5 Dinge über Borussia M´gladbach

von Günther Jakobsen11:14 Uhr | 15.07.2008

Nirgendwo anders, außer vielleicht in Köln, wird so schnell vergessen, verdrängt und verziehen. Der bittere Abstieg vor einem Jahr hat in Gladbach offiziell nie statt gefunden. Jetzt ist die Borussia wieder da, wo sie hin gehört.

1. VORSPIEL

26.000 Dauerkarten wurden verkauft. Neuer Bundesliga-Rekord in Gladbach.
Die Gladbacher sind, zumindest im Kopfkino ihrer Anhänger, zurück in den goldenen 70ern. In der Geschäftsstelle werden bereits wieder Trikots mit NETZER und der Nummer 10 beflockt.

Die Mannschaft tat bisher jedenfalls alles, um die neue Euphorie noch zusätzlich zu befeuern. Die ersten drei Testspiele wurden allesamt gewonnen. Dabei schossen die Gladbacher 13 Tore und kassierten nur eines. Arminia Bielefeld wurde dabei ebenso kontrolliert wie Verbandsligist Wegberg-Beeck oder der Bezirksligist BV Bad Lippspringe.

Trotz dieser imposanten Serie bleiben die Spieler jedoch sympathisch zurückhaltend. Nach seinem Saisonziel gefragt, antwortete Neu-Nationalspieler Marko Marin lediglich: »Das Siegtor gegen den 1. FC Köln schießen.« Ob das jedoch allein für das Saisonziel Klassenerhalt reicht, bleibt zu bezweifeln.

2. DEJA-VU MIT SCHNAUZER

Nach dem Abstieg vor einem Jahr, sollte Jos Luhukay zusammen mit Sportdirektorfrischling Christian Ziege das Projekt Bundesliga-Rückkehr verwirklichen. Co-Trainer Luhukay war plötzlich Chef in Gladbach. Es muss wie eine Erlösung gewesen sein für ihn, dessen bisherige Trainerkarriere eher so etwas wie eine einzige Dauerhospitanz war. Luhukay musste den Harry machen für Huub Stevens, Marcel Koller und Friedhelm Funkel in Köln und später dann für Jupp Heynckes in Gladbach. Dabei teilte er das Schicksal so vieler Handlanger: Er war immer da, inmitten des Bundesligazirkus, doch im Scheinwerferlicht der Manege tanzten andere. Denn trotz markantem Schnauzer hat Jos Luhukays Gesicht bis vor etwa einem Jahr bei kaum jemandem ein Deja-Vu-Erlebnis hervorgerufen.

Dann aber wurde Heynckes in Gladbach hingeschmissen und der unscheinbare Schnauzer von der Bank plötzlich Chef. Mitten im Abstiegskampf. Es war seine Chance, es allen zu zeigen. Die Bundesliga war ja nicht neu für ihn. Doch unter seiner Führung holten die Gladbacher ganze 10 Punkte aus siebzehn Spielen. Gladbach stieg ab. Der Verein stand am Scheideweg, doch Luhukay durfte bleiben und sogar bestimmen, welche Abzweigung die Gladbacher nehmen.

Zusammen mit Ziege brach er die verkalkten Strukturen in Gladbach auf und verwirklichte seine Fußballphilosophie. Heimlich hatte sich der ehemalige Zweitreiher in eine komfortable Machtposition geschlichen, die der unverhoffte Aufstieg, die Übererfüllung der Gladbacher Zweijahres-Planwirtschaft, noch gestärkt hat. Und doch muss der Holländer erst noch nachweisen, dass er wirklich auch als Trainer einer Bundesligamannschaft funktioniert. Er hat die zweite Liga dominiert, war mal Fünfter in der Regionalliga mit dem KFC Uerdingen und der nette Trainer beim SC Paderborn. Aber die Bundesliga war für den Cheftrainer Luhukay bisher alles andere als ein lustiger Abenteuerspielplatz voll bunter Bälle und guter Laune. Seine Bilanz mit Gladbach war schon suboptimal. Doch beim 1.FC Köln liest sich Luhukays Bundesliga-Statistik wie ein Auszug der Vereinschronik von Tasmania 1900. 2003 war er am Rhein mal für ein Spiel Interimstrainer – und hat nicht einen Punkt geholt. Hier könnten die Gladbacher auf ein Deja-vu-Erlebnis verzichten.

3. ZUSAMMEN IST MAN WENIGER ALLEIN

Christian Ziege und Jos Luhukay haben während der Europameisterschaft wahrscheinlich ausschließlich Spiele der russischen Nationalmannschaft beobachtet. Und scheinen sich dabei verliebt zu haben. Luhukay jedenfalls probt bereits vor dem Spiegel für eine überzeugende Hiddink-Imitation und Christian Ziege wirft wahllos Gläser an die Wand. Die Gladbacher Strategie für den Klassenerhalt versprüht nämlich pure Sowjetromantik: Das Kollektiv soll den Ligaverbleib sichern. Eine Mannschaft ohne Stars, in der jeder so wichtig ist wie sein Nebenmann. Der Star, so scheint es in Gladbach, muss die Mannschaft sein. Und doch ist dieser neue Gladbacher Kollektivismus keineswegs eine nostalgisch verklärte Reminiszenz an Berti Vogts, unter dem Sportdirektor Ziege ja immerhin 1996 Europameister wurde. Denn beim Berti war die Mannschaft nur oberflächlich betrachtet der Star. In Wirklichkeit war es Matthias Sammer. Diese Scharade klappt in Gladbach nicht. Weil weit und breit kein Sammer zu finden ist. Zweitliga-Torjäger Rob Friend ist Kanadier, hat also in etwa das Glamour-Potenzial von Paul Stalteri. Oliver Neuville wuselt langsam aber sicher dem Sonnenuntergang entgegen und Marko Marin ist einfach noch nicht so weit. Die Idee von der verschworenen Gemeinschaft ist deshalb nichts weiter als bauernschlauer Pragmatismus. Weil der eine leuchtende Name fehlt, müssen halt alle zusammen verhindern, dass das Licht nicht nach einer Saison schon wieder ausgeht.

Damit so ein Kollektiv jedoch funktioniert muss die Harmonie in der Mannschaft stimmen. In Gladbach haben sie deshalb nun penibel darauf geachtet Neid, Missgunst und schlechtes Karma auszusperren. Die wenigen Quertreiber der jüngeren Vergangenheit wurden aus der Stadt gejagt. Eugen Polanski spielt jetzt bei Getafe und auch Nando Rafael ist weg. Gladbach hat sich der Nörgler entledigt. Dafür wurden Spieler geholt, von denen man glaubt, dass sie sich reibungslos in das bestehende Gerüst der Aufstiegsmannschaft einfügen werden. Vier Neue tragen in Zukunft das Gladbachtrikot. Es ist, natürlich, ein Quartett der weitestgehend Namenlosen. Der Bekannteste ist da noch zweifelsohne der Ex-Leverkusener Jan-Ingwer Callsen-Bracker. Obwohl der junge Innenverteidiger sich bisher eher einen Namen des Namens wegen gemacht hat. Nannte ihn Rainer Calmund doch vor einigen Jahren umsichtig und öffentlich „Callsen-Gedönsheimer-Schmallenberg“. Doch auch dieser Ruhm ist längst verblasst. Mit den anderen Neuzugängen dürfte Rainer Calmund ähnliche Probleme bekommen.

Aus Israel wurde Gal Alberman verpflichtet, aus Auxerre Jean-Sebastian Jaures und für Karim Matmour haben die Gladbacher zwei Millionen Euro nach Freiburg überwiesen.
Der 23jährige Algerier gilt als talentierter Filigrandribbler und soll das Angriffsspiel der Gladbacher über die Flügel beleben. Die beiden anderen sind im Wesentlichen Kompensationskäufe für die Abgänge und wurden positionsgetreu verpflichtet.
Alberman soll Polanski im defensiven Mittelfeld ersetzen und Jean-Sebastian Jaurès hinten links Druck auf Alexander Voigt ausüben, also die Drückerrolle von Martin Compper übernehmen, der bereits in der Winterpause nach Hoffenheim gewechselt war. Für alle drei ist die Bundesliga Neuland und es wird sich erst noch zeigen müssen, ob ihre Qualität ausreicht, um der Mannschaft sofort weiter zu helfen. Denn die Gladbacher haben, zumindest auf den ersten Blick, beim Discounter geshoppt. Aber auch hier gilt die Regel: Das No-Name-Produkt muss nicht schlechter sein, als die pompös etikettierte Konkurrenz. Und wenn man am Ende eh alles in einen großen Gemeinschafts-Topf wirft, spielen die einzelnen Zutatet ja eigentlich ohnehin keine Rolle. In Gladbach gilt also: Soljanka für alle.

4. BRAUCHT MAN NICHT ZU WISSEN

In der Bundesliga wird es keine Gladbacher Ultras geben. Sie hatten keine andere Wahl. Man hatte ihnen das Herz heraus gerissen, ihre Ehre zerstört. Da mussten sie sich selbst opfern. Nachdem ihre Heimspielzaunfahne von Anhängern des 1. FC Köln gestohlen und anschließend während des Derbys effektvoll zerstört worden war, mussten sich die Ultras Mönchengladbach auflösen. Zu groß war die Schande, dass das Herzstück der Gruppierung kampflos in die Hände des Feindes gefallen war. Denn für die Ultras ist die Zaunfahne eine Art Schild, hinter der sich die Mitglieder versammeln und beraten. Wird sie entwendet, ist das das zwangsläufige Ende der Gruppierung. Dieses ungeschriebene Gesetz ist ein Überbleibsel aus der italienischen Ultra-Kultur. Vorbilder der italienischen Ultras sind die römischen Legionen. Und bei den Römern war es nun einmal üblich, dass sich Legionen auflösten, wenn sie ihre Standarte verloren hatten.

5. 11FREUNDE ORAKELT

Ob mit den Ultras auf den Rängen oder ohne. Die Gladbacher wollen die Klasse halten. Vieles wird darauf ankommen, wie der Liga-Auftakt gegen Stuttgart und Hoffenheim gestaltet wird. Schlagen sie die Stuttgarter, könnten die Gladbacher Kollektivisten durch die Hinrunde gleiten und die Karlsruher der kommenden Saison werden. Doch wehe, es gibt zwei Klatschen zum Start. Dann liegt die Euphorie, die sie im vergangenen Jahr noch durch die zweite Liga getragen hat, ganz schnell wie Blei auf den Schultern der Mannschaft, deren Schlüsselspieler entweder zu jung (Marin) oder schon zu alt (Neuville) sind. Das Gruppenbild mit Schnauzer ist in jedem Fall eine große Wundertüte. Von UI-Cup-Überraschung bis Abstiegssumpf ist wirklich alles denkbar.

Lucas Vogelsang
11freunde-Online



Ich bin zu gut, um keinen Erfolg zu haben auf Dauer.

— Udo Lattek