Bundesliga-Chronik

Saison 1968/69: FC Bayern außer Konkurrenz (Teil III)

Erneut stellte das Bundesland Bayern den Meister - Branko Zebec führte den FCB nach dem vor einer Ewigkeit (1932) errungenen ersten Titelerfolg zum zweiten Mal an die nationale Spitze. Weitaus überraschender noch musste das Abschneiden eines anderen bayerischen Vereins betrachtet werden: Der Meister 1. FC Nürnberg war nicht mehr konkurrenzfähig und stieg ab.

Der Spitzenreiter und seine wenigen Widersacher
Nach den beiden ersten Spieltagen legte sich Branko Zebec fest: "Wenn wir nach den drei Spielen gegen den HSV, Schalke und Hertha noch Tabellenführer sind, wird es schwer sein, uns von der Spitze zu verdrängen." Das war vom FCB-Coach nicht leichtfertig daher geredet und letzten Endes eine treffende Prognose. Torjäger Gerd Müller sicherte sich, wie bereits zwei Jahre zuvor, die Torjägerkrone (30 Treffer). Und auch Schlussmann Sepp Maier hatte sein ganz persönliches Erfolgserlebnis: Beim 0:0 gegen Schalke hielt er nach 19 Fehlversuchen seinen ersten Strafstoß in der Bundesliga. "Mir haut sogar unser Geschäftsführer Walter Fembeck einen rein", musste der Nationalkeeper bis dahin zerknirscht eingestehen. Der FC Bayern hatte sich seit seinem Bundesligaeinstieg 1965 als Topteam erwiesen und erstmals in der Saison 1968/69 verdient und mit klarem Vorsprung den Titel geholt. Über die gesamte Spielzeit betrachtet gab es neben den Münchenern nur eine Handvoll anderer Teams, die sich nicht irgendwann besorgt umdrehen und nach dem Abstiegsgespenst Ausschau halten mussten. Dies waren neben den überraschend starken Aachenern noch die Gladbacher, Eintracht Braunschweig, der VfB Stuttgart und der Hamburger SV. Vizemeister Alemannia Aachen forcierte noch während der Spielzeit, ohne Not, den Abschied von Trainer Michael Pfeiffer zum Saisonende: "Der Vorstand ist der Meinung, dass ein Trainerwechsel für die Mannschaft wie für den Verein nur zum Besten sein kann ...", erklärte Pfeiffer achselzuckend in der Pressekonferenz nach dem 22. Spieltag. Ein zwingender Grund für diese Aktion erschloss sich den Außenstehenden nicht. Indes gab es einen triftigen Grund dafür, dass der Mönchengladbacher Spielmacher Günter Netzer den Seinen bei den Spielen gegen Schalke und bei Hertha BSC fehlte. Er hatte eine Trainingswette um 10 Mark verloren, dass ein Sprintduell seiner Mitspieler Peter Meyer und Klaus Ackermann zugunsten Ackermanns enden würde. Meyer gewann, und der angestachelte Netzer forderte Meyer nun selbst heraus - mit dem Ergebnis, sich neben der verlorenen Wette noch einen Muskelfaserriss eingefangen zu haben. Trotz dieser dem Übermut geschuldeten, kurzfristigen Schwächung: Die Fohlenelf zählte zu den wenigen Teams, die spielerisch zu gefallen wussten. Und der kleine, giftige Verteidiger Berti Vogts entwickelte sich mit seinen acht Saisontreffern fast zum Torjäger. Messecup-Teilnehmer HSV, noch auf drei Hochzeiten tanzend (Meisterschaft, DFB-Pokal und Messecup), musste aus Terminnot die Fortsetzung seiner internationalen Spiele (der Messecup war Vorläufer des UEFA-Cups) sausen lassen: "Die anormalen Verhältnisse dieses Winters zwangen uns einfach zu der Konsequenz, aus dem Messepokal freiwillig auszuscheiden", erklärte die Geschäftsleitung Ende März `69. Nutznießer war der türkische Verein Götzepe Izmir, der kampflos eine Runde weiter kam.

Mehr als die halbe Liga im Abstiegskampf
Die Münchener Löwen hatten ihre größten Probleme zum Saisonstart, was mit dem ersten Trainerwechsel der Spielzeit (Albert Sing wurde durch Hans Pilz ersetzt) korrigiert wurde. Sing hatte die Mannschaft als schwer trainierbar empfunden: "Wenn ich etwas gesagt habe fehlte mir die Unterstützung. Vier oder fünf Leute meldete ich. Jeder ging zum Vorstand, geschehen ist dann nichts." Hannover und Duisburg schummelten sich ohne größere Blessuren durch die Saison, alle anderen Klubs der unteren Tabellenhälfte hatten zumindest phasenweise das zweifelhafte Vergnügen, auf den Schleudersitzen zur Regionalliga Platz zu nehmen. Um Schalkes Zukunft sah es schlecht bestellt aus, bis USA-Rückkehrer Rudi Gutendorf (er coachte zuvor die St. Louis Stars und löste Günter Brocker bei S04 ab) den Königsblauen neues Leben einhauchte und sie am Ende auf einen nicht für möglich gehaltenen siebten Rang führte. Die früheren Meister Werder Bremen und 1. FC Köln waren ganz weit von altem Glanz entfernt, wenngleich die Bremer zu Saisonbeginn eine neue Rekordmarke setzten: Übergreifend mit den Begegnungen aus der vorigen Spielzeit blieben sie 15 Ligaspiele ungeschlagen. Köln erfüllte nur im ersten Saisondrittel die Erwartungen, war dann völlig von der Rolle. Der ehemalige Nationalspieler Heinz Hornig brachte die ganze Ratlosigkeit zum Ausdruck: "Bei uns läuft nichts mehr ineinander. Längst beginnen wir an allem zu zweifeln, was wir tun. Trainieren wir zu wenig? Zu viel?" Nach dem 34. Spieltag sollte sich die Anspannung für die Kölner in Erleichterung auflösen. Ebenso, wie für die gleichfalls bis zum Schluss gefährdeten Teams aus Kaiserslautern und Dortmund. Der BVB hatte am siebten Spieltag noch die Marke von 350 erzielten Bundesligatoren gefeiert - kein anderer Erstligakonkurrent war bis dahin treffsicherer. Diese Treffsicherheit war am letzten Spieltag bitter nötig und gefordert, denn da empfingen die auf einem Abstiegsrang platzierten Borussen die punktgleich hinter ihnen liegenden Offenbacher Kickers zu einem echten Abstiegsgipfel. Der Sieger hatte eine Chance auf den Klassenerhalt - und der BVB griff zu. Das 3:0 bedeutete den rettenden 16. Platz. Mit Offenbachs Abstieg konnte man rechnen, aber wohl kaum mit dem des Klubs, der die Kickers begleitete.
Der gestürzte Meister
Die beiden Auswärtssiege des ersten Spieltages ließen aufhorchen. Zum einen war dies der 3:1-Erfolg der Gladbacher Borussen beim Namensvetter in Dortmund, der eine 18 Jahre währende Flaute beendete. Geradezu sensationell mutete jedoch der Handstreich einer anderen Gästemannschaft an: Alemannia Aachen hatte dem amtierenden Meister 1. FC Nürnberg in dessen eigenen Stadion das Fell mittels einer 4:1-Demontage über die Ohren gezogen. "Die Nürnberger sind noch weit weg von der Form des vergangenen Jahres", urteilte Alemannen-Trainer Michael Pfeiffer anschließend. Dies sollte, von wenigen Ausnahmen abgesehen, für die gesamte Saison gelten. Größter Knackpunkt im Nürnberger Spiel war der Verlust der Torgefährlichkeit; der Verlust des zu Hertha BSC gewechselten Franz Brungs, der in der Meistersaison 25 Treffer erzielt hatte. "Der junge Beer ist spielerisch höher einzuschätzen als Brungs. Seine Schüsse werden noch in die Tore rauschen", hoffe Meistercoach Max Merkel anfangs auf Treffer des gebürtigen Franken Erich Beer, dessen Zeit allerdings erst viel später und dann als Mittelfeldstar der Berliner Hertha kommen sollte. Merkels Zeit beim Club lief im März 1969 ab. Sein Nachfolger Kuno Klötzer (zwischenzeitlich hatte der Österreicher Robert Körner für ein Spiel die Elf übernommen) konnte trotz der guten Bilanz von vier Siegen, einem Remis und nur einer Niederlage das Unvorstellbare nicht abwenden: Der glorreiche Meister des Vorjahres, ein Gründungsmitglied der Bundesliga und zudem der deutsche Rekordmeister, war nicht in der Lage, die Klasse zu halten. Eine Sensation.

André Schulin

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