Saison 1970/71: Punkte für Geld (Teil I)
von Günther Jakobsen
Die Nationalmannschaft erfreute sich ungebrochener Popularität; die Spiele bei der WM 1970 in Mexiko hatten Helmut Schöns Truppe fast einen Heldenstatus verliehen. Der Zuspruch für die Bundesliga hielt sich dagegen in moderatem Rahmen. Immerhin begeisterte das enge Titelrennen zwischen Gladbach und dem FC Bayern die Massen und auch der Abstiegskampf versprach Spannung bis zum Ende. Das Ende, das dann folgte, versetzte der Glaubwürdigkeit des Spitzenfußballs indes einen veritablen Tiefschlag: Der Saisonabpfiff war noch nicht verhallt, da wurde das Unglaubliche publik: Unter Beteiligung zahlreicher Akteure waren Spiele verkauft worden.
Krimineller Unsinn
Um das Übel an der Wurzel zu packen - gleich zum Skandal. Im damaligen Westdeutschland ein Meilenstein auf dem Weg zur Bananenrepublik. Korrupte Sportler, verkaufte Spiele, Bestechung! Solche Machenschaften vermutete man bis dahin latent beim Boxsport oder wenn es um Pferdewetten ging. Aber in der Fußball-Bundesliga? Und doch war es so - und das Entsetzen darob war groß. Die Wahrheit wurde häppchenweise in quälend langen Prozessen ans Tageslicht gezerrt: Elf Spiele der Saison 1970/71 wurden nachweislich manipuliert! Als der ARD-Journalist Dieter Gütt sich in einem Kommentar entrüstete: „Man müsste sich überlegen, ob solch krimineller Unsinn, der sich Fußball nennt, weiterhin im Fernsehen übertragen werden soll“, überlegte sich der pikierte DFB kurzzeitig und am falschen Ende ansetzend, den Kommentator der schaurigen Wahrheit, nämlich Gütt, mit einer gerichtlichen Klage zu beglücken. Sportgerichtliche Konsequenzen hatte der Bestechungsskandal schließlich für die Vereine Arminia Bielefeld (Lizenzentzug nach der Saison 1971/72) und Kickers Offenbach, die zu einem zweijährigen Lizenzentzug verurteilt wurden. Der FC Schalke 04, der den größten Anteil an Verschiebungen beteiligter Spieler stellte, kam um einen Zwangsabstieg herum. Die Knappen traf die Bestrafung erst in der Saison 1972/73, als über die beteiligten Spieler eine mehrjährige Sperre (in vielen Fällen später abgemildert) verhängt wurde. Die Schalker Sünder hatten sich zunächst noch tiefer in den Sumpf geritten, indem sie meineidlich ihre Verwicklung leugneten.
Party-Überraschung
Offenbachs Vereinspräsident Horst Gregorio Canellas brachte die Lawine am Tag nach dem Saisonabschluss ins Rollen. Er spielte DFB-Offiziellen und Pressevertretern, die zu seinem 50. Geburtstag geladen waren, Tonbandaufnahmen vor, die belegten, dass Spieler anderer Vereine sich anboten, gegen, sagen wir mal, „Aufwandsentschädigungen“, den abstiegsbedrohten Kickers in den seinerzeit noch ausstehenden Begegnungen behilflich zu sein. Canellas gab vor, zum Schein auf die Angebote eingegangen zu sein, um Unregelmäßigkeiten aufzudecken. Auf den Bändern waren die Stimmen von Manfred Manglitz (1. FC Köln), den Hertha-Akteuren Bernd Patzke und Tasso Wild sowie einem als Mittelsmann für den Braunschweiger Lothar Ulsaß auftretenden Mannes zu hören. Bundestrainer Helmut Schön, der beim Treffen ebenfalls zugegen war, soll die Party blitzartig verlassen haben. In den folgenden Wochen, Monaten und Jahren (erst in der zweiten Hälfte der 70er wurden die „Skandal“-Aktivitäten eingestellt) erfuhr die fußballinteressierte Öffentlichkeit, dass der DFB über einen „Chefankläger“ verfügte: Hans Kindermann, von Haus aus Jurist (Richter beim Landgericht Stuttgart) und daher bestens geeignet, den Saustall auszumisten. Anhand Kindermanns Recherchen wurden 52 Bundesligaspieler und mehrere Funktionäre (von den Vereinen FC Schalke 04, Hertha BSC, Arminia Bielefeld, VfB Stuttgart, Eintracht Braunschweig, Rot-Weiß Oberhausen und MSV Duisburg) sowie die Trainer Egon Piechaczek (Bielefeld) und Günter Brocker (Oberhausen) für ihre Beteiligung am schmutzigen Geschäft abgestraft. Auch der Überbringer der Botschaft, Horst Gregorio Canellas, bekam sein Fett weg. Er erhielt zunächst das - Jahre später zurückgenommene - lebenslange Verbot, erneut ein Vereinsamt zu bekleiden.
Der Eindruck trog nicht
Die krummen Geschäfte beeinflussten ausschließlich Spiele, in denen Abstiegskandidaten ihre Chancen auf den Klassenerhalt zu verbessern suchten. Dass den als Tabellenletzten abgestiegenen, aber an den Schiebereien unbeteiligten Kickern von Rot-Weiss Essen keine Entschädigung gewährt wurde - schließlich wurde kein einziges der manipulierten Ergebnisse annulliert - hinterlässt einen etwas faden Beigeschmack. Recht skurril mutet hingegen an, wie der gekaufte 1:0-Auswärtssieg Bielefelds bei den Knappen zustande kam. Der 28. Spieltag stand an. Schalkes (Platz 4) Meisterschaftschancen waren angesichts der Dominanz Gladbachs und Bayerns entfleucht; die Arminia darbte zwei Zähler oberhalb der Abstiegsränge. In dieser Situation bot es sich den Knappen scheinbar folgerichtig an, sich vom humanistischen Gedanken der Nachbarschaftshilfe überwältigen zu lassen. Die kolportierten 2.400 Mark Schmiergeld pro Nase konnten wohl kaum der Grund für das Überschreiten der moralischen und rechtlichen Grundlinie sein. Oder? Wie auch immer, man zog die Mantelkragen hoch und klatschte sich konspirativ ab: Geht doch! Im Dunkel der Nacht oder der Eile des Gefechts vergaß man jedoch, den Torwart, Dieter Burdenski, in das Geschäft einzuweihen. So war alles Bemühen der Schalker Feldspieler, den Arminen unauffällig zum Sieg zu verhelfen, fast zum Scheitern verurteilt. Burdenski, der erst nachträglich eingeweiht wurde, hielt prächtig. Erst kurz vor Schluss war er gegen einen Schuss Gerd Roggensacks machtlos (83.). Das unwürdige Treiben auf dem Platz wurde von den Rängen mit „Schiebung“-Rufen quittiert - was sich später als absolut korrekte Wahrnehmung bestätigen sollte. S04-Trainer Slobodan Cendic tobte. Er wusste nichts von der Schieberei und hatte zu dem Zeitpunkt bereits die Kündigung zum Saisonende in der Tasche. „Eine solche Leistung ist eine Zumutung. Ich werde dem Vorstand vorschlagen, 1.000-Mark-Strafen auszusprechen“. Auch Schalkes Alt-Internationaler Ernst Kuzorra wollte den Knappen ans Portemonnaie: „Für diese Spielerei müssten unsere Akteure noch Geld mitbringen.“
Krimineller Unsinn
Um das Übel an der Wurzel zu packen - gleich zum Skandal. Im damaligen Westdeutschland ein Meilenstein auf dem Weg zur Bananenrepublik. Korrupte Sportler, verkaufte Spiele, Bestechung! Solche Machenschaften vermutete man bis dahin latent beim Boxsport oder wenn es um Pferdewetten ging. Aber in der Fußball-Bundesliga? Und doch war es so - und das Entsetzen darob war groß. Die Wahrheit wurde häppchenweise in quälend langen Prozessen ans Tageslicht gezerrt: Elf Spiele der Saison 1970/71 wurden nachweislich manipuliert! Als der ARD-Journalist Dieter Gütt sich in einem Kommentar entrüstete: „Man müsste sich überlegen, ob solch krimineller Unsinn, der sich Fußball nennt, weiterhin im Fernsehen übertragen werden soll“, überlegte sich der pikierte DFB kurzzeitig und am falschen Ende ansetzend, den Kommentator der schaurigen Wahrheit, nämlich Gütt, mit einer gerichtlichen Klage zu beglücken. Sportgerichtliche Konsequenzen hatte der Bestechungsskandal schließlich für die Vereine Arminia Bielefeld (Lizenzentzug nach der Saison 1971/72) und Kickers Offenbach, die zu einem zweijährigen Lizenzentzug verurteilt wurden. Der FC Schalke 04, der den größten Anteil an Verschiebungen beteiligter Spieler stellte, kam um einen Zwangsabstieg herum. Die Knappen traf die Bestrafung erst in der Saison 1972/73, als über die beteiligten Spieler eine mehrjährige Sperre (in vielen Fällen später abgemildert) verhängt wurde. Die Schalker Sünder hatten sich zunächst noch tiefer in den Sumpf geritten, indem sie meineidlich ihre Verwicklung leugneten.
Party-Überraschung
Offenbachs Vereinspräsident Horst Gregorio Canellas brachte die Lawine am Tag nach dem Saisonabschluss ins Rollen. Er spielte DFB-Offiziellen und Pressevertretern, die zu seinem 50. Geburtstag geladen waren, Tonbandaufnahmen vor, die belegten, dass Spieler anderer Vereine sich anboten, gegen, sagen wir mal, „Aufwandsentschädigungen“, den abstiegsbedrohten Kickers in den seinerzeit noch ausstehenden Begegnungen behilflich zu sein. Canellas gab vor, zum Schein auf die Angebote eingegangen zu sein, um Unregelmäßigkeiten aufzudecken. Auf den Bändern waren die Stimmen von Manfred Manglitz (1. FC Köln), den Hertha-Akteuren Bernd Patzke und Tasso Wild sowie einem als Mittelsmann für den Braunschweiger Lothar Ulsaß auftretenden Mannes zu hören. Bundestrainer Helmut Schön, der beim Treffen ebenfalls zugegen war, soll die Party blitzartig verlassen haben. In den folgenden Wochen, Monaten und Jahren (erst in der zweiten Hälfte der 70er wurden die „Skandal“-Aktivitäten eingestellt) erfuhr die fußballinteressierte Öffentlichkeit, dass der DFB über einen „Chefankläger“ verfügte: Hans Kindermann, von Haus aus Jurist (Richter beim Landgericht Stuttgart) und daher bestens geeignet, den Saustall auszumisten. Anhand Kindermanns Recherchen wurden 52 Bundesligaspieler und mehrere Funktionäre (von den Vereinen FC Schalke 04, Hertha BSC, Arminia Bielefeld, VfB Stuttgart, Eintracht Braunschweig, Rot-Weiß Oberhausen und MSV Duisburg) sowie die Trainer Egon Piechaczek (Bielefeld) und Günter Brocker (Oberhausen) für ihre Beteiligung am schmutzigen Geschäft abgestraft. Auch der Überbringer der Botschaft, Horst Gregorio Canellas, bekam sein Fett weg. Er erhielt zunächst das - Jahre später zurückgenommene - lebenslange Verbot, erneut ein Vereinsamt zu bekleiden.
Der Eindruck trog nicht
Die krummen Geschäfte beeinflussten ausschließlich Spiele, in denen Abstiegskandidaten ihre Chancen auf den Klassenerhalt zu verbessern suchten. Dass den als Tabellenletzten abgestiegenen, aber an den Schiebereien unbeteiligten Kickern von Rot-Weiss Essen keine Entschädigung gewährt wurde - schließlich wurde kein einziges der manipulierten Ergebnisse annulliert - hinterlässt einen etwas faden Beigeschmack. Recht skurril mutet hingegen an, wie der gekaufte 1:0-Auswärtssieg Bielefelds bei den Knappen zustande kam. Der 28. Spieltag stand an. Schalkes (Platz 4) Meisterschaftschancen waren angesichts der Dominanz Gladbachs und Bayerns entfleucht; die Arminia darbte zwei Zähler oberhalb der Abstiegsränge. In dieser Situation bot es sich den Knappen scheinbar folgerichtig an, sich vom humanistischen Gedanken der Nachbarschaftshilfe überwältigen zu lassen. Die kolportierten 2.400 Mark Schmiergeld pro Nase konnten wohl kaum der Grund für das Überschreiten der moralischen und rechtlichen Grundlinie sein. Oder? Wie auch immer, man zog die Mantelkragen hoch und klatschte sich konspirativ ab: Geht doch! Im Dunkel der Nacht oder der Eile des Gefechts vergaß man jedoch, den Torwart, Dieter Burdenski, in das Geschäft einzuweihen. So war alles Bemühen der Schalker Feldspieler, den Arminen unauffällig zum Sieg zu verhelfen, fast zum Scheitern verurteilt. Burdenski, der erst nachträglich eingeweiht wurde, hielt prächtig. Erst kurz vor Schluss war er gegen einen Schuss Gerd Roggensacks machtlos (83.). Das unwürdige Treiben auf dem Platz wurde von den Rängen mit „Schiebung“-Rufen quittiert - was sich später als absolut korrekte Wahrnehmung bestätigen sollte. S04-Trainer Slobodan Cendic tobte. Er wusste nichts von der Schieberei und hatte zu dem Zeitpunkt bereits die Kündigung zum Saisonende in der Tasche. „Eine solche Leistung ist eine Zumutung. Ich werde dem Vorstand vorschlagen, 1.000-Mark-Strafen auszusprechen“. Auch Schalkes Alt-Internationaler Ernst Kuzorra wollte den Knappen ans Portemonnaie: „Für diese Spielerei müssten unsere Akteure noch Geld mitbringen.“