“Drill, bis einer kotzen musste ...” (Teil I)

von Günther Jakobsen13:29 Uhr | 02.01.2009

Während seiner langen Spielerkarriere war es Karl-Heinz Kamp nicht vergönnt, mit Werder einen Titelerfolg zu landen. In seiner Aktiven-Zeit durchkämmten die Bremer überwiegend untere Tabellenbereiche. Im "Fussballdaten"-Interview beschreibt der "Schampus" gerufene Kamps u.a., warum er unter falschen Vorzeichen verpflichtet wurde und spricht über das Scheitern der Bremer Millionenelf.

Hallo Herr Kamp. Sie haben von 1970 bis 1984 für Werder Bremen gespielt. Würden Sie von einer schönen Zeit sprechen?

Eigentlich schon, denn für mich als junger Mann ist die Bundesliga immer ein Traum gewesen. Natürlich war es oft auch sehr schwer in all den Jahren.

Eben. Die 70er waren das einzige Jahrzehnt, in dem Werder keinen Titel geholt hat. Sie haben fast nichts anderes als Klassenkampf bis hin zum einzigen Abstieg erlebt. Sicher hatten Sie sich ihre Karriere etwas anders ausgemalt.

Klar hätte ich lieber weiter oben gestanden, aber mehr als in der Bundesliga zu spielen habe ich im Grunde nie gewollt. Ein paar Jahre vorher hatte ich schon ein Angebot aus Gladbach, aber da war ich erst 18 und wollte noch nicht von zu Hause weg. Zu Werder kam ich dann durch „Zapf“ Gebhardt, der mich vor seiner Bremer Zeit in Fürth trainiert hatte. Natürlich galt Werder damals auch als solider, vernünftiger Verein in der Tradition der Bremer Kaufmannsleute und so weiter. Aber in Wahrheit wollte ich nur in diese Liga.

Trotz aller Klarsicht hatte Werder sich in Ihnen aber getäuscht.

Stimmt, ich bin als Stürmer eingekauft worden und hab in Rüsselsheim auch meistens im Angriff gespielt. Als ich dann hier war, stellte sich aber raus, dass Andere doch etwas torgefährlicher waren. Ich konnte dafür ganz gut laufen und wurde dann auf andere Weise wertvoll.

Wie denn genau?

Ich war vor allem kämpferisch ganz gut dabei. Wir haben ja damals auch noch nicht Raumdeckung gespielt, sondern im­mer nur Mann gegen Mann. Da hieß es, du spielst gegen den, und du kannst gut laufen und spielst deshalb gegen den anderen. Ich hatte immer das Glück, gegen Netzer oder Overath zu spielen, das war schön für mich. Die konnte ich dann richtig bearbeiten und aus dem Spiel rausnehmen und selbst noch was probieren. Schwieriger war es zum Beispiel gegen „Hacki“ Wimmer, weil der selbst so viel gelaufen ist. Solchen Leuten ist man einfach nur hinterhergerannt und hat sich mit ihnen neutralisiert. Dann hat man das ganze Spiel über keinen Ball gesehen. Das war irgendwie typisch für die 70er Jahre.

Gleich in Ihrem ersten Jahr ging es mächtig rund im deutschen Fußball: Der große Bundesligaskandal kam ins Rollen. Was waren das für Zustände damals in der Liga?

Wir haben das natürlich gehört. Auf dem Platz wurde dann auch eine Menge gefrotzelt nach dem Motto „Lasst uns gewinnen“. Aber trotzdem ist bei uns niemals mit Geld gespielt worden. Grundsätzlich hab ich nur vom Hörensagen davon mitbekommen, immer nur Gerüchte und nie etwas Konkretes. Und das volle Ausmaß haben wir dann selbst erst erfahren, als auf der berühmten Gartenparty alles aufgeflogen ist.

Werder kämpfte bis kurz vor Saisonschluss noch um ein Uefa-Cup-Ticket. Gegen Schmiergelder war die Mannschaft also immun. Wie sicher sind Sie, dass es sonst nicht anders gekommen wäre?

Das weiß ich wirklich nicht. Ich kann nur sagen, dass wir als Spieler uns überhaupt nicht um so was gekümmert haben. Es gab da ein Spiel in Oberhausen, das haben wir gewonnen. Später hieß es dann, jemand anderes hätte etwas dafür geboten. Wir wollten ja sowieso gewinnen und hätten wahrscheinlich das Geld glatt genommen. Aber das wäre natürlich ein Fehler gewesen.

Gutes Stichwort, denn in derselben Spielzeit bekam Werder noch Punkte am grünen Tisch zugeschoben. Grund war der legendäre Pfostenbruch.

Das war natürlich eine unglaubliche Hektik, und niemand hatte eine Ahnung, was passieren soll. Wir dachten ja selbst auch, es gibt eine Wiederholung. Es stand jedenfalls 1:1, was für uns ein prima Ergebnis war. Deswegen haben wir verzweifelt versucht, das Tor wieder aufzustellen und die letzten zwei Minuten noch zu spielen, während die Gladbacher genau das verhindern wollten. Ein Wiederholungsspiel war denen natürlich lieber. Ich hab noch ganz genau Jupp Heynckes vor Augen, der immer wieder hinten ins Netz getreten hat, damit das Tor wieder umfällt. Vor allem daran kann ich mich gut erinnern.

In der neuen Spielzeit wurde dann alles anders. Entgegen aller hanseatischen Vernunft nahm Werder nicht vorhandenes Geld in die Hand kaufte die so genannte Speckflaggenelf zusammen. Ist die Mann­schaft von diesen Plänen überrumpelt worden?

Der Grundgedanke war ja eigentlich richtig. Werder wusste, die Ablösesummen würden nächstes Jahr hochgesetzt. Sonst hatte ein Nationalspieler immer 120.000 oder 150.000 Mark gekostet, und danach ging es dann los mit 500.000 oder 600.000 für gute Spieler. Deswegen wollte der Verein noch mal los und einkaufen gehen, bevor die festen Ablösen fallen.

Andere Vereine haben das nicht gemacht.

Ich schätze, wir hatten da durch unseren neuen Präsidenten Dr. Böhmert und seine Verbindungen zum DFB einige Vorteile oder womöglich sogar einen Wissensvorsprung. Von der Logik her finde ich die Sache auch heute immer noch in Ordnung. Als Mannschaft waren wir damals vielleicht nicht unbedingt begeistert. Aber unternehmen konnten wir dagegen sowieso nichts. Nun war ich aber auch gerade 22 oder 23 und hab mir keine Gedanken gemacht, ob der Verein damit richtig oder falsch liegt. Meine einzige Sorge war, dass ich spielen muss, schließlich hat es damals ja auch noch nicht viel Geld gegeben. Ich musste sehen, dass ich ein paar Mark Prämie mache, damit ich die Miete bezahlen kann.

Der Kader wurde mit hochprominenten Spielern aufgemotzt, sogar Günter Netzer wäre fast noch gekommen. Wie sehr haben Sie um Ihren Stammplatz gebangt?

Natürlich war das für uns, die wir vorher gespielt haben, nicht ganz so einfach. In den Aufstel­lungen, die in der Zeitung standen, tauchten unsere Namen ja gar nicht mehr auf. Aber wir haben um unsere Plätze ge­kämpft. Ich weiß noch, der Egon Coordes und der Bernd Lorenz zum Beispiel, die haben dann in der Vorbereitung schon mal die 18er Stollen angezogen. Ich selbst hab auch mächtig um meinen Platz kämpfen müssen. Manchmal ging es so hoch her im Training, dass das eigentliche Spiel dagegen fast Erholung war.

Umso erstaunlicher, dass die Rakete nicht gezündet hat. Gerade der Konkurrenzkampf hätte die Mannschaft doch eigentlich voran bringen müssen.

Der Fehler lag in der Zusammensetzung. Die Leute sind einfach eingekauft worden, weil sie preiswert waren, aber von den einzelnen Positionen her hat das nicht funktioniert. Darauf hatte niemand geachtet. Es war aber nicht so, dass die Neuen unseren Teamgeist vergiftet hätten. Die Jungs waren alle in Ordnung und nett. Neid war in der ganzen Mannschaft kein Problem.

Die verschworene Gemein­schaft, die Werder laut Max Lorenz in den 60ern gewesen war, hat es zu Ihrer Zeit also immer noch gegeben?

Das war immer noch ganz genau so. Montags zum Beispiel haben wir uns immer nach dem Training im Gasthof Grothenn’s getroffen, denn das war die einzige Kneipe mit König-Pilsener. Oder wenn es uns ganz schlecht ging, dann haben wir gesagt, komm’, jetzt hauen wir uns mal alle einen in den Kopp und sprechen uns richtig aus, und dann geht das alles wieder. Das kam auch schon mal vor. Es sind zwar immer viele Spieler gekommen und gegangen, aber dass mal einer menschlich nicht dazu gepasst hätte, das war wirklich ganz selten. Auch zu Zeiten der Millionenelf.

Fortsetzung folgt



In Gladbach stehe ich vor einem Müllberg, in München stehe ich vor dem Brenner.

— Fast poetische Anleihe von Stefan Effenberg bei Udo Jürgens...