Im zweiten Teil des Interviews spricht Franz Roth über den Einfluss von ehemaligen Bayern-Trainern und Mitspielern sowie über wichtige Tore, mit denen er seinen Klub zu internationalen Triumphen führte. Einen Eckpfeiler der FCB-Erfolgsstory sieht er darin, dass der Verein immer starke Führungspersönlichkeiten hatte ...
Gab es auch politische Konfrontationen?
Die gab es auch. Paul Breitner zum Beispiel ist bei einem Hallenturnier in Berlin extra in den Osten gefahren und hat sich eine Mao-Bibel besorgt. Nun war meine Meinung immer, man muss jeden akzeptieren, wie er ist, und wenn er das vertreten will, dann soll er es eben machen. Auch die meisten anderen haben so gedacht. Die Oberen allerdings hat das gewaltig gestört, weil sie gesagt haben, man könne schlecht Mao-Anhänger sein und einen Haufen Kohle verdienen.
Eine sportliche Front war der dauernde Zweikampf mit Mönchengladbach. Bayerns Spielweise galt dabei als sachlicher Gegenentwurf zu den ungestümen Fohlen. Wie haben Sie das empfunden?
Ich denke, wir waren die abgeklärtere Mannschaft, vor allem im direkten Vergleich. Wenn ich mich recht entsinne, hat Gladbach die meisten Prügel von uns bezogen oder uns selten zumindest besiegt. Wir haben die immer stürmen und sie sehr klug kommen lassen, um dann unsere Konter zu fahren. Insofern waren wir sicher die überlegtere Mannschaft.
Nach der WM rannten die Fohlen der Liga allerdings davon, während Bayern in ein tiefes Loch fiel.
Das war aber ja klar. Wir hatten fünf Jahre auf hohem Niveau gespielt, waren vier Mal Deutscher Meister geworden. Nach der WM fanden die Nationalspieler dann erst spät wieder rein, ein neuer Trainer war auch da. Die Spieler werden älter, neue kommen dazu; da ist es doch normal, dass auch die Harmonie irgendwann leidet. Und wenn du dann in der Liga nur noch Zweiter oder Dritter bist, konzentrierst du dich einfach auf den Europapokal.
Der neue Trainer hieß Dettmar Cramer. Was war das für ein Typ?
Der Professor, das sagt alles. Dettmar Cramer war und ist immer noch für mich ein großer Fußballweiser. Eine Institution im Trainerwesen. Der hat dich penibel und komplett auf deinen Gegenspieler eingestellt. Er wusste nicht nur, wie der läuft, sondern auch wie der tickt. Nach dem harten Zebec und dem lockeren Lattek war Dettmar Cramer eher wie ein Vater für uns. Zum Beispiel war ich einmal schwer verletzt. Da kam er zu mir nach Hause und hat mich besucht. Er ist immer sehr besorgt um uns gewesen, was in dem Maße sicher nicht normal ist für einen Trainer.
Die Motivationsprobleme hat er aber auch nicht in den Griff bekommen.
Dafür konnte er nichts. Diese ganze Euphorie, mit der man vorher Berge versetzt hatte und mit der wir drei Mal in Folge Meister geworden waren, die war ganz einfach nicht mehr da. Trotzdem war Cramer ein exzellenter Trainer. Schließlich haben wir zweimal mit ihm den Europapokal gewonnen.
Dann erzählen Sie doch jetzt mal von Ihren Endspieltoren.
Darauf hab ich mir nie etwas eingebildet, im Gegenteil. Schon damals hab ich immer betont, dass ich nur meinen Beitrag zum Erfolg der ganzen Mannschaft gegeben habe. Ich würde niemals behaupten, ich hätte den Europapokal gewonnen, nur weil ich das einzige Tor geschossen hab. Trotzdem war es natürlich wunderschön und bleibt auf ewig eine tolle Erinnerung. In beiden Endspielen waren wir eigentlich Außenseiter, erst gegen Leeds United in Paris, wo ich das 1:0 mache und Gerd dann noch das 2:0 und ein Jahr später denn gegen St. Etienne, wo mir dieser Freistoß gelingt. Gerade darüber haben wir uns besonders gefreut, weil es eben das dritte Mal hintereinander war und wir den Pokal dann dadurch behalten durften. Es gibt nicht viele Mannschaften, die das je geschafft haben, nur Real Madrid, Ajax Amsterdam und der FC Bayern.
Spätestens mit dem Abschied Franz Beckenbauers ging diese Ära aber zu Ende, sogar Abstiegsangst brach zwischenzeitlich aus. Besonders für Sie war 1977 ein scheußliches Jahr.
Allerdings, da ist mir gleich zweimal die Achillessehne gerissen. Schon nach dem ersten Mal war das Thema Bundesliga für mich eigentlich durch. Und als ich mich dann gerade wieder hochgerappelt und ein paar Spiele gemacht hatte, ist sie dann ein zweites Mal gerissen, und das an einer ganz sensiblen Stelle. Eine so aufwändige Operation hatte es noch nie gegeben, glaube ich. Für die Mannschaft war das natürlich eine sehr schwere Zeit. Der Franz hatte in jeder Hinsicht eine Vorbildfunktion und war jetzt der erste, der aus dem alten Stamm wegging. Von Angst um den Klassenerhalt würde ich allerdings trotzdem nicht sprechen. Mag schon sein, dass wir auch kurz mal im Keller hingen, aber dass wir tatsächlich absteigen könnten, das war zu keiner Zeit ein Thema. Es war halt die Phase des Umbruchs. Dettmar Cramer war auch schon im dritten Jahr da, was einige Spieler für sich ausgenutzt haben. Das Ergebnis war diese Nacht-und-Nebel-Aktion mit Eintracht Frankfurt: Cramer gegen Lorant.
Unter Gyula Lorant kam es direkt zu einer massiven taktischen Umstellung. Wie kam das in der Mannschaft an?
Der ganze Trainertausch hat uns überrascht. Ich selbst hab ja auch noch ein paar Mal unter Lorant gespielt und möchte meinen, dass wir relativ schnell begriffen haben, was er meinte. Er hat nicht mehr Mann gegen Mann spielen lassen, sondern die Bahnen verteilt. Natürlich war das anfangs nicht einfach und hat auch Skepsis erzeugt. Auch bei der Auflösung des Liberos haben alle gesagt, das geht doch gar nicht, dass jetzt alle in einer Reihe spielen; es braucht doch eine Absicherung. Aber wenn man sich dann erst mal drauf einstellt, dann funktioniert es auch.
Lange hielt sich Lorant in München nicht. Wer hat die Mannschaft danach dann wieder nach oben geführt: Eher Pal Csernai oder eher Paul Breitner?
Ich meine, Pal Csernai. Paul war natürlich ein großer Leader, keine Frage, und ihn zurückzuholen, war damals auch ungemein wichtig. Aber Csernai muss ein sehr gutes Training gemacht haben. Er hat genau an den richtigen Schrauben gedreht und hat die Beobachtungen, die er als Co-Trainer unter Lorant gemacht hatte, umgesetzt. Dabei hat er Umstellungen vorgenommen, an die Lorant sich nicht herangetraut hatte und lag damit genau richtig. Die Raumdeckung hat er damit sogar noch weiterentwickelt.
Ihre Bayern Karriere endete dann mit einem Wechsel nach Salzburg. Waren die Verletzungen der einzige Grund oder wollten Sie womöglich wie Ihr Kollege Jupp Kapellmann auch nicht von Uli Hoeneß gemanagt werden?
Nein, ich wollte ja unbedingt noch. Für die Bayern hat es nur einfach nicht mehr gereicht und deswegen ging es in dem Moment nur noch um Österreich oder die Schweiz, weil es dort etwas ruhiger zuging und auch das Training nicht so hart war. Zum Glück hat die Sehne gehalten, obwohl ich dort tatsächlich auch noch einen Tritt bekommen habe. Mit dem Uli hatte das daher gar nichts zu tun. Dass mancher ein Problem damit hatte, dass er vom Mitspieler zum Manager wurde, das kann schon sein. Ich glaube, Jupp wollte einfach nicht mit Ulli verhandeln und hat dann gesagt, dann gehe ich lieber weg. Das ist ja auch völlig in Ordnung. Mich hätte das aber nicht gestört.
Der Umbruch von der Beckenbauer- zur Breitner-/Rummenigge-Ära ist schließlich gelungen. War das vielleicht gar die größte Leistung des Jahrzehnts?
Genau das meine ich, ja. Wir hatten diese Situation, dass es erstens nicht mehr harmonierte zweitens Franz Beckenbauer eine Lücke hinterlassen hat. Dann kam erst Paul Breitner zurück, dann wurde Rummenigge Führungsspieler. Und im Grunde ging es immer so weiter, von Sören Lerby über Lothar Matthäus bis zu Stefan Effenberg. Man braucht immer wieder einen oder zwei, die das Spiel sehr stark prägen und die auch den anderen Mal in den Arsch treten. So jemanden immer wieder aufzutun, ist das große Kunststück. Und das ist beim FC Bayern immer geglückt.
Ich bin vom Trainer überzeugt. Er hat bis Sonntag volle Rückendeckung.
— Michael A. Roth, Präsident des 1. FC Nürnberg, über Coach Klaus Augenthaler.