Bundesliga-Chronik

Saison 1971/72: FC Bayern bändigt Königsblau (Teil II)

„Kaiser“ Franz wollte sich nicht mit einem Butterbrot abspeisen lassen, während sein junger Kollege Ulli Hoeneß dem olympischen Gedanken frönte und seinen Profistatus deshalb zurückstellte. Paul Breitner hingegen betonte, kein „Sklave des Fußballs“ sein zu wollen. Schalkes neuer Coach Ivica Horvath schweißte die Knappen zu einer Einheit zusammen und führte sie zum Pokalsieg.

Preisbewusstsein
„Wer 50.000 Mark im Jahr verdient, von dem muss ich verlangen, dass er zumindest eineinhalb Stunden in der Woche kämpfen kann“, schimpfte HSV-Trainer Klaus Ochs, nachdem seine Schützlinge am vorletzten Spieltag sang- und klanglos mit 0:4 beim Nordrivalen Werder Bremen einbrachen. Derartiges Gegenrechnen - hier Leistung, da deren monetäre Entlohnung - wurde zunehmend auch in der Öffentlichkeit lanciert. Geschickt machte Franz Beckenbauer auf die eines “Kaisers” unwürdige Entlohnung beim FC Bayern aufmerksam: „Wenn ich höre, was andere Spieler verdienen, werde ich ja fast mit einem Butterbrot abgespeist.“ Was dem „Kaiser“ übel aufstieß, bereitete auch seinem Adjutanten Unbehagen. „Ich bin unterbezahlt“, grätschte “Katsche” Schwarzenbeck mal ausnahmsweise nicht gegen Opponenten auf dem grünen Rasen, sondern öffentlich gegen Arbeitgeber FC Bayern. Die Kosten für die Münchener Lizenzspieler hatten in der Vorsaison 3,2 Mio. Mark betragen, wie Schatzmeister Hoffmann bei der Jahreshauptversammlung des FCB im April 1972 erklärte. Diese Summe dürften die Kölner Spieler nicht erreicht haben. „Wir gehören zu den Kleinverdienern der Liga“ klagte Wolfgang Overath im Januar 1971.

Die vorderen Plätze
Nur zwei Mannschaften kamen bis in die Endphase der Saison hinein für den Titelgewinn in Frage. Der FC Bayern München, das hatte man so erwartet, und der FC Schalke 04. Letzteres war fast als sensationell zu bezeichnen. Das sah schon Trainer Ivica Horvat so, als Schalke nach dem 6. Spieltag immer noch die Spitzenposition hielt: „Machen wir uns doch nichts vor. Wenn wir wirklich oben mitmischen sollten, wäre das ein Wunder.“ Unstrittig bereicherte die Verpflichtung der Kremers-Zwillinge Erwin und Helmut die spielerische Qualität des Kaders beträchtlich. Mindestens ebenso wichtig für den als Hort der Unbeständigkeit verrufenen Klub war aber der Glücksgriff, den Präsident Siebert in der Wahl des neuen Trainers tätigte. Bar jedweder Eitelkeit, als Fachmann und Vertrauensperson gleichermaßen von den Spielern akzeptiert, brachte der Jugoslawe Ivica Horvat genau die Eigenschaften mit, mit denen er die Knappen auf konstant hohem Niveau zu ihrer bis dahin besten Bundesligasaison führte. Der Erfolg im DFB-Pokal, den man durch einen 5:0-Finalsieg gegen Kaiserslautern nach 1937 zum zweiten Mal nach Gelsenkirchen holte, bestätigte die Schalker Leistungsstärke und hatte obendrein den unschätzbaren Vorteil, am Ende etwas Vorzeigbares in den Händen zu halten. Präsentabel war auch die Bilanz des Mittelstürmers Klaus Fischer (22 Saisontreffer), der im Auftaktspiel vier Tore beim 5:1-Erfolg über Hannover 96 erzielte. Das Maß aller Dinge in Sachen Ball versenken aber blieb der “Bomber der Nation”: Gerd Müller. Spektakuläre 40 Tore (!) ballerte der wortkarge Bayernstürmer. In der Anfangsphase der Saison, als er wegen vergebener Strafstöße und Torchancen vom eigenen Publikum ausgepfiffen wurde, sah es noch ganz anders aus. Da drohte Müller sogar verärgert damit, den Verein zu verlassen. Auch Sepp Maier - intern kritisiert - schwoll der Kamm: „Warum kauft man dann nicht den Norbert Nigbur von Schalke ein, wenn jeder so von ihm schwärmt“, grollte er beleidigt, als ihm die 0:1-Niederlage gegen Schalke angekreidet wurde. Noch heftiger seine Reaktion nach der 0:3-Niederlage beim MSV Duisburg (29. Spieltag). Wieder wurde Maier eine Teilschuld an der Pleite zugesprochen. „Es ist aus. Auch wenn wir Meister werden, dann steht für mich fest, dass ich in der nächsten Saison gehe“. Allen Reibereien und verletzten Eitelkeiten zum Trotz erfüllte Udo Latteks Mannschaft jedoch die in sie gesetzten hohen Erwartungen, deklassierte am letzten Spieltag den einzigen ernsthaften Titelkonkurrenten FC Schalke 04 mit 5:1 und holte sich die Schale.
Im Laufe der Saison hatten sich die jungen Akteure Paul Breitner und Ulli Hoeneß endgültig in die erste Reihe gespielt und darüber hinaus auch für Stammplätze in der Nationalelf empfohlen. Beide setzten sich nicht nur mittels ihrer sportlichen Fähigkeiten vom Gros der Bundesligaspieler ab. Hoeness hatte bislang bewusst auf einen Profi-Vertrag beim FC Bayern verzichtet, um als Amateur-Fußballer an der Olympiade 1972 in München teilnehmen zu können: „Mich reizt das olympische Erlebnis, das besondere Fluidum“. Völlig andere Töne sonderte Breitner zum Thema Extrastunden in der Olympia-Auswahl ab: „Ich will kein Sklave des Fußballs sein. Wenn der FC Bayern nicht spielt, möchte ich meine Ruhe haben“. Keine Ruhe ließ Breitner indes der Dauerhusten seines Kölner Gegenspielers Heinz Flohe beim Heimspiel gegen die Geißböcke. Nach Abpfiff eilte er schnurstracks zur Gästekabine und überreichte dem verdutzten Trainer Gyula Lorant einen Zettel mit einem Rezept, welches ihm geholfen hatte: „Das ist für Flohe.“ Mit gehörigem Abstand nach oben bildeten Gladbach und Köln eine kleine Verfolgergruppe.

Titelverteidiger Borussia Mönchengladbach fand kein Rezept, den Erfolg des Vorjahres zu wiederholen. An 26 Spieltagen belegte das Weisweiler-Team den dritten Tabellenplatz und beendete folgerichtig die Saison auf diesem Rang. „Der Abstand ist wohl jetzt zu groß geworden“, mutmaßte Weisweiler bereits am 23. Spieltag, da die Bayern bereits um sieben Zähler voraus waren. Das Fehlen des unentwegten Kämpfers Berti Vogts, den eine Meniskus-Operation monatelang aus dem Verkehr zog, trug zur Schwächung des Meisters bei. Im September 1971 war der „Terrier“ noch obenauf - die bundesdeutsche Sportpresse hatte ihn mit deutlichem Vorsprung (225 Stimmen) vor Franz Beckenbauer (154) zum „Spieler des Jahres 1971“ gewählt. Punktgleich hinter dem Westrivalen aus Mönchengladbach erreichte der 1. FC Köln den vierten Platz, den er während der kompletten Rückserie belegte. Das mit dem Ungarn Gyula Lorant als neuem Cheftrainer in die Saison gestartete Geißbockteam hatte aufgrund von Umbauarbeiten im Müngersdorfer Stadion den Umzug in die benachbarte Radrennbahn vollzogen. Befürchtungen, die Umstellung könnte sich negativ auf die Leistungen niederschlagen, erwiesen sich als grundlos.

André Schulin

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