Bundesliga

5 Dinge über Hertha BSC

Die Berliner Medien spielen wieder verrückt. »Ich bin besser als Milans Kaká«, soll Kaká, der Berliner, gesagt haben. Und Arne Friedrich sei sich längst mit dem VfB einig. Michael Preetz hält sich derweil die Ohren zu und hofft auf Herthinho.

1. DIE BRASILIEN-CONNECTION

Unterwegs sein und ankommen. Dieter Hoeneß sieht nicht aus wie der Jack Kerouac der Bundesliga, doch Dieter Hoeneß liebt das. Auch in dieser Sommerpause war Herthas Manager unterwegs – wie so häufig in Brasilien, mit Chef-Scout Rudi Wojtowicz, ganz geheim. Zurück kam er mit einem spitzbübischen Lächeln auf den Lippen und drei gerade getrockneten Unterschriften auf clever ausgehandelten Verträgen. Der Plan, in Brasilien auf Spielersuche zu gehen, ist nicht neu, nicht das große Experiment, nicht ein Wandern auf unbekannten Pfaden, nein, bei Hertha scouten sie seit über acht Jahren am Zuckerhut. Der Plan ist einfach. Natürlich auch: Nahe liegend. Denn wo, wenn nicht in Rio de Janeiro, ließe sich besser bei Trainingseinheiten der pausbäckigen Jungbrasilianer kiebitzen, ließe sich erwartungsfreudiger durch die Straßen, vorbei an den filigranen Ballartisten, flanieren? Dabei haben sie stets die Hoffnung im Gepäck, an der nächsten Straßenecke, in einem Hinterhof, an der Strandpromenade doch irgendwann einmal den Scouts von Milan, Barcelona oder Real eine Nasenspitze voraus zu sein.
Zwölf brasilianische Spieler kamen seit 2000 nach Berlin, oftmals angekündigt als »die schwarze Perlen« oder der geheimnisvolle brasilianische Wunderstürmer, nicht selten waren es solche Spieler, an denen sie alle dran waren, natürlich auch Milan, Barcelona und Real. Doch irgendwie ging der einfache Plan nie so einfach auf. Es fing an mit Alex Alves. Für 7,6 Millionen Euro verpflichtete Hertha BSC den damals 24-Jährigen von Cruzeiro aus Belo Horizonte, wirklich glücklich wurde Alves in Berlin nie. Gelegentlich blitzte zwar sein Können auf, doch häufiger fiel die launige Diva durch Eskapaden abseits des Platzes auf. Dabei war sich Hoeneß so sicher, den größten Coup seiner Amtszeit, nein, vielleicht sogar den größten Coup der Bundesligageschichte gelandet zu haben: »Als ich das erste Mal in Brasilien war, hat keiner daran geglaubt, den Transfer realisieren zu können.« Mit den Großen, mit Bayern, Werder und Leverkusen, wollte man mithalten, und das gehe eben nur, raunte Hoeneß seinerzeit, wenn man Spieler vom Kaliber eines Alex Alves verpflichtete.

Stürmer Luizao, immerhin 16-maliger brasilianischer Nationalspieler und bei der WM 2002 im Kader der Seleção, folgte Alves 2002 zur Hertha. Er entpuppte sich als klassischer Fehlkauf: In 26 Spielen machte der frisch gekürte Weltmeister gerade mal vier Tore. Auch andere – etwa Nené oder Lima – kamen, wurden durch das buntgescheckte Medienkarussell wie die neuen Robinhos und Ronaldinhos gejagt, und gingen, ohne dass man das Gefühl hatte, dass sie je für Hertha gespielt hätten. Vollends und langfristig überzeugen konnten in den vergangenen acht Jahren lediglich zwei Brasilianer: Marcelinho und Gilberto – sofern man bei der Bewertung gewillt ist, Marcelinhos eigenwilligen Lebensentwurf auszuklammern. Natürlich, auch Mineiro spielte. Oft gut, stets aber solide, doch erhofft sich eine Bundesligamannschaft bei der Verpflichtung eines Brasilianers nicht mehr als das, nicht mehr als einen »soliden« Spieler?
»Ein interessanter Markt«

Dennoch: Dieter Hoeneß und besonders Trainer Lucien Favre lassen sich von den Enttäuschungen der Vergangenheit nicht abschrecken, ganz so, als ob das beharrliche und konsequente Suchen von Spielern mit brasilianischem Pass irgendwann schon vom Erfolg gekrönt sein muss, ganz so, als ob sie durch die Masse an verpfichteten Brasilianern den Zufall überlisten wollten. Irgendwann würde ihnen das Glück im brasilianischen Spielerdschungel schon hold sein, denn spielen, ja spielen, können sie doch alle. Sagt man zumindest. Und Michael Preetz, Lizenzspieler-Chef, sagt: »Der Markt dort ist sehr interessant. In Brasilien sind noch viele hochklassige Spieler zu einigermaßen vernünftigen Konditionen zu bekommen.« Aktuell hat Hertha fünf Brasilianer Kader, und aktuell, so hofft man, ist ganz sicher eine Perle dabei. Mindestens eine.

Der fünfte Brasilianer im aktuellen Hertha-Kader kam am 17. Juli um kurz nach Zwölf am Flughafen Tegel an. Cicero Santos heißt er, ein 1,80 Meter großer Mittelfeldspieler, 23 Jahre alt. 800.00 Euro Leihgebühr überwies Hertha BSC an Fluminense Rio de Janeiro, mit denen Cicero in der vergangenen Saison im Finale der Copa Libertadores stand. Die »BZ«, diese große Berliner Tageszeitung mit den vielen Bildern, nennt ihn den »Samba-Single«, und die »BZ« weiß auch, dass Cicero in Berlin zweierlei sucht: »Erfolg und eine Frau«. Auf welcher Position Cicero genau spielt, scheint indes nicht ganz geklärt. Einige behaupten, dass er im zentralen Mittelfeld die Fäden zieht, andere sehen ihn als Mineiro-Ersatz, im defensiven Mittelfeld oder aber auch auf den Außenbahnen. Allrounder nennt man einen solchen Spieler gemeinhin.

»Kaká besser als Kaká«

Der 27-jährige Abwehrspieler Kaká kam für 1,9 Millionen Euro vom portugiesischen Erstligisten Academica de Coimbra und sagte in seinem ersten Interview: »Ich bin schüchtern und ehrlich.« Im »Berliner Kurier« wurde er anders dargestellt. Unlängst strickte die Zeitung aus Kakás Hoffnung, eines Tages gegen seinen Namensvetter vom AC Milan zu spielen, und diesem dabei Paroli bieten können, die knallige Überschrift »Ich bin besser als Kaká«. Rodnei Francisco de Lima, ebenfalls Abwehrmann, wechselte vom polnischen Jagiellonia Bialystok zu Hertha BSC. Bialystoks größter Erfolg der Vereinsgeschichte ist ein achter Platz aus dem Jahr 1989. Noch in der Saison 2006/07 spielte die Mannschaft in der 2. Liga Polens. Nun Rückschlüsse auf die Spielstärke von Rodnei zu ziehen, wäre fatal, zumal der 22-Jährige angeblich eh nur eine »geringe Ausbildungsentschädigung« gekostet habe. Und Favre hat er längst überzeugt, zum einen, weil er Brasilianer ist, zum anderen weil er »robust in die Zweikampfe geht«.

Nach den großen Kalibern klingt das alles nicht. Nach den kommenden brasilianischen Wunderdribblern vom Zuckerhut auch nicht. Eher nach ganz normalen Bundesligaspielern. Nach soliden. Doch vielleicht ist das gar nicht so schlecht.

2. ÄGGER, NIX ALS ÄGGER

Die Baustellen brannten. Lichterloh. Und eigentlich hatte Dieter Hoeneß gar keine Zeit Feuerwehrmann zu spielen, denn erst einmal mussten die Personalplanungen abgeschlossen werden, die Brasilianer gehätschelt werden. Doch das Feuer brannte weiter, und wurde täglich größer, bis Dieter Hoeneß mal so richtig auf den Putz haute. »Wenn das stimmt, gibt’s Ärger!«, polterte der Manager, als ihm zu Ohren kam, dass Arne Friedrich sich schlecht behandelt fühlte. Angeblich hatte der Nationalspieler seinem Arbeitgeber bereits vor vier Monaten mitgeteilt, zu welchen Konditionen er seinen Vertrag verlängern würde, seitdem aber nichts mehr gehört. Lesen konnte man auch, dass sich Friedrich mit Horst Heldt vom VfB Stuttgart getroffen habe. In der »Bild« stand es und natürlich auch in der »BZ« – dort war sogar schon von einer Einigung die Rede. Dieter Hoeneß schmeckten die Neuigkeiten wie vegetarisches Schnitzel im Wienerwald, Friedrich solle sich doch bitteschön daran erinnern, wie sehr die Hertha ihn auch in schlechten Tagen immer unterstützt hatte.

Letztlich erwies sich diese brennende Baustelle doch eher als brennender Boulevard-Blätterwald. Oder als ein »Sturm im Wasserglas«, wie Dieter Hoeneß befand, denn eine Anfrage vom VfB habe es nie gegeben, erklärte er nun in Rücksprache mit Friedrich. Und dann fügte der Hoeneß hinzu: »Ich weiß nicht, ob Arne das wirklich so gemeint hat.«

Nein. Doch. Nein. Doch. Nein.

Versöhnliche Worte erstickten es allerdings noch nie – das Boulevard-Feuer. Dass das Interesse an dem Thema trotzdem allmählich nachlässt, scheint eher daran zu liegen, dass unlängst der nächste Brandherd entfacht wurde. Der neue Feuerteufel heißt Marko Pantelic und ist einer von jenen Spielern, den momentan fast jede Bundesligamannschaft in ihren Reihen hat: ein Olympia-Herzenswunsch-Spieler. Hertha BSC hat allerdings auch einen solchen Manager, der genau das sagt, was auch alle anderen Manager derzeit sagen: Nein. Punkt. Aus. War ja klar, denkt sich Pantelic. Und sagt: Doch. Punkt. Aus. So geht das Spielchen seit einigen Tagen.

Scheint Schalkes Fred Rutten, der derzeit um Rafinha bangt, fast zu resignieren (»Wir können die Spieler ja nicht in Ketten legen!«), versuchen es Hoeneß und Favre auf die anschmiegsame Tour. Trainer und Manager erklärten ihrem Top-Torjäger, dass er für das Team unverzichtbar wäre, zudem doch der beste Spieler im Team sei. Das klingt wie Ego-Streicheln für Anfänger. Doch Pantelic mag das – jeder Stürmer mag das. Und prompt verkündete der Serbe seinen Verbleib in Berlin. Die Wogen im Wasserglas glätten sich, das Feuer im Blätterwald lodert kaum noch. Wäre da nicht plötzlich die Frage: Fiedler oder Drobny?

3. DIE T-FRAGE

Derweil in der Saisonvorbereitung Fans und Medien gerne Schreckensszenarien malen, wenn Testspiele nicht so verlaufen, wie man es sich angesichts der Versprechungen und Neuzugänge ausgemalt hatte, üben sich Trainer und Spieler nur allzu gerne in radikalem Zweckoptimismus. Verliert die Mannschaft, sagen Trainer Sätze wie »Wenn wir nun alles gewinnen würden, hätte ich ja gar nichts mehr zu tun.« Spielt das Team Unentschieden oder verliert, sind da doch immerhin »Ansätze« und »Ideen« erkennbar, natürlich fehle es hier und da noch an der »Spritzigkeit«, an der »Abstimmung«, und vor allem an einer A-Elf, denn gefühlte 17 Spieler sind stets noch im Urlaub oder haben Trainingsrückstand.

Nullnummer Hertha

Hertha BSC testete die verbliebenen und vorhandenen Spieler viermal. Gegen den österreichischen Viertligisten SV Thal gewann das Team 7:0. Hochzufrieden war Favre vom Team, verzückt die Fans vor allem von Marko Pantelic, der sich nach wie vor als Torgarant präsentiert. Der Serbe netzte dreimal ein. Es folgten Spiele gegen Hapoel Tel Aviv, den FC Kopenhagen und den FC Liverpool. Hertha schoss kein einziges Tor mehr. Irgendwie zufrieden waren trotzdem alle, denn immerhin kassierte das Team auch keines.

Im letzten Test gegen den FC Liverpool konnten sie sich vor allem bei Christian Fiedler bedanken. Der 33-Jährige kam in der zweiten Hälfte für Jaroslav Drobny und parierte in der 51. Minute einen scharf geschossenen Elfmeter des Ex-Leverkuseners Andrej Woronin. »Glück gehabt«, sagte Fiedler, dieser bescheidene Torwart, der seit 1990 für Hertha BSC spielt.

Noch vor der Partie sah es so aus, als würde Favre an Drobny als Nummer 1 festhalten. Drobny stand, wie in 34 Spielen der letzten Saison, in der Anfangsformation. Fiedler trottete zur Bank. Doch nunmehr ist der Ur-Berliner zumindest wieder im Gespräch – nicht nur wegen der Glanzparade, auch weil Fiedler als integrer Spieler gilt, und sich Trainer in Phasen, in denen es mittelmäßig oder schlecht läuft, nur allzu gerne auf solche besinnen.

Fanliebling Fiedler

Fiedler kennt die Situation im zweiten Glied zu warten: Hinter dem damaligen ungarischen Nationaltorwart Gabor Kiraly harrte er jahrelang als Nummer 2 aus. Die Rolle als Ersatzmann akzeptierte er dennoch – ohne Murren, ohne große Töne zu spucken, ohne Genörgel. Er trainierte einfach weiter. Diszipliniert, mit Eifer, mit dem mittelfristigen Ziel, eines Tages eine neue Chance zu bekommen. Das eigene Ego nahm er stets zurück, im Vordergrund stand bei ihm die Treue zum Verein, die Liebe zur Stadt, der Sinn für das Team. Charakterzüge, die ihn in Berlin zu einem der beliebtesten Spieler machten. Nach der Saison 2005/06, in der Fiedler 29 Spiele absolvierte, wurde Fiedler von den Fans zum besten Spieler der Saison gekürt. Im Verein genießt er ein ebensolches Ansehen: Im Anschluss an seine Profi-Karriere wird er als Torwart-Trainer bei Hertha BSC anfangen.

Spekulationen um den Posten braucht es momentan aber nicht, das weiß Lucien Favre am besten. So kanzelte er nach dem Spiel gegen den FC Liverpool sämtliche Nachfragen direkt ab: »Jaroslav Drobny bleibt die Nummer 1«. Der Tscheche gilt auch als Favres Transfer. 2007 kam er vom VfL Bochum, spielte eine Saison, die man als durchschnittlich bezeichnen kann. Doch er spielte. So wie er auch die ersten Spiele der neuen Saison einen Freifahrtsschein haben wird. Fiedler muss sich mit seiner alten Warteschleifenrolle begnügen. Doch sollte Drobny patzen, kann er sich sich der Solidariät und Unterstützung der Fans sicher sein. Die Diskussion um die Nummer 1 wird dann wieder in Gang kommen und kann dann von Favre nicht so einfach wie nach dem Spiel gegen Liverpool in einem Satz weggewedelt werden: »Ich will nicht länger darüber sprechen.«

4. MUSS MAN NICHT WISSEN

Herthinho, dieses besonders gesellige und umtriebige Maskottchen von Hertha BSC, ist eigentlich gar kein Berliner. Der 2,35 Meter große und 128 Kilo schwere Bär stammt aus, natürlich, Brasilien – genauer: aus der brasilianischen Tiefebene. Einst durfte Herthinho sogar in der ersten Hertha-Mannschaft mitkicken. Noch unter Trainer Falko Götz wurde Herthinho bei einem 15:1-Sieg gegen Lok Leipzig acht Minuten vor Ende der Partie eingewechselt. »Es war ein großer Wunsch von mir«, nuschelte der Bär in sein Fell. Und Michael Preetz knuffelte das Knuffelfell und knuffilierte: »Herthinho ist eine echte Verstärkung! Seine Sturmqualitäten sind außerordentlich – eine echte Alternative für unser Team.«

5. 11FREUNDE ORAKELT

Auf Hertha BSC zu wetten scheint nach wie vor wie mit verbundenen Augen in eine Tüte Haribo Color-Rado zu greifen. Spieler, Trainer und Manager haben derweil klare Vorstellungen: Neuzugang Kaká spricht von der Champions League, Dieter Hoeneß erwartet – wie jedes Jahr – mindestens den UEFA-Cup Platz, Lucien Favre gibt sich reserviert und rational erklärend. In einem Interview mit der »Berliner Morgenpost« sagte er: »Vor uns sind die Bayern, Schalke, Bremen, Leverkusen, Wolfsburg und Stuttgart. Wolfsburg hat schon 30 Millionen investiert, Dortmund 13 oder 14. Dann sind da Hannover, Frankfurt und Hoffenheim.« Hertha würde demnach auf Rang 11 einlaufen – einen Platz schlechter als
letzte Saison. Ist aber alles nebensächlich, denn Favre ist davon überzeugt, spätestens in der nächsten Saison um den Titel mitzuspielen.

In der Amtszeit von Favre mussten mehr als 20 Spieler gehen, etwa genau so viele kamen. Stefan Effenberg würde nun gemeinsam mit Dieter Nickles analysieren: »Vieles hängt davon ab, wie die neuen Spieler integriert werden, und wie sich das Team einspielt.« Wir stimmen ein und sagen: Ganz recht, Stefan! Wirklich einspielen können sich die Herthaner momentan wirklich nicht: Simunic, Friedrich, Lucio und Nicu fehlen wegen Trainingsrückstand. Wir orakeln: Vor Hertha sind die Bayern, Schalke, Bremen, Leverkusen, Wolfsburg und Stuttgart. Wolfsburg hat wie wild investiert, Dortmund hat Klopp. Dann sind da Hannover, Frankfurt und Hoffenheim. Nicht zu vergessen auch der HSV und Karlsruhe. Platz 12 bis 13 für die Hertha.

Andreas Bock

11Freunde-Online