1966/67: Braunschweigs Abwehrkünstler (Teil I)

von Günther Jakobsen12:32 Uhr | 24.06.2009

Dass hinten die Null zu stehen hat, wusste man in der Bundesliga schon lange bevor Huub Stevens auf Schalke diese Formel griffig formulierte. In 17 Spielen der Saison 1966/67 blieben Braunschweigs Torleute Horst Wolter und Hans Jäcker (2 Einsätze) ohne Gegentreffer - die Basis zur Überraschungsmeisterschaft der Niedersachsen. Andere Erkenntnisse mussten erst noch reifen, wie beispielsweise die Einsicht, dass Torwarthandschuhen nicht nur eine wärmende Funktion zukommt ...

Nicht einmal Eintracht Braunschweigs Trainer Helmut Johannsen hatte seine Mannschaft auf dem Zettel, als er sich vor dem Anpfiff zur neuen Saison zu den möglichen Titelaspiranten äußerte. Für ihn waren die Münchener Löwen erster Favorit, die sich, so Johannsen, mit Köln, Dortmund, Bremen und dem FC Bayern um den Titel streiten würden. Eine Rekordmarke jedoch, das war absehbar, würden die Braunschweiger aufstellen. Mit Abwehrspieler Walter Schmidt stellten sie den einzigen von inzwischen mehr als 500 Akteuren, der seit der Gründung 1963 in allen Bundesligaspielen eingesetzt wurde. Am sechsten Spieltag der Saison wurde der hundertste Jubiläumsspieltag der Liga gefeiert - und nur Walter Schmidt war immer aktiv dabei. Dieser Spieltag lieferte Braunschweig noch in anderer Hinsicht einen Grund zum Feiern: Erstmals hatten die Niedersachsen die alleinige Tabellenführung in der Bundesliga erobert.

Westklubs gewannen die Aufstiegsrunden
Der Aufstieg in die höchste Spielklasse wurde für beide Neulinge zu einer äußerst engen Angelegenheit. In der Gruppe 1 trafen Fortuna Düsseldorf, Hertha BSC, der FK Pirmasens und Kickers Offenbach aufeinander. Die Düsseldorfer setzten sich bei einer 8:4-Punktgleichheit mit Pirmasens nur dank des besseren Quotienten durch. Mit 17 Treffern waren sie allerdings das mit Abstand torhungrigste Team aller acht Aufstiegsrunden-Teilnehmer. Gruppe 2 setzte sich aus Rot-Weiß Essen, dem FC St. Pauli, dem FC Schweinfurt 05 und - wie schon im Vorjahr - dem 1. FC Saarbrücken zusammen. Die Saarländer scheiterten erneut und auch Schweinfurt konnte nicht mithalten. Zwischen Essen und St. Pauli jedoch entwickelte sich ein dichtes Kopf-an-Kopf-Rennen um den Bundesliga-Einzug, das bis zum letzten Spieltag alles offen ließ. Den Hamburgern gelang auch im zweiten Vergleich mit den Westdeutschen ein 1:0-Sieg, der den 8:4-Punktausgleich brachte. Doch Essen konnte sich diese knappe Niederlage leisten; erst ein St. Pauli-Erfolg mit mindestens drei Toren Unterschied hätte der Elf von der Waterkant das Tor zur Erstklassigkeit geöffnet.


Keine Waffengleichheit
Auch im vierten Jahr hatte sich in der Liga noch keine Waffengleichheit eingestellt, standen sich Voll- und Teilzeitprofis gegenüber. "Die Mönchengladbacher Elf hat professionellen Zuschnitt, und das, weil sie vormittags und nachmittags trainiert. Bei uns müssten Spieler wie Menne, Seibold, Entenmann, um nur einige zu nennen, üben, üben und noch einmal üben, anstatt arbeiten zu gehen", beklagte sich Stuttgarts Trainer Rudi Gutendorf nach der 0:2-Heimniederlage über den Semiprofi-Nachteil seiner Schützlinge. Aber es gab auch Spieler, die dies gar nicht anders wollten: "Ich bin Vermessungsingenieur, habe einen guten Posten", bekannte Essens Abwehrspieler Werner Kik. Ob Nürnbergs Stürmer-Debütant Heinz Müller gleicher Ansicht war, ist fraglich. Er arbeitete nebenbei als Ausfahrer einer Getränkefirma.

Poesie und Ohrfeigen
"Wenn ich schon sehe, dass ein so junger Bursche im Sommer mit Handschuhen spielt...", schwoll Schalkes Trainer Fritz Langner - ohne Verständnis für die sinnvolle Ausrüstung seines Keepers - der Kamm. Der bedauernswerte Norbert Nigbur hatte gerade fünf Dinger beim FC Bayern kassiert, sah bei zwei Treffern nicht ganz glücklich aus. Karlsruhes Trainer Werner Roth hatte beim Gastspiel in Hamburg mehr die Spieler des Gegners im Visier: "Die Spielweise von Egon Horst war fast kriminell", echauffierte er sich und zieh Uwe Seeler unfairer Dialogfreudigkeit: "Dass Uwe Seeler im Spiel ständig mit dem Schiedsrichter sprechen kann, ist ebenso wenig zu vertreten. Unsere ‚namenlosen´ Spieler dürfen sich solche Übergriffe nicht erlauben." Manchmal bekamen auch die Zuschauer ihr Fett weg. "Geht selbst mal auf den Platz und versucht, einen Ball zu führen", blaffte Essens wegen einer Verletzung pausierender Verteidiger Adolf Steinig mosernde Besucher des Spiels der Rot-Weißen gegen Schalke (0:1) an, die seine Mannschaftskameraden schmähten. Die winterlichen Tücken des Platzes, es war Anfang Januar, beschrieb das "Sport-Magazin" mit poetischer Kunstfertigkeit: "Der Rasen des Georg-Melches-Stadions war gefroren, an vielen Stellen gab es kleine Teiche mit Eis, und darüber hatten die grauen Wolken Schnee wie Staubzucker gestreut." Von derartiger Feinfühligkeit war Mönchengladbachs Torwart Volker Danner beim Heimspiel gegen den VfB Stuttgart, einer 1:2-Niederlage, weit entfernt. Erst drosch er das Leder vehement in die Ränge und dann versetzte er einem möglicherweise unbedacht argumentierenden kleinen Jungen eine Ohrfeige. Als Ohrfeige musste Max Merkel die "geheime" Abstimmung seiner Münchener Spieler empfinden, die gegen Ende der Hinserie mit 16:1 (Fahrian war pro Merkel) dafür votierten, dass eine Trennung vom Trainer besser für den Verein wäre. "Was in München geschehen ist, das ist glatte Anarchie. Und der Vorstand sanktioniert es auch noch...", schimpften Merkels Kollegen Elek Schwartz (Eintracht Frankfurt) und Jenö Csaknady, den Merkel in Nürnberg beerbte, unisono.

André Schulin



Wir sind Eintracht Frankfurt und stehen zehn Spieltage vor Schluss auf dem vierten Platz. Das ist doch geil.

— Martin Hinteregger