Bundesliga

Normaler Ernst-Fall

Nach einem frechen Saisonstart gefiel sich der DSC schon in der Verantwortung des Bayern-Jägers, dann aber überholte ihn die Realität. Aus der Traumfabrik der ersten Wochen wurde binnen kurzer Zeit ein peinlicher Punktelieferant, an dem sich vor allem die Topvereine gnadenlos vergingen. Als kurz vor Weihnachten alle Dämme brachen, war selbst der „Jahrhunderttrainer“ nicht mehr zu halten.

Ihr bestes Pulver der Hinrunde verschoss Arminia in den ersten drei Partien. Einem reifen Auftaktsieg in Wolfsburg (3:1) folgten vier weitere Zähler gegen Frankfurt (2:2) und Hertha BSC (2:0), wobei die Ausbeute nicht einmal befriedigte, da auch die Hessen noch bis kurz vor Schluss klar hinten lagen. Noch bis Mitte September machte das Spiel der Arminia Spaß und mit ihm auch der Blick auf die Tabelle, die den DSC als allerersten Bayern-Jäger auswies. Ernst Middendorp gefiel sich in dieser Rolle und versprach sogar vollmundig, den Münchenern möglichst lang auf den Fersen zu bleiben. Das Hochgefühl jedoch, es verpuffte rasend schnell, kaum dass die Gegner ein wenig prominenter wurden. Auf Schalke (0:3) hatte Bielefeld nicht nur gar nichts zu bestellen, sondern nahm auch noch nachhaltig Schaden. Ohne Mumm und ohne Selbstvertrauen setzte es ein 0:2 gegen Hannover und nur drei Tage später eine endgültig demaskierende Klatsche: In einem hochnotpeinlichen Auswärtsspiel warf sich Arminia einem ausgehungerten Werder Bremen zum Fraß vor und verlor mit 1:8. Die Stimmung in Ostwestfalen sank auf Null. Weder jagte man jetzt noch die Bayern noch war eine sorglose Saison selbstverständlich. Vor allem aber war nun Ernst Middendorp, den man auf der 100-Jahr-Feier noch zum „Trainer des Jahrhunderts“ geadelt hatte, nicht mehr länger unantastbar.

Zerstückeln ließ sich die Mannschaft zwar vorerst nicht wieder, doch hatte sie unübersehbar einen Knacks. Gegen Hamburg (0:1) und beim KSC (0:0) war Arminia fast wieder die alte, nämlich das freudlos mauernde Kellerteam von früher. Wichniarek und Eigler, die anfangs so zügellosen Stürmer, tauchten ab, auch weil die Motoren wie Böhme und Masmanidis das Risiko immer mehr scheuten. Bielefeld wurde berechenbar. Einen Ausweg sollte das Heimspiel gegen Cottbus aufzeigen, doch glichen in letzter Sekunde die Lausitzer noch aus (1:1) und schubsten Arminia gleich ins nächste Debakel (0:4 in Leverkusen). Platz um Platz fiel der DSC in den Keller und rutschte trotzdem nicht ein einziges Mal unter den Strich, weil erstens noch das Startpolster nährte und zweitens andere Klubs noch viel verzweifelter waren. An genau einem solchen Verein, dem 1.FC Nürnberg, stieß sich Bielefeld dann auch ab und landete nach einem 0:1-Halbzeitrückstand noch den wohl wichtigsten Heimsieg der Hinserie (3:1) – für den Fall einer Niederlage hatte man fest mit einem Trainerwechsel gerechnet. Was sich im Anschluss ereignete, wog insofern umso schwerer. Wieder nämlich ließ sich die Mannschaft gehen, schenkte das Auswärtsspiel in Bochum kampflos her (0:3) und setzte auch den Bayern zu wenig entgegen (0:1). In Dortmund lief das Fass schließlich über: Einem nicht übermächtigen BVB gab sich Bielefeld bedenkenlos hin und ließ sich mit 1:6 demontieren; die offizielle Schießbude der Liga stand damit endgültig auf der Alm. Als der Rauch sich wieder verzog, überraschte Arminia noch einmal positiv, schlug unerwartet den Deutschen Meister (2:0) und schöpfte daraus Zuversicht für die schwierige Rückserie. Für Ernst Middendorp kam dieses Signal jedoch zu spät. Drei Tage nach dem Desaster in Dortmund wurde er zum dritten Mal nach 1990 und 1998 vom Hof gejagt, und dass obwohl er nach dem Pokalspiel in Koblenz (2:1 nach Verlängerung) noch so sicher gewesen war: „Wie lange ich in Bielefeld Coach bin, entscheide ich.“
Maik Großmann