Nur weil der FC Bayern keine sofortige Alternative für Louis van Gaal gefunden hat, erhält der Niederländer eine Gnadenfrist. Spätestens am Saisonende ist die Episode des Generals in der bayerischen Metropole vorbei. Dabei hatten die Münchner Vereinsverantwortlichen gehofft, dass van Gaal der dritte große Bayern-Trainer nach Lattek und Hitzfeld werden würde.
Beide Fahrensmänner führten den FC Bayern nicht nur zum Champions-League-Titel, sondern auch zur drei Deutschen Meisterschaften in Folge. Wohl in der Hoffnung, dass van Gaal ebenfalls den Titelhattrick schaffen würde, legte der Bayern-Fanshop im Sommer ein T-Shirt mit den Jahren der bisherigen Titelhattricks auf. Das T-Shirt gibt es immer noch zu kaufen - und zwar immer noch zum selben Preis wie im Sommer. Dabei steht spätestens seit der Niederlage im Prestigeduell gegen Tabellenführer Borussia Dortmund (1:3) fest, dass es nichts mit der Titelverteidigung wird. Dass bereits in der Hinrunde die Meisterschaft verspielt wurde, lag nicht unbedingt an van Gaal. Dass im neuen Jahr das Minimalziel Champions-League-Qualifikation in Gefahr gerät, dagegen schon.
Unnötig machte der Bayern-Trainer im Winter eine Baustelle auf, als er Jörg Butt absägte und dafür den 22-jährigen Thomas Kraft ins Tor stellte. Dabei hatten van Gaals Vorgesetzte schon Schalkes Manuel Neuer zur Nummer eins für die neue Saison auserkoren. Denn sie wollten keinen zweiten „Fall Rensing“ haben. Der jetzige Kölner vertrat zwischen 2004 sowie 2008 23-mal und meistens überzeugend Oliver Kahn. In die Rolle der Nummer eins wuchs er jedoch nie hinein. Selbst die aktuellen Nationaltorhüter Neuer und René Adler hatten ein durchwachsenes zweites Jahr. Im Bayern-Tor darf sich allerdings keiner einen Durchhänger erlauben. „Wenn ein Spieler bei einer Spitzenmannschaft wie Bayern München nicht mit Konkurrenz leben kann, dann muss er gehen. Das gilt nicht nur für Thomas Kraft, sondern für jeden Spieler“, sagte van Gaal, als er noch keine „lame duck“ war und noch die volle Autorität genoss, und hätte damit sowohl Kraft als auch den ins Auge genommenen Neuer verprellen können. Am Ende hätte der Niederländer sogar ohne Torwart dastehen können.
Allerdings spielt er seit seinem Amtsantritt in München auch ohne Innenverteidigung. Immerhin holten die Bajuwaren vergangene Saison mit den Slalomstangen Demichelis und van Buyten das nationale Double und erreichten das Champions-League-Finale. Dass das Endspiel um die europäische Fußball-Krone gegen Inter Mailand (0:2) verloren ging, wurde vor allem den beiden Innenverteidigern angelastet. Demichelis und van Buyten sind deswegen in dieser Spielzeit auch aussortiert worden, ohne aber Ersatz zu verpflichten. Stattdessen verteidigen der gelernte Mittelfeldspieler Anatoliy Tymoshchuk sowie eines der beiden zuletzt formschwachen Talente Holger Badstuber und Breno jetzt innen. Die Position des Linksverteidigers hat van Gaal im neuen Jahr zur Praktikantenstelle erklärt. Winterneuzugang Luiz Gustavo, eigentlich als van-Bommel-Nachfolger für das defensive Mittelfeld geholt, sollte zunächst von dort aus die Philosophie seines neuen Trainers kennenlernen.
Das Mittelfeld war und ist nach wie vor das Prunkstück der Bayern-Mannschaft, allerdings nicht mehr so stark besetzt wie in der Vorsaison. Ohne Not ließ van Gaal seinen Landsmann und Kapitän van Bommel zum AC Mailand ziehen. Der „Aggressiv-Leader“ hatte das Vertrauen seines Übungsleiters verloren, als er sich bei einem Spiel der niederländischen Nationalmannschaft verletzte. Trotzig stellte van Gaal Luiz Gustavo auf der linken Abwehrseite auf, selbst nachdem der Brasilianer im Hinspiel des Champions-League-Achtelfinals bei Inter Mailand (1:0) als Abräumer im Mittelfeld geglänzt hatte. Drei Tage später lief im Spitzenspiel gegen Tabellenführer Borussia Dortmund wieder Danijel Pranjic neben Bastian Schweinsteiger im defensiven Mittelfeld auf. Auch weil vom Kroaten, dessen Stärken eher in der Offensive liegen, zu wenig Unterstützung in der Rückwärtsbewegung kam, lieferte Schweinsteiger gegen den BVB eines seiner schlechtesten Leistungen im Bayern-Trikot ab. Van Gaal machte Schweinsteiger zwar zu einem der besten Sechser der Welt, aber diese Saison auch oft genug das Leben schwer. Eine beachtliche Zeit lang musste der Vize-Kapitän als Spielmacher und Thomas Müller, der eigentlich hinter der Spitze spielt, auf den Flügelpositionen aushelfen.
Zumindest einem Münchner dürfte es für die restliche Saison nicht an Motivation mangeln: dem selbstbewussten Trainer, der seinem (Noch-)Arbeitgeber allzu gerne zeigen würde, dass es ein Fehler war, ihn nicht weiter zu beschäftigen.
Senthuran Sivananda
Wenn das Hirn genauso entwickelt wäre wie sein rechter Fuß, dann wäre es großartig.
— Dieter Hoeneß im ,,Doppelpass" über Mario Basler.