“Drill, bis einer kotzen musste ...” (Teil II)

von Günther Jakobsen14:01 Uhr | 04.01.2009

Finanziell war Werder Bremen nicht auf Rosen gebettet; das bekam auch Karl-Heinz Kamp zu spüren. Dennoch fühlte er sich bei den Grün-Weißen ausgesprochen wohl. Und hätte Werder früher seinen Wunsch-Trainer bekommen - gibt sich Kamp im Interview überzeugt - hätten die Norddeutschen auch sportlich eine bessere Rolle gespielt ...

Als das geplante Spitzenteam aus Werder nichts wurde, waren die Stars bald wieder verschwunden. Sie dagegen waren nur als Talent verpflichtet worden, haben in all der Zeit aber immer gespielt. Noch nach sieben Jahren Werder hatten Sie ganze acht Spiele verpasst. Kann man da von Genugtuung sprechen?

Das kann man ganz sicher. Allerdings hab ich auch immer hart gekämpft und in jedem Training Vollgas gegeben. Mein Glück war, dass ich selten verletzt war und mit dem Laufen keine Probleme hatte. Schließlich hatten wir Trainer wie Zapf Gebhardt und Fritz Langer, die zwar menschlich völlig in Ordnung waren, aber auch ganz viel Unsinn verlangt haben. Bei Gebhardt haben wir nach jedem Training noch zehn mal 200 Meter laufen müssen. Da war man dann zwar wochenlang topfit und hat alles niedergerannt, aber irgendwann hat sich das gerächt. So war es aber damals einfach üblich. Normal war auch: erstes Saisontraining vor Zuschauern und dann ein so harter Drill, bis einer kotzen musste. Und die Leute haben geklatscht.

Wie stand es überhaupt um die Bundesliga in dieser Zeit? Man denkt an Beckenbauer, Netzer und Overath. Die Zuschauerzahlen waren trotzdem reichlich mäßig. Manche Spiele fanden vor weniger als 5.000 Fans statt.

Allein an deutschen National­spielern war schon sehr viel Qualität vorhanden. Ich hab ja auch anfangs noch gegen Uwe Seeler gespielt. Nur das große Geld war eben noch nicht da, und nach dem Skandal hatte die Liga grundsätzlich wohl ein Imageproblem. Dann die alten Stadien, die schlechte Infrastruktur. Allein das Weserstadion war ja lange Zeit kaum bundesligatauglich. Einzig die Südtribüne war ein bisschen überdacht, sonst hat alles im Freien gestanden. Ich glaube, wir hatten selten mehr als 15.000 Zuschauer. Finanziell war das für den Klub ein großes Problem.

Ab Mitte der Siebziger hielt Werder sich nur noch mit Talenten über Wasser. Schon 1975 kam es beinahe zum Abstieg. Waren Sie nie versucht, woanders Ihr Glück zu versuchen?

Ich hatte da mal ein Angebot aus Braunschweig, aber großes Geld gab es damals ja ohnehin nicht zu verdienen. Es ging mehr darum, dass man sich wohlfühlt, dass man spielt und dass man anständig behandelt wird. Und genau das hab ich hier gefunden. Ich hab Werder schon viel zurückgegeben, bin aber vor allem in den Jahren auch immer sehr gut behandelt worden. Wahrscheinlich hätte ich woanders auch nicht mehr verdienen können, das war damals ja vergleichsweise lachhaft. Ich glaube, ich habe hier angefangen mit 1800 brutto. Dazu gab es vielleicht mal ein Handgeld ab und zu. Und man musste halt sehen, so 400 Mark gab es für einen Sieg, dass man zwei Mal gewinnt. Dann ist man gut über die Runden gekommen. Bei einem früheren Abstíeg wäre es sicherlich etwas anderes gewesen. Aber so hab ich an einen Wechsel nie wirklich gedacht.

Zu rechnen war mit besagtem Abstieg dann beinahe jeden Moment. Vor der Saison 1977/78 kam es kurz zum Lizenzentzug, anschließend reichte es mit Ach und Krach zum 15. Platz. Lauter können Warnsignale kaum sein.

Grundsätzlich haben wir immer aufs Neue gedacht, dieses Jahr haben wir nichts damit zu tun. Aber Werder war einfach dauerklamm. Ich kann mich an eine Weihnachtsfeier im Saal der alten Südtribüne erinnern. Da saßen wir bei Butterkuchen und haben alle unser Weihnachtsgeld bekommen: 130 Mark. Einmal hat sogar noch Willy Scharnow, der große Bremer Reisekaufmann, eine Belohnung ausgesetzt und hat der Mannschaft 200.000 DM geboten, wenn wir nicht absteigen. Das war dem Verein eine sehr große Hilfe.

Zu dieser Zeit hatte bereits Rudi Assauer die Hebel in der Hand. Sie waren zeitgleich mit ihm in Bremen angekommen und haben dann erlebt, wie er fast über Nacht vom Mitspieler zum Manager und zeitweise sogar zum Trainer wurde. Das muss seltsam sein für eine Mannschaft.

Klar, das war schon eine komische Situation. Letztendlich hab ich aber kein Problem damit gehabt, und die meisten anderen auch nicht. Bei den Älteren sah das vielleicht etwas anders aus.

Horst-Dieter Höttges bekam eine schriftliche Kündigung, Dave Watson nannte Assauer einen „Alleinherrscher“. Stimmen Sie zu?

Ja, das ist er ein Stück weit schon gewesen. Er war eben sehr von sich überzeugt, und das kam sicher nicht bei jedem gut an. Sehr überraschend war vor allem sein Abgang. Wir waren gerade ab- und wieder aufgestiegen, und man hatte natürlich gedacht, es geht mit ihm weiter. Ich weiß noch, wie er gesagt hat, hier gäbe es keine Chance, Meister zu werden und auf Schalke sehe er die besseren Perspektiven. Danach sind wir dann drei Mal Deut­scher Meister geworden und drei Mal Pokalsieger.

1979/80 war es dann so weit: Werder stieg zum ersten Mal aus der Bundesliga ab. Wie selbstverständlich war es für Sie, mit in die Zweite Liga zu gehen?

Das war keine Frage, ich war zehn Jahre hier und wollte hier auch bleiben. Außerdem war ich da auch schon 32 oder 33 Jahre alt. Und dann hat mir der Rudi auch schon angeboten, dass ich mein Gehalt weiter bekomme und dafür dann nebenbei als Amateurtrainer anfange. Und dann war die Sache schnell klar.

Letztendlich fand Werder im Abstieg dann sogar seinen Frieden, vorher waren aber nicht nur Geld und Spieler, sondern auch reihenweise Trainer verschlissen worden. Wolfgang Weber zum Beispiel mochte nach seiner Entlassung nie wieder einen anderen Klub übernehmen. Hans Tilkowski soll von der Mannschaft gestürzt worden sein. War Werder in den 70ern untrainierbar?

Ich würde es eher andersrum sehen. Dass das keine guten Trainer waren, würde ich mir nicht anmaßen zu sagen, aber es hat einfach nie so richtig gepasst. An Otto Rehhagel hat man das dann ja deutlich gesehen, denn der war einfach zu 100 Prozent der Richtige. Auch beim ersten Mal schon. Wir als Spieler hatten uns da schon unheimlich für ihn stark gemacht. Aber leider hatte er in Dortmund schon zugesagt.

Insgesamt waren es elf Trainer, die Sie während Ihrer aktiven Zeit haben kommen und gehen sehen, einige davon sogar mehrfach. Hat das dazu beigetragen, dass sie später lieber Assistent geblieben sind?

Das nicht unbedingt. Es war eher so, dass ich mich selbst sehr gut einschätzen konnte, und das war ganz einfach das Richtige für mich. Auch in der jahrelangen Arbeit als Amateurtrainer hab ich das herausgefunden. Und so viel sicherer ist der Job schließlich nicht, denn heute wird mit einem Trainer ja meist auch der Co-Trainer entlassen, und jeder Neue bringt seinen eigenen Assistenten mit. Es ist also gar nicht normal, dass man so viele Trainer als Co-Trainer hat. Aber ich fühle mich eben längst als ein Werderaner, und so haben sie das zum Glück auch in den oberen Etagen immer gesehen. Da hatte ich dann den nötigen Rückhalt.



Gibt's das überhaupt?

— Jürgen Kohler, Borussia Dortmund, bei SAT1 auf die Frage, ob er nicht doch in der Nachwuchs-Liga in der BVB-Reserve spielen möchte.