Saison 1972/73: Durchmarsch einer Ausnahmeelf (Teil I)
von Günther Jakobsen
Mit dem FC Bayern konnte die Konkurrenz nicht Schritt halten: Unantastbar eilten die Münchener zur Titelverteidigung. Weitaus besser als zu erwarten war, schnitten die beiden Aufsteiger ab. Der traditionsreiche Hamburger SV hingegen durchlief im Jahr eins nach Uwe Seeler seine bitterste Bundesligaspielzeit, konnte sich aber noch vor dem Abstieg retten. Ein anderer Nordklub hatte weniger Fortune. Der Großteil der Vereine litt unter dem Zuschauerschwund. Soforthilfen hielt der DFB nicht parat, schlug aber durch Neuordnung des Bundesliga-Unterbaus den richtigen Weg ein.
Wuppertals Aufstieg mit makelloser Bilanz
Die Offenbacher Kickers und der Wuppertaler SV kämpften sich erfolgreich durch die Spiele der Aufstiegsrunden in die Bundesliga. Für die Hessen nichts grundsätzlich Neues - sie nahmen bereits den dritten Anlauf, sich in der ersten Liga zu behaupten. Der WSV hingegen platzte als absoluter Frischling in den elitären Kreis. Allerdings galten die Schützlinge von Trainer Horst Buhtz schon vor Beginn der Aufstiegsrundenspiele als Favorit in der Gruppe 1. Der Westmeister hatte die Regionalligasaison souverän vor Rot-Weiss Essen mit der Schnapszahl-Torquote von 111 Treffern abgeschlossen. Fast die Hälfte (52) gingen auf das Konto von Torjäger Günter Pröpper, nicht unpassend auch als „Meister“ Pröpper bezeichnet. Gleich im ersten Spiel machte der in Dorsten gebürtige Pröpper seinem Ruf alle Ehre, als er zwei Buden zum 3:0-Erfolg der Wuppertaler bei Tasmania Berlin beisteuerte. „Pröpper einfach nicht zu halten“, schrieb der „Kicker“. Gleiches konnte vom gesamten WSV-Ensemble gesagt werden. Im ersten Heimspiel im Stadion am Wuppertaler Zoo wohnten 33.000 Zuschauer dem Vergleich gegen den Süd-Vertreter Bayern Hof bei, der nach dem 3:1-Sieg gegen Borussia Neunkirchen als ernsthafter Rivale um den Gruppensieg angesehen werden musste. Die Partie geriet dann einseitiger, als es das 2:0-Ergebnis aussagte. Von Keeper Manfred Müller, über Libero Emil Meisen, Kapitän Manni Reichert und Mittelfeldakteur Jürgen Kohle bis hin zu „Meister Pröpper“ waren die Gastgeber rundum eine Klasse besser als die Bayern. „Wuppertal hatte ich mir nicht so stark vorgestellt“, staunte Hofs Torjäger Breuer und Gäste-Trainer Wenz gestand auf der Pressekonferenz: „Meine Herren, sie werden lachen, ich bin mit dem Ergebnis zufrieden“. Mehr als zufrieden durfte der Wuppertaler Anhang mit der kompletten Aufstiegsrunde sein: Ohne Punktverlust, das hatte bis dahin noch keine Mannschaft vorgelegt, wurde der WSV Erster, verwies Osnabrück, Neunkirchen, Hof und Tasmania abgeschlagen auf die Plätze.
In der Gruppe 2 hingegen fiel die Entscheidung erst in der letzten Runde. Zwischen den Offenbacher Kickers und Rot-Weiss Essen entbrannte ein Zweikampf um den Gruppensieg. Die anderen Teilnehmer - der FC St. Pauli, Wacker 04 Berlin und Röchling Völklingen - blieben von Anfang an hinter dem Duo zurück. In den direkten Duellen konnte sich keiner einen Vorteil verschaffen: 2:2 hieß es nach 90 Minuten in Offenbach, 1:1 nach dem Rückspiel in Essen. Mit lediglich einer hauchdünn besseren Torbilanz gegenüber den Rot-Weißen ausgestattet, empfing Offenbach im abschließenden Spiel den FC St. Pauli. Essen hatte zeitgleich zwar ein Auswärtsspiel, doch Völklingen bislang nichts gerissen und tatsächlich holte Essen wie erwartet beide Punkte (2:1). Die Kickers mussten also danach trachten, sich mittels des Torverhältnisses zu qualifizieren. Zur Halbzeit war das Ziel durch einen 4:0-Zwischenstand quasi gesichert, am Ende stand ein eindrucksvolles 6:0 (sechs verschiedene Torschützen). Sportlich war also alles im Lot - menschlich allerdings wurde der Mann, der Offenbachs Aufstieg koordiniert hatte, schwer erschüttert: Trainer Kuno Klötzer. Überrascht musste er nach vollzogenem Aufstieg feststellen, dass die Offenbacher Vereinsführung heimlich Gyula Lorant als Technischen Direktor - also zum Vorgesetzten Klötzers - verpflichtet hatte. Der Trainer fühlte sich brüskiert. Auf Druck der Presse und Kickers-Fans - schließlich war Offenbach unter Klötzer ein Jahr ungeschlagen - bot der Verein schließlich den Rollentausch an: Klötzer sollte Technischer Direktor und Lorant Trainer sein. „Ich konnte das Spiel nicht mitspielen. Es war eine Scheinposition“, erklärte der Trainer jedoch später seine Entscheidung, eine sofortige Trennung der Weiterarbeit unter gestörtem Vertrauensverhältnis vorzuziehen.
Zuschauerschwund und Geldmangel
Eine Begegnung des ersten Spieltages hatte fast schon schicksalhaften Charakter: Der FC Bayern schlug Rot-Weiß Oberhausen mit 5:0 und übernahm damit die Tabellenführung, derweil RWO folgerichtig die rote Laterne anhing. Diese Platzierungen sollten beide Klubs auch am Ende einnehmen. Auch die Auftakterfolge der Neulinge Wuppertal (2:0 gegen Kaiserslautern) und Offenbach (1:1 in Bremen) bewährten sich als für die Saison verbindliche Omen: Beide Klubs hatten mit dem Abstiegskampf nichts zu tun. Doch so sportlich aufregend und verheißungsvoll sich der erste Spieltag präsentierte - er legte zugleich einen negativen Trend schonungslos offen: Nur gut 120.000 Besucher wollten in den Stadien mitverfolgen, wie ihre Lieblinge in die neue Saison starteten. Dass die Nationalelf in bezauberndem Stil Europameister geworden war, zeitigte keine positive Rückkopplung auf die Liga. Die schlechten Besucherzahlen der meisten Vereine wurden zur Belastung. Die Eintrittspreise in den Stadion konnten kaum als Begründung des dürftigen Zuspruchs herhalten. Stehplatzkarten waren Liga übergreifend in Preisklassen zwischen 5,- und 8,- Mark zu erwerben; wer das Geschehen aus einem Schalensitz heraus verfolgen wollte, konnte diese Bequemlichkeit mit Beträgen zwischen 13,- und 25,- Mark erwerben. Preise, die in den wirtschaftlichen Aufschwungjahren der 70er als moderat zu betrachten sind. Gewiss hatte der immer noch nicht abgeschlossene Bundesligaskandal sein Quäntchen Unzufriedenheit beigesteuert - aber so ganz genau wusste man die Zurückhaltung der Fans nicht einzuordnen. Der DFB ließ auf einer Presseerklärung im Januar 1973 verlauten, dass nach seiner Einschätzung der Zuschauerschwund zu 30% auf das Fernsehen, 20% auf den Skandal und 10% auf andere Faktoren (verändertes Freizeitverhalten, mangelhafter Komfort in den Stadien) zurückzuführen sei. Die in der Rechnung fehlenden 40% unterschlug man. Stuttgarts Verwaltungsrats-Vorsitzender Gerhard Mayer-Vorfelder sprach im Frühjahr 1973 zusammenfassend von einem „Niedergang in Folge des unerklärbaren Zuschauerverhaltens“ und stellte für die kommende Saison einen Ausverkauf von Spitzenspielern in Aussicht. Auch Veränderungen der Arbeitsverträge, mit „Halbtagsbeschäftigungen und Einnahmekoppelungen“, zog er ins Kalkül. Willi Konrad, Geschäftsführer der Offenbacher Kickers, erläuterte Sparmaßnahmen seines Vereins: Das sonst übliche Trainingslager vor der Saison hatte man gestrichen und vor den Heimspielen trommelte man die Mannschaft am Spieltag lediglich zu einer kurzen Lagebesprechung zusammen, bevor es losging. „Wir sparen dabei 70.000 Mark“, rechnete Konrad vor. Eintracht Frankfurt versuchte zu Beginn der Rückrunde mehr Zuschauer ins Stadion zu locken, indem die Eintrittskarten um 2,- bis 4,- Mark verbilligt wurden. Auch unter Berücksichtigung dieser alarmierenden Signale aus der ersten Liga war es wichtig, dass dem DFB endlich eine Straffung des in wirtschaftlichen Grauzonen wandelnden Bundesligaunterbaues gelang.
André Schulin
Bundesliga Chronik
Wuppertals Aufstieg mit makelloser Bilanz
Die Offenbacher Kickers und der Wuppertaler SV kämpften sich erfolgreich durch die Spiele der Aufstiegsrunden in die Bundesliga. Für die Hessen nichts grundsätzlich Neues - sie nahmen bereits den dritten Anlauf, sich in der ersten Liga zu behaupten. Der WSV hingegen platzte als absoluter Frischling in den elitären Kreis. Allerdings galten die Schützlinge von Trainer Horst Buhtz schon vor Beginn der Aufstiegsrundenspiele als Favorit in der Gruppe 1. Der Westmeister hatte die Regionalligasaison souverän vor Rot-Weiss Essen mit der Schnapszahl-Torquote von 111 Treffern abgeschlossen. Fast die Hälfte (52) gingen auf das Konto von Torjäger Günter Pröpper, nicht unpassend auch als „Meister“ Pröpper bezeichnet. Gleich im ersten Spiel machte der in Dorsten gebürtige Pröpper seinem Ruf alle Ehre, als er zwei Buden zum 3:0-Erfolg der Wuppertaler bei Tasmania Berlin beisteuerte. „Pröpper einfach nicht zu halten“, schrieb der „Kicker“. Gleiches konnte vom gesamten WSV-Ensemble gesagt werden. Im ersten Heimspiel im Stadion am Wuppertaler Zoo wohnten 33.000 Zuschauer dem Vergleich gegen den Süd-Vertreter Bayern Hof bei, der nach dem 3:1-Sieg gegen Borussia Neunkirchen als ernsthafter Rivale um den Gruppensieg angesehen werden musste. Die Partie geriet dann einseitiger, als es das 2:0-Ergebnis aussagte. Von Keeper Manfred Müller, über Libero Emil Meisen, Kapitän Manni Reichert und Mittelfeldakteur Jürgen Kohle bis hin zu „Meister Pröpper“ waren die Gastgeber rundum eine Klasse besser als die Bayern. „Wuppertal hatte ich mir nicht so stark vorgestellt“, staunte Hofs Torjäger Breuer und Gäste-Trainer Wenz gestand auf der Pressekonferenz: „Meine Herren, sie werden lachen, ich bin mit dem Ergebnis zufrieden“. Mehr als zufrieden durfte der Wuppertaler Anhang mit der kompletten Aufstiegsrunde sein: Ohne Punktverlust, das hatte bis dahin noch keine Mannschaft vorgelegt, wurde der WSV Erster, verwies Osnabrück, Neunkirchen, Hof und Tasmania abgeschlagen auf die Plätze.
In der Gruppe 2 hingegen fiel die Entscheidung erst in der letzten Runde. Zwischen den Offenbacher Kickers und Rot-Weiss Essen entbrannte ein Zweikampf um den Gruppensieg. Die anderen Teilnehmer - der FC St. Pauli, Wacker 04 Berlin und Röchling Völklingen - blieben von Anfang an hinter dem Duo zurück. In den direkten Duellen konnte sich keiner einen Vorteil verschaffen: 2:2 hieß es nach 90 Minuten in Offenbach, 1:1 nach dem Rückspiel in Essen. Mit lediglich einer hauchdünn besseren Torbilanz gegenüber den Rot-Weißen ausgestattet, empfing Offenbach im abschließenden Spiel den FC St. Pauli. Essen hatte zeitgleich zwar ein Auswärtsspiel, doch Völklingen bislang nichts gerissen und tatsächlich holte Essen wie erwartet beide Punkte (2:1). Die Kickers mussten also danach trachten, sich mittels des Torverhältnisses zu qualifizieren. Zur Halbzeit war das Ziel durch einen 4:0-Zwischenstand quasi gesichert, am Ende stand ein eindrucksvolles 6:0 (sechs verschiedene Torschützen). Sportlich war also alles im Lot - menschlich allerdings wurde der Mann, der Offenbachs Aufstieg koordiniert hatte, schwer erschüttert: Trainer Kuno Klötzer. Überrascht musste er nach vollzogenem Aufstieg feststellen, dass die Offenbacher Vereinsführung heimlich Gyula Lorant als Technischen Direktor - also zum Vorgesetzten Klötzers - verpflichtet hatte. Der Trainer fühlte sich brüskiert. Auf Druck der Presse und Kickers-Fans - schließlich war Offenbach unter Klötzer ein Jahr ungeschlagen - bot der Verein schließlich den Rollentausch an: Klötzer sollte Technischer Direktor und Lorant Trainer sein. „Ich konnte das Spiel nicht mitspielen. Es war eine Scheinposition“, erklärte der Trainer jedoch später seine Entscheidung, eine sofortige Trennung der Weiterarbeit unter gestörtem Vertrauensverhältnis vorzuziehen.
Eine Begegnung des ersten Spieltages hatte fast schon schicksalhaften Charakter: Der FC Bayern schlug Rot-Weiß Oberhausen mit 5:0 und übernahm damit die Tabellenführung, derweil RWO folgerichtig die rote Laterne anhing. Diese Platzierungen sollten beide Klubs auch am Ende einnehmen. Auch die Auftakterfolge der Neulinge Wuppertal (2:0 gegen Kaiserslautern) und Offenbach (1:1 in Bremen) bewährten sich als für die Saison verbindliche Omen: Beide Klubs hatten mit dem Abstiegskampf nichts zu tun. Doch so sportlich aufregend und verheißungsvoll sich der erste Spieltag präsentierte - er legte zugleich einen negativen Trend schonungslos offen: Nur gut 120.000 Besucher wollten in den Stadien mitverfolgen, wie ihre Lieblinge in die neue Saison starteten. Dass die Nationalelf in bezauberndem Stil Europameister geworden war, zeitigte keine positive Rückkopplung auf die Liga. Die schlechten Besucherzahlen der meisten Vereine wurden zur Belastung. Die Eintrittspreise in den Stadion konnten kaum als Begründung des dürftigen Zuspruchs herhalten. Stehplatzkarten waren Liga übergreifend in Preisklassen zwischen 5,- und 8,- Mark zu erwerben; wer das Geschehen aus einem Schalensitz heraus verfolgen wollte, konnte diese Bequemlichkeit mit Beträgen zwischen 13,- und 25,- Mark erwerben. Preise, die in den wirtschaftlichen Aufschwungjahren der 70er als moderat zu betrachten sind. Gewiss hatte der immer noch nicht abgeschlossene Bundesligaskandal sein Quäntchen Unzufriedenheit beigesteuert - aber so ganz genau wusste man die Zurückhaltung der Fans nicht einzuordnen. Der DFB ließ auf einer Presseerklärung im Januar 1973 verlauten, dass nach seiner Einschätzung der Zuschauerschwund zu 30% auf das Fernsehen, 20% auf den Skandal und 10% auf andere Faktoren (verändertes Freizeitverhalten, mangelhafter Komfort in den Stadien) zurückzuführen sei. Die in der Rechnung fehlenden 40% unterschlug man. Stuttgarts Verwaltungsrats-Vorsitzender Gerhard Mayer-Vorfelder sprach im Frühjahr 1973 zusammenfassend von einem „Niedergang in Folge des unerklärbaren Zuschauerverhaltens“ und stellte für die kommende Saison einen Ausverkauf von Spitzenspielern in Aussicht. Auch Veränderungen der Arbeitsverträge, mit „Halbtagsbeschäftigungen und Einnahmekoppelungen“, zog er ins Kalkül. Willi Konrad, Geschäftsführer der Offenbacher Kickers, erläuterte Sparmaßnahmen seines Vereins: Das sonst übliche Trainingslager vor der Saison hatte man gestrichen und vor den Heimspielen trommelte man die Mannschaft am Spieltag lediglich zu einer kurzen Lagebesprechung zusammen, bevor es losging. „Wir sparen dabei 70.000 Mark“, rechnete Konrad vor. Eintracht Frankfurt versuchte zu Beginn der Rückrunde mehr Zuschauer ins Stadion zu locken, indem die Eintrittskarten um 2,- bis 4,- Mark verbilligt wurden. Auch unter Berücksichtigung dieser alarmierenden Signale aus der ersten Liga war es wichtig, dass dem DFB endlich eine Straffung des in wirtschaftlichen Grauzonen wandelnden Bundesligaunterbaues gelang.
André Schulin
Bundesliga Chronik