EURO 1996: Der schmale Grat
von Günther Jakobsen
»Ich führte ein behämmertes Leben, ich war ein behämmerter Typ«, sagte Paul Gascoigne einst über sich. Wie genial ein Behämmerter sein kann, zeigte »Gazza« bei der EM 1996 – dem letzten Glanzpunkt seiner Karriere.
»Ich glaube, sein Problem liegt zwischen den Ohren.« Zugegeben, TV-Ikone Werner Hansch dachte nicht an den englischen Ausnahmefußballer Paul Gascoigne, als ihm diese Worte über die Lippen kamen. Passend sind sie trotzdem. Kaum ein Spieler mit gehobenem internationalem Niveau balancierte ungeschickter auf dem schmalen Grat zwischen Genie und Wahnsinn als der exzentrische Lebemann aus dem kleinen Nest Gateshead im Nordosten von England.
Einer seiner letzten genialen Momente entzückte die Fußballwelt bei der Europameisterschaft 1996 im Spiel gegen die schottische Auswahl. Das zum »Battle of Britain« hochstilisierte Aufeinandertreffen im Londoner Wembleystadion entschied »Gazza« mit einer sagenhaften Einzelaktion. Aus vollem Lauf lupfte er einen langen Pass von Daren Anderton mit dem linken Fuß direkt über den Kopf von Abwehrspieler Colin Hendry hinweg und donnerte den Ball mit dem rechten Fuß volley an Torhüter Andy Goram vorbei ins schottische Tor. Ein Mitspieler spritzte Gascoigne beim anschließenden Torjubel aus einer Getränkeflasche direkt in den weit aufgerissenen Mund. Hämische Zeitgenossen würden die Symbolkraft dieser Szene genüsslich sezieren – jeder Höhepunkt, aber auch jede Niederlage, ob privater oder fußballerischer Natur, diente ihm als Anlass zu ausufernden Trinkgelagen.
Der Abstieg begann im Halbfinale
Die englische Mannschaft musste später im Halbfinale gegen Deutschland die Segel streichen. Es begann der stetige Abstieg des »Mythos Gascoigne«, der seinen Ursprung nicht nur in seinen außergewöhnlichen fußballerischen Fähigkeiten, sondern auch in einem Tränenausbruch bei der WM 90 in Italien hatte. Der bullige Mittelfeldspieler konnte nach einer Verwarnung im Halbfinale, die eine Sperre in einem möglichen Finalspiel nach sich zog, seine Gefühlswelt nicht mehr verbergen. Millionen englischer »Sportsmen« erlebten live am Fernsehschirm, wie der harte Hund echte Emotionen zeigte. Auf der Insel stehen Spieler, die mit Herzblut dabei sind, seit jeher hoch im Kurs.
Im Vereinsfußball erlebte Gascoigne seine beste Zeit bei den Glasgow Rangers. Es dauerte drei Jahre, bis auch die Verantwortlichen des schottischen Vorzeigeklubs seiner ständigen Eskapaden überdrüssig geworden waren. Es folgte der sportliche Abstieg über Middlesbrough, Everton und Burnley bis in die Niederungen der chinesischen Liga und schließlich zum Sechstligisten Kettering Town. Alkohol, Medikamente, Übergewicht und Skandale am Fließband säumten seinen Weg nach unten, unterbrochen von immer seltener werdenden Geistesblitzen auf dem Rasen. Als er schließlich seine offizielle Karriere für beendet erklärte, wollte er auch seine ruhmlose Vergangenheit abseits des Platzes ablegen: »Ich heiße ab sofort nicht mehr Paul Gascoigne, ich bin auch nicht mehr Gazza«, verkündete er. Man möge ihn von jetzt an »G8« rufen, eine Kombination aus dem Anfangsbuchstaben seines Nachnamens und seiner Rückennummer. Das sollte »irgendwie groß« klingen. Wie gesagt, es war immer ein schmaler Grat, auf dem sich Gascoigne bewegte.
Gereon Detmer
11freunde-Online
Zu den Daten der EM 1996
»Ich glaube, sein Problem liegt zwischen den Ohren.« Zugegeben, TV-Ikone Werner Hansch dachte nicht an den englischen Ausnahmefußballer Paul Gascoigne, als ihm diese Worte über die Lippen kamen. Passend sind sie trotzdem. Kaum ein Spieler mit gehobenem internationalem Niveau balancierte ungeschickter auf dem schmalen Grat zwischen Genie und Wahnsinn als der exzentrische Lebemann aus dem kleinen Nest Gateshead im Nordosten von England.
Einer seiner letzten genialen Momente entzückte die Fußballwelt bei der Europameisterschaft 1996 im Spiel gegen die schottische Auswahl. Das zum »Battle of Britain« hochstilisierte Aufeinandertreffen im Londoner Wembleystadion entschied »Gazza« mit einer sagenhaften Einzelaktion. Aus vollem Lauf lupfte er einen langen Pass von Daren Anderton mit dem linken Fuß direkt über den Kopf von Abwehrspieler Colin Hendry hinweg und donnerte den Ball mit dem rechten Fuß volley an Torhüter Andy Goram vorbei ins schottische Tor. Ein Mitspieler spritzte Gascoigne beim anschließenden Torjubel aus einer Getränkeflasche direkt in den weit aufgerissenen Mund. Hämische Zeitgenossen würden die Symbolkraft dieser Szene genüsslich sezieren – jeder Höhepunkt, aber auch jede Niederlage, ob privater oder fußballerischer Natur, diente ihm als Anlass zu ausufernden Trinkgelagen.
Die englische Mannschaft musste später im Halbfinale gegen Deutschland die Segel streichen. Es begann der stetige Abstieg des »Mythos Gascoigne«, der seinen Ursprung nicht nur in seinen außergewöhnlichen fußballerischen Fähigkeiten, sondern auch in einem Tränenausbruch bei der WM 90 in Italien hatte. Der bullige Mittelfeldspieler konnte nach einer Verwarnung im Halbfinale, die eine Sperre in einem möglichen Finalspiel nach sich zog, seine Gefühlswelt nicht mehr verbergen. Millionen englischer »Sportsmen« erlebten live am Fernsehschirm, wie der harte Hund echte Emotionen zeigte. Auf der Insel stehen Spieler, die mit Herzblut dabei sind, seit jeher hoch im Kurs.
Gereon Detmer
11freunde-Online
Zu den Daten der EM 1996