Bundesliga-Chronik

Saison 1969/70: Aufgalopp der Fohlen (Teil III)

Stuttgart verpflichtete einen Trainer der die Übungsleiterprüfung verpatzte, den HSV-Profis gings ans Weihnachtsgeld und Auf Schalke zofften sich Trainer Gutendorf und Präsident Siebert wie die Kesselflicker - die Bundesliga bot, wie gehabt, reihenweise turbulente Schauplätze. Mönchengladbach hingegen konnte als Hort der Stabilität betrachtet werden, mittlerweile auch in der Abwehr ...

Die vorderen Vier
Die siebte Saison - der siebte Meister. Borussia Mönchengladbach krönte in überzeugender Manier das Jahr seines 70-jährigen Bestehens mit dem Gewinn der Deutschen Meisterschaft. Als I-Tüpfelchen nahm die Weisweiler-Elf die neue Rekordmarke von 51 Punkten gerne mit. Der Erfolg der "Fohlen" war alles andere als ein Zufallsprodukt. Kein Klub hatte mehr in die neue Saison investiert - und obendrein noch soviel Fortune mit den neuen Spielern. Die gezielte Stärkung der Abwehr durch Ludwig Müller und Klaus-Dieter Sieloff war der Schlüssel zur Meisterschaft und mit dem Dänen Ulrik le Fevre hatte man einen erstklassigen Außenstürmer an den Bökelberg geholt. Titelverteidiger FC Bayern überschritt als Zweiter die Ziellinie, stellte aber mit Gerd Müller (38 Treffer) erneut den besten Torjäger der Liga. Zwölf Mal hatte der "Bomber" für die wichtige 1:0-Führung gesorgt. Auch Bayerns Abwehr genügte höchsten Ansprüchen. "Der Sepp hat es gut. Hinter so einer sicheren Abwehr möchte ich auch halten", blickte Sepp Maiers Nationalmannschaftskonkurrent Horst Wolter (E. Braunschweig) neidisch nach München. Ansonsten waren die beiden Keeper geschäftlich verbunden und bewarben gemeinsam die Sepp-Maier-Torwartkleidung. Finanziellen Interessen folgend nahm der FC Bayern an einem in Casablanca ausgetragenen Turnier teil (28.-31. August) und dafür eine fehlende Regeneration in Kauf. Für Platz zwei reichte die Substanz der Mannschaft allemal. Unerwartet stark trumpften die Berliner Hertha (Platz 3) und der viertplatzierte 1. FC Köln auf. "Das muss ein Sturm- und Drangjahr werden", hatte FC-Coach Hans Merkle vor dem Saisonstart gefordert. Der abergläubische Merkle, der im Mannschaftsbus stets den Sitz mit der Nummer 4 für sich beanspruchte ("Nie auf einem anderen Sitz"), wurde erhört: Nach der schwachen Vorsaison mischten die Geißböcke wieder ganz vorn mit. Dass die stürmenden Kölner nach hinten hervorragend abgesichert waren, ging auch auf das Konto von Torwart Manfred Manglitz, der von der Wedau (MSV Duisburg) an den Rhein gewechselt war. Hertha BSC schnitt schlicht sensationell ab - von einem dritten Rang waren die Berliner in ihren bisherigen Bundesligaspielzeiten Lichtjahre entfernt. Vielleicht hätte es sogar noch mehr sein können. Auf der Einkaufsliste stand nämlich der Name Johan Cruyff von Ajax Amsterdam. Die Ablösesumme von 2 Millionen Mark schreckte die Herthaner jedoch ab.

Platz 5 bis 16
Same procedure as every year: Die Auftaktniederlage der Schwarz-Gelben. Ein verschlafener Start beraubte Borussia Dortmund - ohne den nach Antwerpen abgewanderten Torjäger Lothar Emmerich - der Möglichkeit, in den Kampf um die vorderen Plätze einzugreifen. Seine Heimstärke führte den BVB am Ende auf Rang 5. Nur die Münchener Bayern nahmen zwei Punkte von der "Roten Erde" mit. Der Hamburger SV genoss ebenfalls eine ganz entspannte Saison - sportlich betrachtet. Finanziell sah es weniger rosig aus. Das winterliche Wetter hielt viele Fans vom Stadionbesuch ab; der HSV-Vorstand beschloss deshalb, den Profis das Weihnachtsgeld zu halbieren. Platz 7 war weniger, als man in Stuttgart erwartet hatte. In blamabler Verfassung präsentierte sich der zerstrittene Vorstand des schwäbischen Vorzeigeklubs indes schon vor dem Saisonstart. Man hatte den Tschechen Frantisek Bufka als neuen Trainer verpflichtet - unglücklicherweise scheiterte der Mann bei der Trainerprüfung. Nach einigem Hin und Her übernahm "Interimslösung" Franz Seybold schließlich den Job. Jener musste im Laufe der Saison erkennen, dass Stuttgarts Schlussleute kein Spitzenniveau darstellten: "Wer dachte an den Einkauf eines Torhüters, wo doch Heinze im letzten Jahr so überragend hielt und wir doch mit Feller einen so guten zweiten Mann hatten." Frankfurt wiederholte das Endresultat aus dem Vorjahr (Rang 8), ohne die Tiefen der Saison 1968/69 durchleben zu müssen. Jürgen Grabowski brachten seine guten Leistungen zurück in die DFB-Auswahl (Bundestrainer Helmut Schön: "Dieser Grabowski ist für die Nationalelf wieder hochinteressant geworden"), derweil der österreichische Nationalspieler Wilhelm Huberts seinen Sportartikel-Laden in Frankfurt dichtmachte. Den langjährigen Schlüsselspieler der Eintracht zog es zurück in seine Heimat. Schalke machte seinem Ruf als Unruheklub alle Ehre. Auf der einen Seite lief es sportlich in ruhigen Bahnen, und der erste Spatenstich im Herbst 1969 zum Bau des neuen, 70.000 Besucher fassenden Stadions deutete auf eine viel versprechende Zukunft hin. Doch der Dauerzoff zwischen Trainer Rudi Gutendorf und Vereinsboss Günter Siebert bescherte immer wieder negative Schlagzeilen. Mal stand die fristlose Entlassung Gutendorfs im Raum, gefolgt von einer öffentlich demonstrierten Versöhnung. Dann wieder berichtete der "Kicker" von wenig schmeichelhaften Gutendorf-Kommentaren: "Die Worte ‚dummes Schwein´ und ‚das ist eine Schweinerei´ sollen im Zusammenhang mit Siebert gefallen sein." Der Trainer entschuldigte sich für seine Ausfälle. "Aber ich verlange, dass ich als Trainer freie Hand behalte." Unter solchen Begleitumständen war wohl nicht mehr als Platz 9 für die Knappen drin.
Kaiserslautern beendete die Spielzeit auf Rang 10; eine bessere Platzierung erreichten die Pfälzer während der gesamten Serie nicht. Eine andere stolze Serie auf dem Betzenberg riss: Nie zuvor hatte ein Bundesligaspitzenreiter auf dem Betze einen Sieg davontragen können - die Gladbacher knackten die Festung gleich mit einem 4:1-Erfolg. Werder Bremen quälte sich über die Runden. Schon die Saison-Generalprobe, ein 0:6 beim englischen Erstligisten Derby County, ging gründlich in die Hose. Eine ähnlich derbe Niederlage erlitten die Grün-Weißen in der Liga zwar nicht, aber zwischenzeitlich machte sich Abstiegsangst breit. "Jetzt kann uns nur noch ein Wunder retten", stöhnte Nationalverteidiger Horst-Dieter Höttges, als am 28. Spieltag die Heimpartie gegen den BVB mit 1:3 verloren ging und Werder auf Platz 17 abrutschte. Doch die Bremer hatten noch drei Nachholspiele in der Hinterhand, aus denen sie fünf Punkte schöpften und letztendlich sicher die Klasse erhielten (Rang 11). Aufsteiger Rot-Weiss Essen litt zwar unter den Verletzungsausfällen seines Dribbelkünstlers "Ente" Lippens und brachte Trainer Herbert Burdenski gelegentlich an den Rand des Wahnsinns ("Und wenn ich alles zehnmal sage - es wird einfach nicht gehört. So rappelig sind fast alle."), doch summa summarum verdiente sich das Team den Klassenerhalt rechtschaffen. Drei Trainer (Cajkovski, Paetz, Pilz) und ein Desaster - mit großen Erwartungen und prima Erfolgen gestartet, stand Hannover 96 am Ende vor den Trümmern einer verkorksten Saison. Im Streit war "Tschik" Cajkovski geschieden und man hatte sich mit großem finanziellen Verlust von Stürmer Josip Skoblar getrennt, der vor der Winterpause zu Olympique Marseille wechselte. Der Jugoslawe galt als teuerster Bundesligaspieler. Hannover hatte 1967 an OFK Belgrad 100.000 Mark Ablöse gezahlt, plus 200.000 Mark Handgeld für den Spieler, der ein Monatsgehalt von 4.000 Mark (netto) einstrich. Für 100.000 Mark wechselte Skoblar nach Frankreich.

Nach einem sensationellen Start mit zwei Tabellenführungen wurde Aufsteiger Rot-Weiß Oberhausen Stück für Stück auf den Boden zurückgeholt (Platz 14). Trainer Alfred Preißler forderte schon früh Bescheidenheit ein: "Wir wären ja Selbstmörder, wenn wir unsere Position überschätzen würden", kommentierte er Oberhausens Tabellenführung am vierten Spieltag. Zu diesem Zeitpunkt war der Verein noch nicht in der Lage, Abendspiele auszurichten. Eine Flutlichtanlage gab es erst ab März 1970. Duisburgs Trainer "Zapf" Gebhardt ärgerte sich über die seiner Ansicht nach zögerliche Haltung wegen seiner Vertragsverlängerung und stellte die Verantwortlichen bereits im Februar vor vollendete Tatsachen. Er unterschrieb bei Werder Bremen: "Dort habe ich eine lohnende Aufgabe." Der MSV beendete die Bundesligasaison so schlecht wie nie zuvor (Rang 15). Auch Eintracht Braunschweig hatte einen kolossalen Absturz zu verzeichnen. Die einst sicherste Abwehr der Liga war zwar nicht gerade zur Schießbude verkommen, aber längst nicht mehr das Bollwerk, an dem die gegnerischen Stürmer verzweifelten. Immerhin erholte sich das Johannsen-Team von einer schweren Krise aus der Hinserie und verdiente sich aufgrund dessen den Klassenerhalt.
Klassenziel verfehlt
Kurioserweise traten die beiden Absteiger im ersten Saisonspiel gegeneinander an (0:0). Gemessen an den Vorjahresleistungen aber waren weder die Münchener Löwen noch die Alemannen als potentielle Abstiegskandidaten zu sehen, und in ihrer personellen Struktur völlig unterschiedlich in die neue Spielzeit gegangen. Aachens Team war fast identisch mit der Vizemeisterelf, während die Sechziger auf einen radikalen Personalumbau gesetzt hatten. "Wir brauchen eigentlich nur einen Torjäger", glaubte "Radi" Radenkovic sein Team zum Start bestens gerüstet - wie man sich irren kann. Auch die verzweifelte Rückholaktion der Routiniers Wilfried Kohlars und Alfred Heiß in der Winterpause taugte nicht, die Kohlen noch aus dem Feuer zu holen. Aachen konnte den Leistungseinbruch gleich mehrerer Schlüsselspieler nicht verkraften. Zudem scheiterte der von Trainer Georg Stollenwerk eingeleitete Versuch, aus der kämpferischen Alemannia eine spielerisch akzentuierte Mannschaft zu formen. Mit deutlichem Abstand hinkte der letztjährige Vizemeister dem Feld hinterher.

André Schulin

Bundesliga Chronik