5 Dinge über Werder Bremen

von Günther Jakobsen15:14 Uhr | 29.07.2008

Klaus Allofs sucht einen Stürmer. Er sondiert den Markt, wie das im Fachjargon so heißt. Derweil reist Diego Hals-über-Kopf nach Peking. Dabei heißt sein Traumziel doch eigentlich Usbekistan. Oder doch Kuruwtschi?

1. DIESE PROBLEMZONE DA VORNE

Pizarro, Ailton, Klose. In den vergangenen Jahren war Werder Bremen im Sturmzentrum eigentlich immer hervorrragend besetzt. Und auch der erste flüchtige Blick auf die aktuelle Kaderliste gibt zumindest schwarz auf weiß keinen Anlass für zittrige Panikattacken. Mit Markus Rosenberg und Hugo Almeida haben die Bremer immerhin zwei EM-Teilnehmer in ihren Reihen. Dazu noch einen Nationalspieler von der Elfenbeinküste und den ewig talentierten Aaron Hunt. Doch nicht nur Smint-Lutscher Torsten Frings wird das Gefühl nicht los, dass da vorne irgend etwas fehlt. Der langhaarige Häuptling hatte unlängst einen echten Kracher für die Spitze gefordert: »Um uns zu verbessern, müssen wir einen Topstürmer holen«, posaunte er via »Sportbild« in die Bremer Gemütlichkeit. Und nach einem zweiten, genaueren Blick ins Sonderheft, versteht man auch, warum: das Trio Sanogo, Almeida, Rosenberg hat in der vergangenen Saison gemeinsam 34 Tore erzielt. Das ist zwar durchaus ordentlich, doch reicht diese Quote eben auch nur zu einer gutmütigen Vizemeisterschaft. Den Bremern fehlt das Toni-Moment.

Klaus Allofs hat seine Fühler, so sagt er, längst nach allen Seiten ausgestreckt. Er sondiert den Markt. Suchmaske: Harry Decheiver oder ähnlich. Bisher hat Allofs jedoch ins Leere sondiert: Lukas Podolski bleibt wohl der dritte Mann in München und eine Rückkehr von Claudio Pizarro scheiterte an dessen gut gefüllter Londoner Brieftasche, mit der er nun bräsig auf der Tribüne döst.

Sanogo – die 1B-Lösung

Und so wirkt die jetzige Stürmersuche der Bremer auch wie ein Fehler in der Matrix. Deja-Vu. Alles schon einmal da gewesen. Vor einem Jahr, nachdem Miroslav Klose sich medienrummelig in der Allianz-Arena das T-Home-Trikot überziehen durfte, hatte Allofs ebenfalls eine Appetenzstellung eingenommen und nach einem neuen Angreifer gesucht, um das Vakuum im Sechzehner zu füllen. Am Ende holte er Boubacar Sanogo. Frei nach Klinsmann eher eine 1B-Lösung. Wenn überhaupt. Sanogo konnte nur phasenweise überzeugen. Die letzten Wochen lag er nun mit Malaria im Bett. Die Chancen, dass er in dieser Saison Torschützenkönig wird, sind also eher gering. Zudem hat mit Ivan Klasnic nun auch die verbliebene Hälfte des einstigen K&K-Sturms Bremen den Rücken gekehrt. Nach dem Abgang des Kroaten hat Thomas Schaaf wieder einen Platz im Sturm zu vergeben.

Es könnte aber gut sein, dass er unbesetzt bleibt. Denn die Vergangenheit hat auch gezeigt, dass die Bremer beim Sommerschlußverkauf nicht zu denen gehören, die sich am Transfer-Grabbeltisch rücksichtslos nach vorne drängeln. Und die Situation ist auch durchaus paradox: Die Bremer besitzen ein Quartett überdurchschnittlicher Bundesliga-Angreifer und haben doch ein diffuses Defizit im Sturmzentrum. Es ist gar nicht so sehr das eigentliche Fehlen eines Torjägers als vielmehr die Sehnsucht nach einem echten Transfer-Coup wie er Allofs und Schaaf einst mit Klose gelungen war. Die beiden Transfermagier von der Weser scheinen zumindest an dieser neuralgischen Stelle ihr Zauberpulver verschossen zu haben. Vielleicht spekulieren sie aber auch einfach darauf, dass sich das vorhandene Personal in den nächsten Monaten noch einmal entscheidend nach vorne entwickelt. Dass der neue Torjäger schon längst grün-weiß trägt und sich bis jetzt einfach nur gut verstellt hat, auch das wäre ja irgendwie typisch Bremen.

2. MIT PAPA NACH PEKING

Diego sieht aus wie der nette Junge aus der Nachbarschaft: Haare wie Heintje und ein Schwiegermutterlieblingslächeln der obersten Kerner-Kategorie. Er liebt Bremen, sagt er. Er fühlt sich wohl an der Weser. Das hat er auch gesagt und dabei unschuldig in die Kameras gelächelt. Es könnte also alles so schön sein mit Diego in Bremen. Doch einer macht da nicht mit: Djair Cunha. Diegos Vater sitzt wie ein spitzbärtges Cartoon-Teufelchen auf der Schulter seines Sohnes und stiftet ihn in wohl kalkulierten Abständen zu undurchdachtem Wechseltheater und öffentlichem Kräftmessen mit Werder an. In den letzten Monaten hat Djair Cunha die Bremer mit dieser Bauchredner-Nummer immer wieder strapaziert und insbesondere Klaus Allofs Friedfertigkeit auf eine harte Probe gestellt: Mal verkündete er den bevorstehenden Wechsel seines Sohnes nach Turin, an einem anderen Tag eine wahrscheinliche Unterschrift in London. Dann wieder säuselte er, wie verrückt sein Sohn nach Madrid sei. Djair Cunha benutzt die fußballerische Hochbegabung seines Sohnes als Druckmittel und schwirrt wie eine Mücke um den Kopf von Klaus Allofs.

Der Streit um Diegos Olympia-Freigabe war nun die perfekte Bühne für einen weiteren Auftritt des brasiliansichen Exzentrikers. Das paternale Rumpelstielzchen hatte endlich wieder einen Grund gefunden, sich in die auf seinen Sohn gerichetetn Spotlights zu drängen und seine Lieblingsrolle zu spielen: Den lautsprechenden Provokateur. »Diego wird sicher zu Olympia fahren«, polterte er in seinem gewohnt charmanten Holzfällerduktus. Djair Cunha konnte sich dabei sogar an eine mit Werder getroffene Absprache erinnern, wonach die Bremer seinem Sohn bei der Vertragsunterzeichnung vor zwei Jahren das Pekingticket quasi schon in einem Couvert unten an den Kontrakt geheftet hatten.

Big Papa is watching Diego

Papa Cunha liebt das mediale Dauertauziehen um seinen Sohn. Er ist ein Publicity-Fetischist, der, so scheint es oftmals, das eigene Leben über Diegos Erfolge definiert. Schon früh hat er die Karriere seines Sohne akribisch geplant und dabei stets seinen eigenen Weg zum Weltstarvater im Blick gehabt. Nicht immer scheint er aber das autorisierte Sprachrohr Diegos zu sein, der sich ja eigentlich ganz wohl fühlt an der Weser: »Ich bin glücklich in Bremen und werde mit Werder noch einige Erfolge feiern«, hat er immer wieder beteuert. Nur sein Vater muss diese Gefühlslage des Sohnes entgangen sein. Oder er ignoriert sie bewusst. Aus einem simplen Grund: Trotz der Vertragsverlängerung bis 2011 sieht Dair Cunha die Zukunft seines Sohnes nicht in Bremen.

Sein Sohn soll nicht in der Provinz verkümmern, sondern bei einem großen europäischen Verein durch europäische Ballnächte tanzen. Djair Cunha denkt groß. Vieles davon ist jedoch simple Projektion. Um den Konfrontationskurs mit Werder zu verstehen, reicht schon ein Blick ins Küchenpsychologiebuch: Denn in Wahrheit ist es Djair Cunha selbst, der von Madrid schwärmt, von London oder auch von Italien. Der 53-Jährige behängt sich gerne mit Society-Lametta. Er gilt als machthungrig und geldgierig und will, so scheint es, in kürzester Zeit das bestmögliche Kapital aus der Sonderbegabungs seines Sohnes schöpfen. Deshalb nimmt er auch wenig Rücksicht. Nicht auf Verträge oder den Arbeitgeber seines Sohnes aber am wenigstens auf Diego selbst.

In Brasilien ist man längst davon überzeugt, dass der Vater die Karriere seines Sohnes ruiniert. Die Gefahr besteht, dass Diego irgendwann über die Eitelkeit seines Vaters stolpert. Sein Ruf jedenfalls hat längst gelitten. Denn egal, wo das Vater-Sohn- Duett aufgeschlagen ist, bisher haben sie noch immer verbrannte Erde hinterlassen. Das war beim FC Santos so und auch in Porto. Momentan tut zumindest da Cunha Senior alles dafür, dass sich Werder und Diego ebenfalls nicht in Freundschaft trennen werden.

Die Bremer sind einer erneuten Auseinandersetzung mit Diegos Vater jedoch ruhig begegnet. Bis zuletzt hatten sie auf eine wundersame Einsichtigkeit Cunhas gehofft. Sie blieb aus. So war es erneut Klaus Allofs, der zuerst einlenkte. Mittlerweile hat sich Bremens Sportdirektor mit Vater und Sohn an einen Tisch gesetzt und die Olympiafehde beendet. Diego darf in China spielen. Mindestens bis Ende August ist also wieder Frieden eingekehrt im beschaulichen Bremen. Der jedoch ist trügerisch, so lange Djair Cunha weiter auf der Schulter seines Sohnes tanzt. Und auch Klaus Allofs weiß: Fortsetzung folgt. Bestimmt.

3. BOROWSKI WEG – UND JETZT?

Jahrelang war der große Blonde fester Bestandteil des Bremer Offensivwirbels in Rautenform. Links, rechts, in der Mitte. Ganz egal. Tim Borowski war eigentlich immer da. Jetzt ist er weg. Einfach abgehauen. Und dann auch noch zum »Erzfeind« (»Bild«) nach München. Doch die Bremer wären eben nicht Bremer, wenn sie der Abgang Borowskis ratlos zurück gelassen hätte. Im Gegenteil. Nicht wenige verabschiedeten den Mittelfeldspieler ohne dicke Augen nach München. Der oftmals arrogant wirkende Neu Brandenburger hatte nicht nur klatschendes Fußvolk in Bremen. Und auch Klaus Allofs hat nach dem Wechsel des 28-Jährigen keine Stresspickel bekommen. Die Bremer hatten für die Zeit nach Borowski längst vorgesorgt. Eine Neuverpflichtung für eine der Mittelfeldposition gab es deshalb auch nicht. Denn der neue Borowski spielt schon länger an der Weser. Wer es letztendlich wird, entscheidet sich wohl in den nächsten Wochen.

Torsten Frings, Diego und Daniel Jensen dürften gesetzt sein. Um die letzte freie Ecke in der Raute kämpfen drei Talente, für die der Umzug Borowskis nach München die Chance zum Durchbruch in Bremen ist:

Mesut Özil

Der Ex-Schalker gilt seit Jahren als Deutschlands größte Spielmacherverheißung neben Toni Kroos. Nach der Schlammschlacht auf Schalke, wo er als schwer erziehbarer Raffzahn gebrandmarkt wurde, ist Özil nach Bremen geflüchtet. Klaus Allofs hat in der Winterpause viel Geld in die Hand genommen, um den 19jährigen zu verpflichten. Bisher konnte Özil seine spielgestalterischen Möglichkeiten jedoch eher nur dezent andeuten. ein gutes Spiel in Karlsruhe hat jedoch gereicht, um Allofs die Freudentränen in die Augen zu treiben. Der U21-Nationalspieler ist eigentlich das ideale Diego-Double, würde wohl aber auch auf links spielen, wenn er muss.

Aaron Hunt

Gefühlt ist Aaron Hunt jetzt schon zehn Jahre bei Werder. Und er läuft Gefahr so etwas wie der Weser-Ricken zu werden. Denn ebenfalls seit gefühlten zehn Jahren gilt Hunt als Werders größtes Talent. Nur ist er eben bald 22 Jahre alt und die Talente drücken von unten. Nach diversen Verletzungen und merkwürdigen Formschwankungen steht Hunt vor seiner wohl wichtigsten Saison im Werder-Trikot. Der Deutsch-Engländer muss den Talent-Ballast abwerfen und mehr Verantwortung übernehmen. Dafür allerdings von Verletzungen verschont bleiben. Gelingt ihm das, dürfte der gelernte Stürmer erster Anwärter auf den Platz links in der Raute sein. Thomas Schaaf schätzt seinen Offensivdrang und die noble Technik. In der Vergangenheit, besonders in der Championsleugue hat er bewiesen, dass er an guten Tagen sogar der bessere Borowski sein kann.

Peter Niemeyer

Er ist der Außenseiter und doch dürfte sich kaum jemand in Bremen mehr über Borowskis Servus gefreut haben als Peter Niemeyer. Denn der 24jährige ist schon optisch der prädestinierte Neu-Borowski. Ähnlich groß und ähnlich blond sieht Niemeyer aus wie geklont. Und auch seine Spielweise erinnert stark an den Jetzt-Ex-Bremer. Peter Niemeyer gibt nur allzu gerne das Metronom im zentralen Mittelfeld und verfügt dazu in der Theorie auch noch über die nötige Zweikampfhärte und Schussgewalt, um Borowski zu ersetzen. In der Praxis ist Niemeyer aber noch nicht angekommen: Nur sechs Spiele und ein Tor in seiner grün-weißen Debütsaison sind zu wenig für einen Spieler, der mit Anfang 20 bereits über 100 Einsätze in Hollands Ehrendivision vorweisen kann. Doch Niemeyers ist nicht so vielseitig wie Borowski, weshalb er sich auf den Halpostion ständig verläuft. Am wertvollsten ist Niemeyer als Sechser vor der Abwehr. Und da spielt, Borowski hin oder her, eben immer noch Torsten Frings. Und der hat mit Nachdruck klar gestellt, dass er nicht wieder an den Rand rutschen wird.


4. MUSS MAN NICHT WISSEN

Zwei Zentner Melkfett, drei Stunden Münz-Mallorca und dann noch ein rosa Leibchen über den Astral-Körper gestülpt: fertig ist das Tim Wiese Karnevals-Kostüm. Bremens Torhüter ist noch ein Macho alter Schule, eine menschgewordene Vokuhila-Frisur, auch wenn in Bundesligastadien oft das Gegenteil besungen wird. Noch vor kurzem galt er nach drei gehaltenen Elfmetern in nur einer Woche als der legitime Nachfolger von Jens Lehmann.

Auf einer Internetseite wurden sogar Stimmen für seine Berufung gesammelt. Die User mussten virtuelle Bälle auf einen digitalen Wiese mit übermenschlich großen Handschuhen schießen. Wiese hat alle gehalten. Doch Joachim Löw konnte auch das nicht erweichen. Wiese, so glaubt zumindest Wiese selbst, ist einfach zu geil für Deutschland. So hat er auch seine endgültige DFB-Ausbootung genommen, wie einer wie er so eine Ausbootung halt nimmt: Wie ein Mann. Wie hart er wirklich ist, hat er zuletzt bewiesen, als er auf der Schulter des Hamburger Stürmers Ivica-Olic Stepptanz üben wollte. So ein Kerl wie der Wiese hat dann wohl auch ein ganz schön kerliges Hobby. Nee. Tim Wiese geht an spielfreien Tagen aufs Feld und lässt Modellflugzeuge steigen. Die meisten sind rosa. Und alle gut geölt.


5. WIR ORAKELN

Die Bremer verlieren die ersten Spiele ohne Diego, woraufhin Djair Cunha der »Bild«-Zeitung süffisant lächelnd ein Exklusivinterview gibt, in dem er den baldigen Wechsel seines Sohnes nach Usbekistan enthüllt. Zitat: »Kuruwtschi war schon immer Diegos Traumverein.« Am Ende bleibt Diego doch in Bremen und Werder startet eine beispiellose Siegesserie. Zur Winterpause sind die Bremer sogar mit fünf Punkten Vorsprung Tabellenführer. Doch dann fordert Torsten Frings Verstärkungen für alle Mannschaftsteile ausgenommen die Position vor der Abwehr. Der grün-weiße Haussegen hängt schief.

Kurzzeitig überlegt Thomas Schaaf sogar Buddha-Figuren aufzustellen, entscheidet sich nach einem Telefonat mit Felix Magath allerdings dagegen. Ein Fehler. Die Rückserie verläuft nur noch durchwachsen, doch am letzten Spieltag schnappen die Bremer den Schalkern noch die Vizemeisterschaft weg. Alles wie immer. Oder nur ein Fehler in der Bremer Matrix.

Lucas Vogelsang

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Er nimmt den Profi-Fußball ernst, aber nicht bierernst.

— Darmstadt-Coach Torsten Lieberknecht über seinen Star Luca Pfeiffer.