Der Zusammenhalt war fantastisch
von Günther Jakobsen
Winterpause - die Zeit, in der bundesligamäßig weder "der Ball rollt" noch "die Wahrheit auf dem Platz" liegt. Eine gute Gelegenheit also, einen Rückblick in die Historie der Liga zu wagen. In Interviews (enthalten in den Buchreihen "Mein Verein") mit den wissbegierigen fussballdaten-Journalisten Maik Grossmann und Christian Brackhagen schildern markante Spieler aus verschiedenen Klubs, was Sache war - in den 70er-Jahren. Den Anfang macht das Gespräch Christian Brackhagens mit dem Schalker Dribbelkönig Erwin Kremers.
Erwin Kremers kam 1972 gemeinsam mit seinem Zwillingsbruder Helmut von den Offenbacher Kickers zu den Knappen, wurde als Linksaußen gleich zu einem Schlüsselspieler und blieb dem Verein bis zu seinem verletzungsbedingten Karriereende in der Saison 1978/79 treu. Über seine bewegte Laufbahn unterhielt er sich mit Christian Brackhagen.
Hallo Herr Kremers. Erinnern Sie sich an den 9. Oktober 1976?
Nein, helfen Sie mir auf die Sprünge.
Es war der neunte Spieltag der Saison 1976/77, und Schalke schlug den FC Bayern mit 7:0.
Natürlich. Das war ein historischer Sieg. In der zweiten Halbzeit musste ich aufgrund eines Muskelfaserrisses ausgewechselt werden. Obwohl ich der schlechteste Kopfballspieler in Westeuropa war, hatte ich zuvor mit dem Kopf getroffen. Nach dem Spiel flog ich zusammen mit Klaus Fischer und Franz Beckenbauer zu einer Veranstaltung in Essen. Der Franz war ganz schön deprimiert.
Ein Jahr später kassierten Sie an gleicher Stelle eine 1:7-Schlappe. Die beiden Partien waren typisch für diese aus S04-Sicht so wechselhafte und ereignisreiche Zeit, die für Sie 1972 mit dem Gewinn des DFB-Pokals und der Vizemeisterschaft begann.
Wären nicht die Turbulenzen um den Bundesligaskandal dazwischen gekommen, hätten wir es mit Sicherheit auf den ersten Platz geschafft. Unser Trainer Ivica Horvat war eine absolute Respektsperson und in der Mannschaft herrschten ein fantastischer Zusammenhalt und eine prächtige Stimmung. Auch heute noch treffe ich mich regelmäßig mit Klaus Fischer, Rüdiger Abramczik und Rolf Rüssmann. Dazu spielten wir einen attraktiven Offensivfußball, der auf einer stabilen Abwehr basierte.
In Ihrer zweiten Saison folgte dann der Absturz, weil viele Leistungsträger wegen ihrer Beteiligung an der Bestechungsaffäre gesperrt waren. Wie sah Ihre Rolle in der umstrukturierten Truppe aus?
Die einzig verbliebenen Führungsspieler waren mein Zwillingsbruder Helmut, Torwart Norbert Nigbur und ich. Gemeinsam leiteten wir die junge Mannschaft und feierten am Ende den Klassenerhalt. Trotz des DFB-Pokal-Siegs und den Vizemeisterschaften 1972 und 1977 war der Ligaverbleib zweifellos der größte Erfolg, den ich mit Schalke erreicht habe.
Wie beurteilen Sie den Bundesligaskandal, der ja zu dieser Zeit das alles überschattende Thema war?
Was meine späteren Teamkollegen 1971 gemacht haben, war natürlich alles andere als in Ordnung. Das verschobene Spiel gegen Bielefeld muss man aber eher als eine Art Freundschaftsdienst ansehen, der durch den Wechsel von Waldemar Slomiany zur Arminia zu Stande kam. Ich kann ihnen nämlich versichern, dass beispielsweise Klaus Fischer und Rolf Rüssmann tolle Menschen sind.
Erhielten Sie, damals noch in Diensten von Kickers Offenbach, auch ein solches Angebot?
Mein Bruder und ich trafen uns einmal mit Bielefelder Verantwortlichen, um über einen Wechsel zu verhandeln. Als sie uns in diesem Zusammenhang in die Manipulationen einbinden wollten und Blankoschecks aus der Tasche zogen, war die Angelegenheit für uns sofort erledigt.
Zurück zum Sportlichen. War für die wechselhaften Saisonergebnisse in den 70ern allein die Abstinenz der gesperrten Akteure verantwortlich oder gab es noch andere Gründe?
Da fällt mir sofort Max Merkel ein. Er war die Katastrophe in Person und zog den Verein total herunter. Besonders zu kritisieren war sein Umgang mit der Mannschaft und seine unzureichenden taktischen Kenntnisse. Allerdings musste man auch der Führung um Präsident Günter Siebert einen Vorwurf machen, die Merkel erst nach einer achtmonatigen Amtszeit im März 1976 entließ.
Auf internationalem Parkett waren die Königsblauen in dieser Zeit nur selten vertreten. Mehr Erfolg hatten Sie in dieser Hinsicht in der DFB-Auswahl, mit der Sie 1972 Europameister wurden.
Um ehrlich zu sein, habe ich der Nationalmannschaft gar nicht so eine große Bedeutung bei-gemessen. Es machte zwar immer Spaß, mit Freunden wie Günter Netzer zu spielen, doch wirklich zuhause fühlte ich mich nur bei Schalke. Ich freute mich immer wahnsinnig, wenn ich nach Gelsenkirchen zurückkam.
An der WM 1974 hätten Sie sicher trotzdem gerne teilgenommen. Dass es nicht dazu kam, hatte keine sportlichen Gründe: Im letzten Spiel der Saison beschimpften Sie Schiedsrichter Klauser und wurden vom DFB verbannt.
Natürlich hätte ich das Turnier im eigenen Land gerne bestritten. Aber ich stehe voll und ganz dazu, dass ich ihn “blöde Sau“ genannt habe. Ich bin eben ein Gerechtigkeitsfanatiker. Außerdem ist mir Bernd Hölzenbein, der für mich in den Kader rückte, bis heute unglaublich dankbar.
Im Vorfeld der Weltmeisterschaft nahmen Sie zusammen mit Helmut einen Song auf. Wie kam es dazu?
Als wir in der Sendung “Die Montagsmaler“ zu Gast waren, fragte uns Moderator Frank Elstner, ob wir auch singen könnten. Da mein vorlauter Bruder bejahte, bekam ich ein paar Tage später einen Anruf vom Plattenproduzenten Leo Leandros, mit dem wir dann zum Spaß “Das Mädchen meiner Träume“ aufnahmen. Es war eine schöne Erfahrung und dazu noch erfolgreich.
Mit Ihrer spektakulären Spielweise, die vor allem aus Tempodribblings und Flanken bestand, sorgten Sie ebenfalls für Schlagzeilen. Gegen wen hatten Sie es am schwersten?
Besonders unangenehm waren Gladbachs Berti Vogts und der Bremer Horst-Dieter Höttges, die einem keinen Zentimeter Platz ließen, hart attackierten und sich nicht ohne weiteres austricksen ließen. Ich konnte mich allerdings immer gut aus der Affäre ziehen. Heute, wo jedes kleine Foul sofort abgepfiffen wird, herrschen für die Stürmer dagegen ja paradiesische Zustände.
Ivica Horvat titulierte Sie einst als den “besten Linksaußen der Welt“. Welche Klubs haben bei Ihnen angeklopft?
Vor der WM 1974 hatte ich Angebote vom FC Barcelona und Real Madrid. Außerdem lagen zwei Anfragen von Bayern München vor. Ich wäre auch an einem Wechsel interessiert gewesen. Weil ich aber keinen seriösen Berater hatte und die Kameradschaft auf Schalke einzigartig war, blieb ich ein Knappe.
Bis zu Ihrem unerfreulichen Karriereende in der Saison 1978/79 …
Richtig. Genauso schlimm wie der Knochenausriss im Oberschenkel, der mich in die Invalidität zwang, war jedoch, dass ich noch nicht einmal verabschiedet wurde. Ein weiteres Beispiel für die Führungsschwäche, unter der Schalke damals zu leiden hatte.
Wie war es, Ihren Bruder erstmals von außen beim Kicken zu beobachten?
Es war schon ein komisches Gefühl, denn wir hatten bis dahin ja immer zusammen gespielt und super harmoniert, was sich auch positiv auf die jeweilige Mannschaft auswirkte. In Erinnerung sind allerdings nur die schönen Momente geblieben. Ich danke dem lieben Gott dafür, dass ich Talent hatte und in kurzer Zeit so viel erleben durfte.
Zu den Infos über die Buchreihe "Mein Verein"
Erwin Kremers kam 1972 gemeinsam mit seinem Zwillingsbruder Helmut von den Offenbacher Kickers zu den Knappen, wurde als Linksaußen gleich zu einem Schlüsselspieler und blieb dem Verein bis zu seinem verletzungsbedingten Karriereende in der Saison 1978/79 treu. Über seine bewegte Laufbahn unterhielt er sich mit Christian Brackhagen.
Hallo Herr Kremers. Erinnern Sie sich an den 9. Oktober 1976?
Es war der neunte Spieltag der Saison 1976/77, und Schalke schlug den FC Bayern mit 7:0.
Ein Jahr später kassierten Sie an gleicher Stelle eine 1:7-Schlappe. Die beiden Partien waren typisch für diese aus S04-Sicht so wechselhafte und ereignisreiche Zeit, die für Sie 1972 mit dem Gewinn des DFB-Pokals und der Vizemeisterschaft begann.
Wären nicht die Turbulenzen um den Bundesligaskandal dazwischen gekommen, hätten wir es mit Sicherheit auf den ersten Platz geschafft. Unser Trainer Ivica Horvat war eine absolute Respektsperson und in der Mannschaft herrschten ein fantastischer Zusammenhalt und eine prächtige Stimmung. Auch heute noch treffe ich mich regelmäßig mit Klaus Fischer, Rüdiger Abramczik und Rolf Rüssmann. Dazu spielten wir einen attraktiven Offensivfußball, der auf einer stabilen Abwehr basierte.
In Ihrer zweiten Saison folgte dann der Absturz, weil viele Leistungsträger wegen ihrer Beteiligung an der Bestechungsaffäre gesperrt waren. Wie sah Ihre Rolle in der umstrukturierten Truppe aus?
Die einzig verbliebenen Führungsspieler waren mein Zwillingsbruder Helmut, Torwart Norbert Nigbur und ich. Gemeinsam leiteten wir die junge Mannschaft und feierten am Ende den Klassenerhalt. Trotz des DFB-Pokal-Siegs und den Vizemeisterschaften 1972 und 1977 war der Ligaverbleib zweifellos der größte Erfolg, den ich mit Schalke erreicht habe.
Wie beurteilen Sie den Bundesligaskandal, der ja zu dieser Zeit das alles überschattende Thema war?
Was meine späteren Teamkollegen 1971 gemacht haben, war natürlich alles andere als in Ordnung. Das verschobene Spiel gegen Bielefeld muss man aber eher als eine Art Freundschaftsdienst ansehen, der durch den Wechsel von Waldemar Slomiany zur Arminia zu Stande kam. Ich kann ihnen nämlich versichern, dass beispielsweise Klaus Fischer und Rolf Rüssmann tolle Menschen sind.
Erhielten Sie, damals noch in Diensten von Kickers Offenbach, auch ein solches Angebot?
Mein Bruder und ich trafen uns einmal mit Bielefelder Verantwortlichen, um über einen Wechsel zu verhandeln. Als sie uns in diesem Zusammenhang in die Manipulationen einbinden wollten und Blankoschecks aus der Tasche zogen, war die Angelegenheit für uns sofort erledigt.
Zurück zum Sportlichen. War für die wechselhaften Saisonergebnisse in den 70ern allein die Abstinenz der gesperrten Akteure verantwortlich oder gab es noch andere Gründe?
Da fällt mir sofort Max Merkel ein. Er war die Katastrophe in Person und zog den Verein total herunter. Besonders zu kritisieren war sein Umgang mit der Mannschaft und seine unzureichenden taktischen Kenntnisse. Allerdings musste man auch der Führung um Präsident Günter Siebert einen Vorwurf machen, die Merkel erst nach einer achtmonatigen Amtszeit im März 1976 entließ.
Auf internationalem Parkett waren die Königsblauen in dieser Zeit nur selten vertreten. Mehr Erfolg hatten Sie in dieser Hinsicht in der DFB-Auswahl, mit der Sie 1972 Europameister wurden.
Um ehrlich zu sein, habe ich der Nationalmannschaft gar nicht so eine große Bedeutung bei-gemessen. Es machte zwar immer Spaß, mit Freunden wie Günter Netzer zu spielen, doch wirklich zuhause fühlte ich mich nur bei Schalke. Ich freute mich immer wahnsinnig, wenn ich nach Gelsenkirchen zurückkam.
An der WM 1974 hätten Sie sicher trotzdem gerne teilgenommen. Dass es nicht dazu kam, hatte keine sportlichen Gründe: Im letzten Spiel der Saison beschimpften Sie Schiedsrichter Klauser und wurden vom DFB verbannt.
Natürlich hätte ich das Turnier im eigenen Land gerne bestritten. Aber ich stehe voll und ganz dazu, dass ich ihn “blöde Sau“ genannt habe. Ich bin eben ein Gerechtigkeitsfanatiker. Außerdem ist mir Bernd Hölzenbein, der für mich in den Kader rückte, bis heute unglaublich dankbar.
Im Vorfeld der Weltmeisterschaft nahmen Sie zusammen mit Helmut einen Song auf. Wie kam es dazu?
Als wir in der Sendung “Die Montagsmaler“ zu Gast waren, fragte uns Moderator Frank Elstner, ob wir auch singen könnten. Da mein vorlauter Bruder bejahte, bekam ich ein paar Tage später einen Anruf vom Plattenproduzenten Leo Leandros, mit dem wir dann zum Spaß “Das Mädchen meiner Träume“ aufnahmen. Es war eine schöne Erfahrung und dazu noch erfolgreich.
Mit Ihrer spektakulären Spielweise, die vor allem aus Tempodribblings und Flanken bestand, sorgten Sie ebenfalls für Schlagzeilen. Gegen wen hatten Sie es am schwersten?
Besonders unangenehm waren Gladbachs Berti Vogts und der Bremer Horst-Dieter Höttges, die einem keinen Zentimeter Platz ließen, hart attackierten und sich nicht ohne weiteres austricksen ließen. Ich konnte mich allerdings immer gut aus der Affäre ziehen. Heute, wo jedes kleine Foul sofort abgepfiffen wird, herrschen für die Stürmer dagegen ja paradiesische Zustände.
Ivica Horvat titulierte Sie einst als den “besten Linksaußen der Welt“. Welche Klubs haben bei Ihnen angeklopft?
Vor der WM 1974 hatte ich Angebote vom FC Barcelona und Real Madrid. Außerdem lagen zwei Anfragen von Bayern München vor. Ich wäre auch an einem Wechsel interessiert gewesen. Weil ich aber keinen seriösen Berater hatte und die Kameradschaft auf Schalke einzigartig war, blieb ich ein Knappe.
Bis zu Ihrem unerfreulichen Karriereende in der Saison 1978/79 …
Richtig. Genauso schlimm wie der Knochenausriss im Oberschenkel, der mich in die Invalidität zwang, war jedoch, dass ich noch nicht einmal verabschiedet wurde. Ein weiteres Beispiel für die Führungsschwäche, unter der Schalke damals zu leiden hatte.
Wie war es, Ihren Bruder erstmals von außen beim Kicken zu beobachten?
Es war schon ein komisches Gefühl, denn wir hatten bis dahin ja immer zusammen gespielt und super harmoniert, was sich auch positiv auf die jeweilige Mannschaft auswirkte. In Erinnerung sind allerdings nur die schönen Momente geblieben. Ich danke dem lieben Gott dafür, dass ich Talent hatte und in kurzer Zeit so viel erleben durfte.
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