Bundesliga-Chronik

1965/66: Aufsteiger machen Furore (Teil II)

Die beiden Münchener Klubs bestimmten das Titelrennen nahezu über die komplette Saison. Die "Löwen" waren am Ende ein wenig bissiger und krallten sich die Schale. In der Endabrechnung schoben sich die Schwarz-Gelben noch zwischen die bayrischen Konkurrenten, da "Emma" einfach nicht zu halten war ...

Winnetou und Uwe Seeler
Als am ersten Spieltag 370.000 Zuschauer für einen neuen Rekordbesuch in den Stadien sorgten, hörte der populärste deutsche Fußballer immer noch auf den Namen Uwe Seeler. Der nach einer Achillessehnenverletzung seine Bestform suchende HSV- und Nationalelfmittelstürmer stand aber nicht nur in der Gunst der Fußballfans ganz oben. Eine Umfrage aus dem Oktober 1965 wies ihn hinter dem ehemaligen US-Präsident John F. Kennedy, Winnetou (!) und Urwalddoktor Albert Schweitzer als größtes Idol der deutschen Jugend aus. Seinen Titel als "Fußballer des Jahres" konnte "Uns Uwe" trotzdem nicht verteidigen. Erstmals wurde mit Hans Tilkowski (BVB) einem Torwart diese Ehrung zuteil. Einen anderen weißen Fleck in der Bundesligageschichte löschte der VfB Stuttgart am Saisonbeginn: Den Schwaben gelang es, als erster Klub aus dem Süden der Republik die Tabellenführung im Oberhaus zu erobern. Indirekt an der Bundesliga beteiligt, wurde Adidas-Chef Adi Dassler zu seinem 65. Geburtstag (3. November) als "Pionier der Sportschuh-Industrie" in der Fußballpresse gewürdigt. Der Großteil der insgesamt 352 eingesetzten Spieler kickte in den von Dassler kreierten Schuhen mit den drei Streifen.

Mit harten Bandagen
Im harten Geschäft Bundesliga sind und waren Reibereien zwischen Trainern und Spielern unvermeidlich. "Wo war heute euer König Radenkovic?", watschte Löwen-Trainer Max Merkel gleichzeitig die Pressevertreter und seinen Keeper ab, nachdem der TSV 1860 dem Lokalrivalen Bayern München mit 0:3 unterlegen war. Seinem Mittelfeldspieler "Atom"-Otto Luttrop glühten wohl die Brennstäbe durch, nachdem Merkel ihn zum trauten Zwiegespräch geladen hatte. Zornig setzte sich Luttrop vom Training ab, was vom Verein mit einer Sperrung der Bezüge für vier Spiele geahndet wurde. Glimpflicher klang der Trainer-Spieler-Disput zwischen Kaiserslauterns Läufer Wilhelm Wrenger und Gyula Lorant aus, da das Präsidium schlichtend intervenierte. Tasmanias Übungsleiter Franz Linken, der von seiner Entlassung aus der Zeitung erfuhr, dementierte nachdrücklich das hartnäckige Gerücht, sein Abwehrspieler Hans-Jürgen Bäsler hätte ihm ein Lehrbuch für Taktik geschickt. Eine derart feinsinnige Attacke wäre Hannovers Helmut Kronsbein wohl allemal lieber gewesen, als das, was ihm in Gelsenkirchen passierte. Ein angetrunkener Zuschauer schlug nach der Partie auf den 96-Coach ein, der darauf hin ein generelles Problem in der "Glückauf-Kampfbahn" ausmachte: "Das ist kein Zustand, dass man hier mitten unter den Zuschauern sitzt." In Braunschweig wünschte man sich vereinsseitig ebenfalls ein passiveres Publikum. Darauf lässt jedenfalls die Anordnung aus dem Oktober 1965 schließen, dass mit Lärminstrumenten angereiste Zuschauer aus dem Stadion zu weisen seien. Dem Meidericher SV waren eher die Pressevertreter ein Dorn im Auge. Er schob der schreibenden Zunft einen Riegel vor dem Zutritt der Kabinengänge.
Ex-Meister im Windschatten des Spitzentrios
Bei den Sechzigern wurde scharf geschossen. Abwehrspieler Rudolf Steiner erlitt Ende 1965 im Training einen Bruch des Mittelhandknochens, als ihn ein Schuss seines Mannschaftskameraden Fredi Heiß aus kurzer Distanz unglücklich traf. In erster Linie taten die Löwen aber den Bundesligakonkurrenten weh. Vom Start weg zählten sie zu den Teams, die den Takt vorgaben. Borussia Dortmund und der verblüffend stark auftrumpfende Lokalrivale Bayern München hielten bravourös mit und mussten sich erst auf der Zielgeraden geschlagen geben. Der Spielplan hatte am vorletzten Spieltag die Partie Borussia Dortmund gegen den TSV 1860 München auf dem Programm. Ein Showdown nach Maß: Der Tabellenführer empfing den punktgleichen Zweiten. Die Sechziger bestanden diese Nervenprobe verdient mit 2:0. Schon in der vorigen Saison konnte ihnen in Sachen Toreschießen keiner etwas vormachen (70 Treffer). Standesgemäß überboten sie die damalige Marke in der Meistersaison noch. Die Verpflichtung Friedhelm Konietzkas trug dazu nicht unerheblich bei, denn der ehemalige Dortmunder erzielte 26 der 80 Löwen-Treffer. Außerdem platzierten sich mit Peter Grosser (18 Treffer) und Rudolf Brunnenmeier (15) zwei weitere Akteure aus der Meistermannschaft unter den besten zehn Bundesligaschützen. Erfolgreichster Goalgetter war jedoch der Dortmunder Borusse Lothar Emmerich, der die Kugel 31 Mal versenkte. Im Saisonfinale traf allerdings auch "Emma" nicht. Drei Niederlagen zum Abschluss brachten die Schwarz-Gelben um den lange gehegten Titeltraum. Da auch den famos auftrumpfenden Münchener Bayern in der Schlussphase die Luft ausging, blieb Dortmund immerhin noch die Vizemeisterschaft. Dass man bei Aufsteiger Bayern München äußerst zufrieden mit der Mannschaftsleistung war, ging bereits nach der Halbserie aus den Worten von Präsident Neudecker hervor: "Es steht zu befürchten, dass mit - wenn auch namhaften - ‚Neuen´, Fremdkörper in unsere gewachsene Mannschaft kommen, die der mustergültigen Harmonie schaden könnten", sinnierte er über Wert oder Risiko von Neuverpflichtungen. Mit einer verblüffenden Konstanz - sowie einem recht konstanten Abstand - verfolgten die ehemaligen Meister Werder Bremen und 1. FC Köln das Führungstrio, ohne in der Rückserie noch in die Phalanx einbrechen zu können. Zu schwach für die Spitze, aber zu stark für den Rest der Liga bildeten sie die Brücke zwischen den Topteams und dem Mittelmaß. Torwart Günter Bernard war den Bremern ein enorm wichtiger Rückhalt beim Sichern des vierten Platzes. Köln kam nicht über den fünften Platz hinaus, weil Georg Knöpfles Team nach der Winterpause auswärts kaum noch Punkte sammelte.

André Schulin

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