Bundesliga

Der erfolgreichste Vollstrecker

Auch Borussia Mönchengladbachs Werdegang seit 1960 gehen wir in einer weiteren Buchreihe auf den Grund. Der erste Band, kürzlich im AGON Verlag aus Kassel erschienen, enthält Spielberichte von allen zwischen 1965 und 1970 absolvierten Bundesligapartien der Weisweiler-Elf. Neben den Oberliga West-Saisons zwischen 1960/61 und 1962/63 werden aber auch die beiden Regionalliga-Spielzeiten vor dem Aufstieg gewürdigt. Exklusiv hat Maik Großmann für den ersten Band der Reihe mit Herbert Laumen gesprochen und mit dem Nationalspieler und herausragenden Torjäger auf die Geburt der berühmten Fohlen-Elf zurückgeschaut.

Frage: Als "Fohlen" nennt man immer zuerst Netzer, Vogts und Heynckes. Dabei haben Sie fast die kompletten 60er Jahre am Bökelberg gespielt und an die 100 Tore geschossen ...

Herbert Laumen: Allerdings. Ich war im Grunde der erfolgreichste Vollstrecker und bin vor allem auch derjenige, der schon von der D-Jugend an in Gladbach gespielt hat.
Wie genau sind Sie damals zur Borussia gekommen?

Irgendwie hatte ich immer schon ein Faible für den Verein. Schon als kleiner Junge bin ich zum Bökelberg gelaufen und hab mir die alten Spieler aus der Oberliga angeguckt, dann gab es für mich nichts anderes als zu diesem Ver­ein zu gehen. Obwohl ich in einem ganz anderen Stadtteil wohnte und dann sonntags immer gegen meine Klassenkameraden spielen musste.
Einen anständigen Beruf mussten Sie sicher auch lernen?

Richtig, ich hab eine Buchdruckerlehre gemacht und auch noch bis zum zweiten Bundesligajahr in diesem Beruf gearbeitet. Dann waren wir nach dem dritten Spieltag in Nöten und standen auf dem drittletzten Platz. Hennes Weisweiler kam zu uns und sagte, jetzt müssten wir uns entscheiden: entweder Beruf oder Fußball. Ich hatte das Glück, dass meine Firma mir in Aussicht stellte, in könnte jederzeit wiederkommen, wenn es mit dem Fußball nicht klappen würde. Für den Beruf hat sich übrigens niemand entschieden.

Als Sie 1962 in die erste Mannschaft kamen, war Gladbach nicht gerade eine Spitzenmannschaft. Wie sah das Team damals aus?

Da spielten im Großen und Ganzen noch die Pokalsieger von 1960, also recht bekannte Spieler wie Ulrich Kohn, Franz Brungs und Albert Brülls, der allerdings gerade nach Italien verkauft wurde, als ich kam. Das hab ich sehr bedauert, denn er war mein großes Vorbild und so hatte ich leider nie das Glück, mit ihm zusammenzuspielen.

Springen wir ins Jahr 1963. Gladbach wurde nicht in die Bundesliga berufen und meldete sportlich auch nicht gerade Ambitionen an ...

Eigentlich hatten wir ohnehin nicht damit gerechnet, in die Bundesliga aufgenommen zu werden. Denn in den Jahren zuvor war Gladbach, vom Pokalsieg abgesehen, eine Durchschnittsmannschaft, die sich im Mittelfeld oder sogar eher in den unteren Regionen aufgehalten hat. Natürlich, im ersten Regionalligajahr haben wir auch nicht besonders gut gespielt, aber drei Spiele vor Saisonende übernahm dann Hennes Weisweiler von meinem ersten Trainer Langner. Der hat dann gewaltig aussortiert, hat die jungen Spieler dazu geholt, und so kam es dann zur Geburtsstunde der "Fohlen".

Was hat Weisweiler anders gemacht als Fritz Langner?

Fritz Langner war ein unheimlich schwieriger Trainer, der keine Meinung aufkommen ließ und alles, was er machte, war richtig. Und bei Weisweiler war es genau das Gegenteil. Er hat sich mit den Spielern unterhalten, hat sie auch nach ihrer Meinung gefragt. Am Ende hat natürlich immer er allein entschieden, aber er hat uns mit eingebunden, hat sich Rat gesucht, auch bei taktischen Sachen. Und das war sein großes Plus. Natürlich hat er auch das Glück gehabt, dass die Mannschaft quasi aus dem Nichts kam und überhaupt keine Erwartungen auf ihm lasteten. Dann hatten wir auch noch einen Bombenstart mit 10:0 Punkten, was eine unglaubliche Euphorie zur Folge hatte. Man hat zwar gesagt, das halten die Jungens eh nicht durch, aber da haben wir mal ein Spiel verloren und dann gleich wieder fünf gewonnen. Dann haben wir einfach nicht mehr aufgehört und uns am Ende doch durchgesetzt. Weisweilers Anteil daran war enorm. Er hat zwar gnadenlos aussortiert und auf die Älteren auch keine Rücksicht mehr genommen, aber nur so hat er die optimale Mischung gefunden.

Gab es unter Weisweiler einstudierte Spielzüge - speziell im Angriff?

Oh ja, die gab es. Wir haben Standardsituationen bis zum Erbrechen geübt. Eckbälle, Freistöße - alles von Günter Netzer. Donnerstags und freitags stand das auf dem Programm, und es war erstaunlich, wie gut das funktionierte. Ich kann mich erinnern, in einer Saison hab ich mal neun Kopfballtore gemacht, nur auf Freistöße und Ecken von Günter Netzer.

Wie war ihr persönliches Verhältnis zum Trainer?

Am Anfang war es sehr gut, aber dann stellte er mich auf eine Position, die mir nicht lag, nämlich auf Rechtsaußen. Darüber hatten wir sogar einen ziemlichen Krach, und dann passierte auch noch etwas anderes. Ich war damals sehr gut mit Berti Vogts befreundet und hatte mit ihm auch schon einen Urlaub geplant. Dann bekam der aber vom Hennes das Angebot, mit ihm zur WM nach England zu fahren, als Tourist sozusagen, um der Nationalmannschaft zuzuschauen. Nun war unser Urlaub aber schon gebucht, und der Berti sagte auch, das könne er nicht machen, mich da jetzt hängen zu lassen. Da sagte der Weisweiler ‚Gut, dann kommt ihr beide mit´, und das wurden tolle 14 Tage. Dort in England gab´s dann auch die große Aussprache. Von da an spielte ich dann im vorderen Mittelfeld und hab fünf Jahre lang die meisten Tore gemacht.

Sehr gelegen kam Ihnen da Ihre Beidfüßigkeit. Haben sie das extra trainiert?

Eigentlich nicht, das war wohl angeboren. Ich weiß es nicht, aber ich hatte da keine Probleme; ob mit rechts oder links, der Ball musste halt rein. Das kann man auch niemandem antrainieren. Wenn Sie mal den Wolfgang Overath nehmen, der hatte das rechte Bein nur zum gerade stehen. Aber ich hatte diese Gabe zum Glück und war obendrein auch noch kopfballstark.

In zwei Länderspielen haben Sie ein Tor geschossen. Keine schlechte Quote eigentlich. Warum ist es nicht mehr geworden?

Ich hatte eben Pech, dass es Gerd Müller und Uwe Seeler gab. An denen vorbeizukommen, war unmöglich. Wenn die gut gespielt haben, dann hatte man keine Chance. Das war auch in Ordnung für mich, nur bei der WM 1970 in Mexiko, da war ich stinkig. Wir waren Deutscher Meister geworden, ich hatte 19 oder 20 Tore gemacht und hatte den Anzug für die WM schon anprobiert. Und dann war ich einer von den beiden, die dann doch nicht mitgefahren sind.

Welche Gegenspieler haben ihnen am besten bzw. weniger gelegen?

Probleme gab es schon mal mit Schwarzenbeck von den Bayern oder auch Simmet und Hemmersbach von Köln, obwohl wir gegen die immer gewonnen haben. Trotzdem haben die Jungs ganz schön hingelangt. Andersrum kann ich mich nur an Hermann Straschitz erinnern, der spielte damals bei Hannover. Da habe ich in sechs Minuten drei Tore gemacht, was sogar der schnellste Hattrick der Bundesligageschichte war. Den haben sie dann ganz schnell ausgewechselt.

Die schillerndste Figur war Günter Netzer. Hatte er von Anbeginn eine Sonderstellung?

Günter war schon immer etwas auf Abstand. Im Spiel selbst oder in der Mannschaft war er natürlich sehr präsent; wir brauchten ihn und er brauchte uns auch. Nach dem Spiel wollte Günter aber schon ein bisschen für sich sein und hat sich dann auch zurückgezogen. Trotzdem ist das Verhältnis niemals schlecht gewesen, überhaupt nicht. Da ist auch einer, von dem hätte man das letzte Hemd bekommen, wenn es Probleme gegeben hätte. Er war halt ein überragender Fußballer, und die besten Spiele hat er sowieso gemacht, wenn er sich mit dem Hennes verkracht hatte. Da wollte er ihm dann zeigen: Hier, auf mich kannst du nicht verzichten. Der Streit war aber immer rein sportlich. Als zum Beispiel Rupp und Heynckes den Verein verlassen haben, hat er dafür gesorgt, dass Kontakt mit Peter Meyer aufgenommen wurde. Viele Transfers sind ganz sicher auf Günters Anraten passiert.

Gab es auch mal Streit zwischen Sturm und Abwehr? Vorne lief es ja ordentlich, während hinten das Niveau noch nicht so hoch war.

Eigentlich nicht, aber mit der Zeit wusste der Weisweiler genau, dass er was tun musste. Und dann kam der Günter Netzer und hat gesagt: Trainer, wir müssen da hinten einen haben, der den Laden zusammenhält. Darauf­hin wurden Luggi Müller und Sieloff verpflichtet, und dann sind wir auf Anhieb auch Meister geworden.

Sie persönlich sind von schweren Verletzungen verschont geblieben ...

Nicht ganz, ich zog mir einen Kreuzbandriss zu. Allerdings in der Uwe-Seeler-Mannschaft, weit nach meiner Karriere.

Einen Bruch hatten sie allerdings auch. Und der machte Sie sogar berühmt ...

(lacht) Na klar, der Pfosten­bruch. Jedes Jahr Anfang April werde ich angerufen, muss die Schallplatte wieder auflegen. Besonders schlimm ist es, wenn ein Jubiläum ansteht. 20, 25, 30 Jahre - dann kommen wieder alle. Aber das ist so eine Sache; niemand erinnert sich an die vielen Tore, die ich gemacht habe. Aber dass ich den Pfosten kaputt gemacht hab, das weiß jeder ...

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