hat sich natürlich sehr extrem entwickelt: Iveco, unser Trikotsponsor 1979, zahlte uns insgesamt 300.000 D-Mark, der Vertrag mit Commodore belief sich auf drei Millionen D-Mark, Opel zahlte 5 Millionen und heute mit T-Com sind es noch einmal ganz andere Dimensionen, dafür sind die Spielbetriebskosten bei uns heute auch umso höher, als sie es damals waren.

Merken die Spieler, dass sie für die Vereine immer wichtiger werden?

Natürlich, besonders die Agenten. Es gibt ja mittlerweile keinen Spieler, der nicht einen Berater hat, der ihm das blaue vom Himmel verspricht. Die Agenten versuchen natürlich, die Klubs gegeneinander auszuspielen. Aber es ist ja auch ihre Aufgabe, das Beste für ihren Klienten herauszuholen. Andererseits müssen sie ebenfalls schauen, ob es wirklich besser für einen Fußballer ist, wenn er nur zu dem Verein wechselt, der ihm hunderttausend Euro mehr überweist.

In Deutschland weiß jeder Spieler, bei keinem Klub geht es mir besser als beim FC Bayern. International sieht es dagegen ganz anders aus.

Natürlich zahlen die großen Vereine aus England, Spanien und Italien deutlich mehr. Außerdem kommt noch hinzu – jetzt muss ich aufpassen, dass es mir nicht negativ ausgelegt wird: Es ist nicht der größte Traum eines südländischen Nationalspielers, in Deutschland zu spielen. Das ist eine ganz normale Mentalitätsfrage, vollkommen verständlich.

Kann der FC Bayern im internationalen Wettstreit um die besten Spieler damit punkten, ein absolut seriös geführter Verein zu sein?

Ja, das hoffen wir. Mit Luca Toni haben wir jetzt ja einen Stürmer unter Vertrag genommen, der auch zwei sehr lukrative Angebote von italienischen Spitzenklubs hatte. Es hat ihn dann doch mehr gereizt, bei uns zu spielen. Denn in den vergangenen Jahrzehnten haben wir uns in Europa einen guten Namen gemacht.

Mit den Verpflichtungen von Toni und Ribéry ist der FC Bayern in die Sphären seiner ausländischen Konkurrenten vorgedrungen. Musste sich der Verein einfach den internationalen Entwicklungen anpassen, obwohl die Klubführung in der Vergangenheit immer wieder betont hatte, dass sie den Transferwahnsinn eigentlich nicht mitmachen wollte?

Schon Anfang der Neunziger hatten wir gesagt, dass dieses System der Rekordsummen zusammenbrechen wird, auch zehn Jahre später waren wir davon überzeugt. Es ist jedoch nicht eingetreten, weil gleichzeitig die Einnahmenseite explodiert ist. Worin wir uns bei unseren Transfers im Gegensatz zu den anderen Großklubs aber unterscheiden: Wir finanzieren die Wechsel aus eigener Kraft. Wir haben so viele Rücklagen angehäuft, dass wir auch in einer Situation handeln können, in der wir mal etwas Verrücktes tun müssen.

Es ist also „etwas Verrücktes“, mehr als 55 Millionen für Transfers aus der Schatulle zu holen.

Wir geben jetzt zwar sehr viel Geld aus, aber wir verschulden uns nicht. Auch wenn die nächste Saison nicht so gut laufen sollte, werden wir im nächsten und übernächsten Jahr unseren Verpflichtungen gegenüber den Spielern nachkommen können. Solang die Gruppe aus der Führungsetage des Vereins, die schon seit mehr als 20 Jahren gemeinsam arbeitet, zusammenbleibt, werden wir nie eine Grenze erreichen, an der es für den FC Bayern ganz gefährlich wird. Wir haben im Hintergrund als positive Absicherung noch unser neues Stadion. Da allerdings unser Partner ausgeschieden ist, müssen wir für die Arena innerhalb von 25 Jahren allein 340 Millionen Euro an Zins und Tilgung aufbringen. Deshalb würden wir nie all unser Geld nur für Spieler ausgeben. Auf der anderen Seite braucht man eine attraktive Mannschaft, denn wir müssen unseren Zuschauern ja auch etwas bieten. Besonders dem Publikum in den Business-Logen, denn dieser Bereich beschert uns sehr hohe Einnahmen. Wir haben eine Verpflichtung gegenüber unseren Besuchern.

Dann gewinnen die Zuschauereinnahmen durch die VIP-Logen an Bedeutung?

Oh ja. Durch die Businessseats und VIP-Logen kommt den Kartenverkäufen eine höhere Bedeutung hinzu. Der Anteil entspricht jedoch nicht mehr den damaligen Verhältnissen. Im Jahr 1979 lag der Anteil beispielsweise bei 90 Prozent.

Ist es nicht ein unmöglicher Spagat für den Verein, VIP-Besucher und den Fan in der Kurve gleichermaßen zufrieden zu stellen?

Nein, ganz im Gegenteil. Natürlich gibt es extreme Fangruppen, die gegen Kommerzialisierung sind und trotzdem für die Jahreskarte nur 50 Euro bezahlen wollen und dann aber attraktive Spiele und Spieler erwarten. Der FC Bayern erhebt für die Sozialtickets die billigsten Preise in der Bundesliga, aber auch das geht nur, wenn andere Einnahmen diese günstigen Plätze mitfinanzieren. Und wenn diese Gruppen wirklich so interessiert am reinen Fußball wären, würden sie doch jede Woche zu unseren Amateuren gehen. Aber das tun sie ja auch nicht.

Auch in der Fanarbeit war der FC Bayern der erste Klub, der mit Raimond Aumann einen Fanbeauftragten einstellte. Können Sie die stetig zunehmende Professionalisierung innerhalb des Vereins an bestimmten Ereignissen belegen?

In dieser Beziehung waren wir schon immer Vorreiter. Der damalige Präsident, Wilhelm Neudecker, hat als erster in der Bundesliga diesen Posten besetzt und auch die gesamte Struktur des Vereins geändert. Er nahm dabei eine sehr dominante Rolle ein. Nach seiner Ablösung als Präsident haben sein Nachfolger Willi Hoffmann und ich als Schatzmeister dem Präsidum sowie dem neuen hauptamtlichen Manager Uli Hoeneß und dem hauptamtlichen Geschäftsführer Karl Hopfner die Verantwortung und Entscheidungsbefugnis übertragen. Mit zunehmender Geschäftstätigkeit und den Plänen für einen Stadionneubau zeigte sich, dass ein ehrenamtliches Präsidium zeitlich nicht mehr in der Lage ist, die volle Verantwortung zu übernehmen. Daher haben wir im Verein eine Aufspaltung vorgenommen und den Fußballlizensbetrieb auf eine Aktiengesellschaft mit hauptamtlichen Vorstand und einem Aufsichtsrat übertragen. Dadurch könnten wir absolut professionell und abgesichert arbeiten.

Die wichtigen Leute in der Führungsebene bei Bayern München arbeiten schon seit mehr als 20 Jahren zusammen. Ist diese verschworene Gemeinschaft der Hauptgrund dafür, dass den Verein noch nicht der Größenwahn gepackt hat?

Ja, es macht schon sehr viel aus. Außerdem haben viele aus dem Verantwortungsbereich auch durch ihre Spielerkarriere eine ganz besondere, enge Verbindung zum Verein. Natürlich wird bei uns auch kontrovers diskutiert, haben wir besprechen uns immer so lange, bis wir eine einheitliche Entscheidung getroffen haben. Ohne Zweifel hatten wir alle nicht immer die gleiche Auffassung. Aber am Ende musste jeder den Beschluss vertreten können.

1978 revoltierten die Bayern-Spieler um Paul Breitner und Sepp Maier gegen den Präsidenten Neudecker. Sie protestierten gegen die Verpflichtung Max Merkels als neuen Trainer und wollten nur unter dem damaligen Co-Trainer Pal Csernai weiterarbeiten. Die Spieler setzten sich durch und gewannen den Machtkampf gegen die Klubführung – in der heutigen Zeit eine vollkommen unrealistische Situation.

Die Spieler haben vehement den Trainer gefordert, mit dem sie sich eine erfolgreiche Zusammenarbeit vorstellen konnten. Heute haben die Profis diesen Einfluss nicht mehr. Die Mannschaften sind aber auch nicht mehr solch verschworene Gemeinschaften wie früher. Heute setzen sich die Kader aus vielen internationalen Spielern zusammen – und bei den Profis steht der Verein auch nicht mehr so sehr im Vordergrund. Der Klub ist ihre Einnahmensquelle und gibt ihnen Möglichkeit, persönlich Erfolge zu feiern. Alle wollen gewinnen und sie die Aufmerksamkeit in Europa und ihrem Heimatland auf sich lenken.

Wie gefährlich ist es für die Vereine, eine internationale Mannschaft ohne Zusammengehörigkeitsgefühl und eine eigene Identität zu haben?

Man muss sicherlich aufpassen. Aber der Spieler will ja nicht nur Geld verdienen, sondern auch etwas erreichen. So glaube ich, dass die elf Profis, die dann auf dem Feld stehen, auch alle das gleiche Ziel haben.

Bedeutende Spieler wie Scholl und Kahn, die die Identität des Vereins stark geprägt haben, haben ihre Karriere schon beendet oder werden sie nach der nächsten Saison beenden. Steht der FC Bayern vor einem schwierigen Umbruch?

Natürlich müssen wir uns bemühen, neue Spieler aufzubauen, mit denen sich die Leute identifizieren können. Aber das ist sehr schwierig geworden. Mehmet und Oliver sind derzeit die letzten Profis, mit denen der FC Bayern stark verbunden wird. Aber wenn unsere Eigengewächse Philipp Lahm und Basti Schweinsteiger bei uns bleiben, können sie einen ähnlichen Status erreichen wie frühere Identifikationsfiguren. Bei einem internationalen Spieler kann ich mir das schlecht vorstellen.

Sind Scholl und Kahn Kandidaten für eine Position im operativen Geschäft des Vereins?

Die Zielsetzung ist der Erfolg. Wenn ein ehemaliger Spieler Leistung bringt, dann bieten wir ihm eine entsprechende Position an. So wird besipielsweise Mehmet Scholl zunächst im Nachwuchsbereich des FC Bayern arbeiten. Und dann schauen wir mal, wie er sich entwickelt. Wenn er die entsprechenden Fähigkeiten unter Beweis stellt, sind weitere Aufstiegsmöglichkeiten nicht ausgeschlossen.

Pierre Littbarski datiert den Moment, an dem die Bayern der Bundesligakonkurrenz meilenweit enteilt sind, auf den 25. Mai 1989. Damals gewann der FC Bayern in Köln mit 3:1, sicherte sich die Meisterschaft und hielt die Konkurrenten auf Distanz.

Von einer Partie hängt das nicht ab. In einem Spiel kann viel gewinnen, aber auch viel verlieren. Denken Sie doch daran, wie wir in den Finals im Europapokal der Landesmeister gegen Aston Villa und Porto verloren haben und trotzdem wieder aufgestanden sind. In Köln 1989 hatte die verschworene Truppe um Augenthaler und Kögl alles gegeben, um für den Verein, für Uli Hoeneß und gegen Christoph Daum, ein Zeichen zu setzen. Aber dieses Spiel war nicht der entscheidende Faktor für unsere folgende Dominanz.

Muss der FC Bayern bei möglichen Sponsoren noch für sich werben oder rennen Ihnen die Geldgeber die Türen ein?

Wir müssen auch etwas tun. Aber wir verfolgen die Philosophie, mit wenigen potenten Sponsoren zusammenzuarbeiten, um denen dann möglichst viel zu bieten. Um solche Unternehmen ins Boot zu holen, muss man natürlich auch viel tun.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Bundesliga?

Ich hoffe, dass der deutsche Fußball wieder stärker wird, dass auch andere Vereine außer dem FC Bayern in den europäischen Pokalwettbewerben länger dabei bleiben. Denn wir brauchen die anderen Mannschaften in Deutschland auch. Wir können ja nicht mit zehn Vereinen eine eigene Liga bilden.

Nationale Konkurrenz ist also sehr erwünscht.

Natürlich. Aber unsere Titelkonkurrenten beschweren sich auch nicht, dass wir jetzt so aufgerüstet haben. Im Gegenteil. Ich habe mit Kollegen aus Hamburg und Schalke gesprochen, und sie haben mir gesagt, dass die Transfers von Ribéry und Toni ein Zeichen für andere Spieler ist: Die Bundesliga ist attraktiv. Außerdem füllen wir mit unserer Mannschaft jedes Stadion – denn jede andere Mannschaft könnte uns ja trotz aller Stars besiegen.

Johannes Scharnbeck

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Den Ballon d' Or kann man nicht mehr ernst nehmen. Das ist eine Veranstaltung, wo Leute nur noch ihre Freunde wählen.

— Johan Cruyff