Weltmeisterschaft

Argentinien: Messi und der Messias

Zwei Personen überstrahlen die anderen Mitglieder der argentinischen WM-Delegation deutlich: Trainer Diego Armando Maradona, dessen Spielkunst ihn zu einem der besten Fußballer aller Zeiten aufsteigen ließ, sowie Lionel Messi, der das sportliche Erbe Maradonas antreten könnte. Die „Albiceleste“ hat genug Qualität, in Südafrika eine gute Rolle zu spielen.

Es konnte gar nicht anders kommen. Nachdem Diego Maradona offensiv seine Bereitschaft erklärte, die „Albiceleste“ zu trainieren, war es nur eine Frage der Zeit bis dem früheren argentinischen Fußballgenie das Amt anvertraut wurde. Dies geschah im Oktober 2008. Die Exzentrik des Mannes, der in Kubas Maximo Lider, Fidel Castro, einen Seelenverwandten wähnt, wurde dabei in Kauf genommen. Beispielhaft für die Verehrung im eigenen Lande ist, dass der argentinische Fußballverband (AFA) 2002 einen Versuch startete, die Trikotnummer 10, Maradonas Nummer, in der argentinischen Nationalelf nicht mehr zu vergeben. Die FIFA lehnte diesen Antrag jedoch ab. Eine wohl einzigartige Form der Heldenverehrung wurde dem viermaligen WM-Teilnehmer durch die Gründung der Iglesia Maradonia (Kirche des Maradona) zuteil. Nach eigenen Angaben sollen dieser „Glaubensgemeinschaft“ etwa 40.000 Anhänger angehören. Als streng religiöse Vereinigung herkömmlicher Prägung ist dieser Verbund jedoch nicht anzusehen.

Der aktuelle argentinische Superstar, Lionel Messi (FC Barcelona), ist balltechnisch mit ähnlichem Talent gesegnet wie sein jetziger Coach. Charakterlich verkörpert Messi allerdings nahezu einen Anti-Maradona - bescheiden, ohne Allüren und Skandale, mit geringem Hang zur Selbstinszenierung. In der Saison 2009/10 lief Messi zu seiner bisherigen Höchstform auf, führte Barca mit 34 Treffern zum spanischen Titel und verzückte mit seinen Dribblings die Fußballwelt. "Ich möchte, dass Argentinien neue WM-Helden bekommt", sagte Maradona im Umfeld des Testspiels gegen die DFB-Elf im März 2010 - Messi ist ein geeigneter Kandidat, diesen Anspruch zu verwirklichen.
Argentiniens WM-Aussichten sind so schlecht nicht. Als Top-Titelfavorit werden Spanien und berechtigterweise notorisch Brasilien gehandelt; gleich dahinter sollte dann schon auf Augenhöhe mit drei, vier anderen Teams die „Albiceleste“ angesehen werden.

Obwohl traditionell auch in der Abwehr sattelfest, liegen die besonderen Stärken der Argentinier in der Offensive. Messi (Barca), Higuain (Real Madrid), Milito (Inter), Aguero (Atletico) und Tevez (Manchester City) sind namhafte Akteure, die in europäischen Spitzenligen und Europacup-Wettbewerben auf höchstem Niveau spielen. Sechs Akteure des 23er-Kaders stehen bei argentinischen Klubs unter Vertrag, alle anderen spielen in Europa. Die „Erfahrung“ ballt sich eher in den hinteren Reihen: Gabriel Heinze (O. Marseille), Walter Samuel (Inter), beide Jahrgang 1978, und der Münchner Defensivspieler Martin Demichelis (1980) zählen zu den Routiniers. Senior der argentinischen WM-Auswahl ist allerdings der offensive Mittelfeldspieler Juan Veron (Jahrgang 1975).
Mit Nigeria, Griechenland und Südkorea als Gegner in der Gruppe B hat die „Albiceleste“ vielleicht nicht die einfachste Auslosung erwischt, sollte sich gleichwohl als Erster durchsetzen. Kuriose Randerscheinung: Bei der WM 1994 waren Nigeria und Griechenland schon einmal die Gruppengegner (außerdem Bulgarien). Argentinien, mit dem damals 33-jährigen Maradona, kam trotz seiner Siege über Griechen und Nigerianer nur als Drittplatzierter ins Achtelfinale und scheiterte dort an Rumänien. Für Maradona war das Turnier jedoch bereits nach dem zweiten Spiel beendet. Ihm wurde die Einnahme unerlaubter Substanzen nachgewiesen. Die letzte WM des Spielers Maradona endete mit seinem Turnierausschluss. Der Legendenbildung hat dieser Skandal, wie noch etliche andere, nicht geschadet. Ein Absatz im „Glaubensbekenntnis“ der Iglesia Maradonia sanktioniert schließlich die Fehltritte des Maestros: „Er ist der Gott des Fußballs. Nicht des Lebens“.

Mögliche Aufstellung: Romero - Rodriguez, Samuel, Otamendi, Burdisso - Demichelis, Mascherano, Gutierrez, Messi - Higuain, Tevez

André Schulin