1963/64: Triumphzug der Geißböcke (II.)

von Günther Jakobsen13:04 Uhr | 06.06.2009

Aufspringen zum Torjubel brauchte in den Stadien nur eine Minderheit der Zuschauer - die meisten standen ohnehin. Da Sitzplätze jedoch mehr Einnahmen verhießen, forcierten die Vereine die Bestuhlung. Ob nun aber sitzend oder stehend - keine Anhängerschaft hatte mehr Grund zur Freude als die der Kölner, die nahezu einen Start-Ziel-Triumph feierten. Der beste Torjäger kam jedoch aus dem Norden …


Drückende Schuhe und rare Sitzgelegenheiten

Die neu gegründete Lizenzspielerliga lockte zwei zuvor in Italien unter Vertrag stehende Fußballer zurück in die Heimat: Die "Italiener" Erwin Waldner (Spal Ferrara) und Rolf Geiger (AC Mantua) setzten ihre Karriere beim VfB Stuttgart fort. "Echte" Ausländer waren in der ersten Saison noch rar gesät. Nur sechs Aktive besaßen einen fremdländischen Pass: Die jugoslawischen Torsteher Petar Radenkovic (1860 München/ 30 Spiele) und Dragomir Ilic (Werder Bremen/ 4 Spiele), die Niederländer Heinz Versteeg (MSV Duisburg/ 30 Spiele) und Jacobus Prins (1. FC Kaiserslautern/ 23 Spiele), Eintracht Braunschweigs türkischer Mittelfeldspieler Aykut Ünyazici (8 Spiele) sowie der Österreicher Wilhelm Huberts (Eintracht Frankfurt/ 29 Spiele), der vom US-Klub Hungaria New York nach Frankfurt wechselte. Was Huberts hier überhaupt nicht passte, war die Härte - und zwar die seines Schuhwerks. So fuhr er kurz nach Saisonstart nach Rom, um sich dort mit weicheren, italienischen Fußballschuhen einzudecken.
Drei Mark für einen Stehplatz oder maximal zehn Mark auf der Tribüne zahlten die Besucher im Stuttgarter Neckarstadion fürs Fußballvergnügen; ein Preisniveau, das im unteren Bereich angesiedelt war. Repräsentativ waren, wie in der Schalker Glückaufkampfbahn und im Braunschweiger Eintracht-Stadion, vier Mark pro Steh- und zwölf Mark pro Tribünenplatz. Die Sitzplatzkapazität war überall noch äußerst gering ausgelegt. Von den 42.000 Plätzen im Dortmunder Rote Erde Stadion beispielsweise boten nur 3.032 den Vorzug des Sitzens. In Braunschweig steigerte man zum Saisonstart das Angebot von 1.300 auf 3.000 Sitze. Eine Entwicklung, der sich wegen der zu erwartenden Mehreinnahmen alle Vereine anschlossen.

Die Spitzenklubs

Mit fast makelloser Bilanz, nur am vierten Spieltag belegte mit dem Hamburger SV ein anderer Klub die Topposition, zog der 1. FC Köln seinen Siegeszug durch die erste Bundesligasaison und konnte sich bereits am 28. Spieltag vorzeitig als Meister beglückwünschen lassen. Der Geißbockelf reichte zum Auftakt ein 2:0-Erfolg beim 1. FC Saarbrücken, um gleich am Start ganz vorn zu stehen - gemeinsam mit den Schalkern, die mit demselben Resultat den VfB Stuttgart bezwangen. Der Meidericher SV landete zwar mit seinem 4:1-Auswärtssieg beim Karlsruher SC den höchsten Tageserfolg mit der größten Tordifferenz, da jedoch das Divisionsverfahren als verbindlich galt (bis zur Saison 1968/69), rangierte der MSV nur auf Platz drei. Dabei wurde die Zahl der erzielten Tore durch die der eingefangenen geteilt. Die Anwendung des Divisionsverfahrens entschied am letzten Spieltag im Kampf um Platz zwei zwischen den punkt- und tordifferenzgleichen Meiderichern und Frankfurtern zugunsten des MSV. Neben den Kölnern spielte in der zweiten Saisonhälfte nur noch ein Trio ernsthaft um die Schale mit: Der Meidericher SV - im Fotofinish vor Eintracht Frankfurt letzten Endes als Vizemeister erfolgreich - die Frankfurter und der VfB Stuttgart. Der MSV hatte mit seiner von Trainer Rudi Gutendorf kreierten Riegel-Taktik der verstärkten Abwehr (nur 36 Gegentore) für Furore gesorgt - und letztlich auch Erfolg. Frankfurt, das mit dem damals 38-jährigen Richard Kress den ältesten Bundesligaprofi in seinen Reihen hatte, lieferte ein starkes Saisonfinale mit am Ende zwölf Spielen ohne Niederlage. Stuttgart blieb bis zum 22. Spieltag auf Tuchfühlung zum 1. FC Köln. Dann riss eine Negativserie mit nur einem Sieg aus acht Spielen die Schwaben aus allen Meisterschaftsträumen. Für zwei junge Akteure aus den Kadern der beiden Spitzenteams hatte der scheidende Bundestrainer Sepp Herberger im März 1964 ein besonderes Lob parat: "Ich kann mich nicht erinnern, dass wir jemals zwei Halbstürmer hatten, die soviel versprechen wie Overath und Krämer. Ich nehme bei dieser Beurteilung selbst Fritz Walter nicht aus." Titelverteidiger Borussia Dortmund, der Hamburger SV und der FC Schalke 04 spielten konstant im oberen Tabellenbereich und schienen lange Zeit in der Lage, mit einer guten Serie ganz an die Spitze vorpreschen zu können. Gerade die Schalker jedoch, nach Halbzeit noch aussichtsreicher Tabellenzweiter, brachen in der Rückserie ein. Den umgekehrten Weg nahm der Revierrivale aus Dortmund, der sich nach schlechtem Start fing und die Saison auf Rang vier abschloss. Dem Gefälle zwischen Heimstärke und Auswärtsschwäche verdankt der Hamburger SV sein mittelprächtiges Abschneiden als Tabellensechster. Als einziger Klub blieb der HSV daheim ungeschlagen, wo sein gefürchtetes Sturmduo Uwe Seeler (30 Tore, er wurde zum "Spieler des Jahres" gekürt) und Charly Dörfel (15) kaum zu bremsen war. Die mageren zwei Siege in der Fremde vermiesten ein besseres Resultat.

André Schulin

Die Bundesliga-Chronik in unserem Shop



Die Momente, für die es sich lohnt, Fußballprofi zu sein, sind die, wenn sich Oliver Kahn unter der Dusche einseift.

— Mehmet Scholl