Schokolade auf der Ersatzbank (Teil III)
von Günther Jakobsen
Im abschließenden Teil des Interviews über die Zeit in den 70ern berichtet Wolfgang Kleff über die damalige Konkurrenz zu den Bayern, das Ende der Gladbacher Herrlichkeit und den 12:0-Rekordsieg im Meisterschaftsrennen 1977/78 ...
Genau wie Netzer gingen auch Uli Stielike und Rainer Bonhof später ins Ausland. Hat Sie selbst das nie gereizt? Spanien und die USA lagen ja sehr im Trend.
Nach Amerika hätte ich tatsächlich gehen können, nämlich nach Chicago, wo auch die Berliner Steffenhagen und Granitza spielten. Aber das hat mich nicht gereizt. Viel interessanter war da eine Anfrage von Ajax Amsterdam mit Johan Cruyff. Außerhalb Gladbachs war das immer meine Lieblingsmannschaft gewesen, und ich hab mich sehr geehrt gefühlt und lange überlegt. Das war auch überhaupt keine Geldangelegenheit, danach habe ich gar nicht erst gefragt. Ich hab mich hier nur einfach zu wohl gefühlt, war voll akzeptiert und hatte meinen Stammplatz. Das wollte ich nicht aufs Spiel setzen.
Hineingespielt hat vielleicht auch die Nationalelf, wo Sie sich analog zur Liga einen eisernen Zweikampf mit Sepp Maier geliefert haben. In der Öffentlichkeit galten Sie beide als Witzbolde. Wie ernst stand es in Wahrheit um Ihre Rivalität?
Ich selbst hab das sehr entspannt gesehen. Das waren schöne Reisen, es gab gut zu essen, und für die Ersatzbank hab ich mir immer eine Tafel Schokolade mitgenommen. Die hab ich dann genüsslich gegessen. Ich hab mir immer gesagt, du bist ein guter Torwart, so und so oft Deutscher Meister, die Nummer Eins in Mönchengladbach, also sei doch zufrieden. Für Sepp Maier war die Sache ernster. Der war immer richtig sauer, wenn er draußen saß. Da fällt mir ein: Kennen Sie den? Sepp Maier will unbedingt wissen, ob er der Beste ist und fragt jeden Morgen seinen Hund „Wer ist der beste Torwart in Deutschland?“ Aber der Hund antwortet immer nur: „Kleff, Kleff.“
Zuletzt gelacht hat allerdings Sepp Maier, und das obwohl Sie ihn im Vorfeld der WM 1974 noch zeitweise ausstechen konnten. Was ist dann passiert?
Das hatte ich genau so immer kommen sehen, deswegen hab ich mir auch kaum Hoffnungen gemacht, bei der WM im Tor zu stehen. Sepp hatte einfach ein schlechtes Jahr gehabt, und in der Zeit hab ich die Lücke eben gefüllt. Mir war schon klar, dass er seine Krise irgendwann überwindet und dass ich dann wieder raus muss. Schließlich war er von der Jugend an von Helmut Schön begleitet worden, und aus dieser Vergangenheit heraus lagen die Sympathien einfach beim Sepp. Es gab dann ein Länderspiel gegen Schottland, wir spielten jeder eine Halbzeit, und ich merkte genau, jetzt ist er wieder da. Ich war auch gar nicht mal groß enttäuscht. Sepp Maiers Krise kam für mich einfach ein Jahr zu früh.
Nach der WM fielen die Bayern in ein gewaltiges Loch, wogegen Gladbach richtig auf Touren kam: Meister mit sechs Punkten Vorsprung und UEFA-Cup-Sieger. War das der Höhepunkt der Fohlen-Ära?
Von Höhepunkten würde ich gar nicht sprechen, all die Jahre waren ein einziger Höhepunkt. Ich kann auch schwer sagen, welcher Titel der schönste war, vielleicht der allererste oder der Pokalsieg ’73, weil ich so viel dazu beigetragen habe und weil er so erzittert war. Es ist einfach wundervoll, dabei gewesen zu sein. Außerdem finde ich es schön, dass wir die Ersten waren, die den Titel verteidigt haben. Die Bayern haben uns das dann nur nachmachen können.
Auf Hennes Weisweiler folgte dann Udo Lattek. Ein Jahr später waren Sie Ersatz.
Beim ersten Mal konnte ich das noch nachvollziehen. Ich hatte schon die alte Saison nur mit Schmerztabletten durchgehalten und hab mich dann freiwillig für die Operation entschieden. Über die Konsequenz, dann erst mal nicht zu spielen, war ich mir im Klaren. Und mit Wolfgang Kneib wurde die Mannschaft dann schließlich auch Meister. Da hab ich schon eingesehen, dass man den Torwart nicht ohne Not wieder wechselt. Etwas ungerecht war die Situation aber eine Saison danach. Da hat Udo Lattek mich aus persönlichen Gründen wieder rausgenommen und hat erst noch so getan, als wenn er sich noch entscheiden müsste, dabei wusste er es schon die ganze Zeit. Darüber hab ich mich sehr aufgeregt.
Kurz bevor Lattek wieder ging, kam es angeblich zu einer Abstimmung, bei der die Mannschaft sich mit 15:1 für ihn ausgesprochen haben soll. Dann waren Sie wohl die Gegenstimme.
Nein, nein. Das mit der Abstimmung kann ich so erst mal gar nicht bestätigen. Außerdem hab gerade ich mich ja noch für ihn eingesetzt. Es war so, dass Lattek, aus welchen Gründen auch immer, entlassen werden sollte. Nun hatten wir ’79 aber sogar den UEFA-Cup gewonnen, und da gab es eine Rede im Klubhaus, wo alle begrüßt und beglückwünscht wurden, vom Balljungen bis zur Putzfrau und natürlich die Mannschaft. Als alle brav klatschten, bin ich aufgestanden - obwohl der Udo Lattek damals wirklich nicht mein bester Freund war - und hab den Dr. Beyer gefragt, ob er nicht jemanden vergessen hätte. „Sie haben ja mit keinem Wort den Trainer erwähnt“, hab ich gesagt. Da stand die Mannschaft auf und hat geklatscht. Unser Votum, wenn Sie so wollen, war es zu fordern, dass Lattek noch bis zum Ablauf seines Vertrages bei uns Trainer bleibt. In Gladbach war noch nie ein Trainer entlassen worden, und wir wollten, dass das auch so bleibt. Und irgendwann hat der Vorstand das auch akzeptiert.
Einen der letzten großen Auftritte hatten die Fohlen am letzten Spieltag 1977/78, beim 12:0-Kantersieg gegen Dortmund. Ihr Trainer sagte damals, hätte das wirklich noch zur Meisterschaft gereicht, in Deutschland wäre wohl Krieg ausgebrochen.
Ja, das wäre natürlich sehr unglücklich gewesen. Manchmal werde ich heute noch gefragt, ob da denn wohl alles koscher war. Aber ganz ehrlich, an die Tordifferenz haben wir doch überhaupt nicht gedacht, unsere einzige Hoffnung war, dass St. Pauli gegen Köln einen Punkt holt. Klar waren die Kölner sauer, aber das Allergemeinste war, dass alle das hinterher am Torwart Endrulat festgemacht haben, dabei war der die ärmste Sau auf dem Platz. Die ganze Mannschaft hat sich hängen lassen. Da waren viele Ältere dabei, die nach der Saison aufhörten, andere bekamen keinen Vertrag mehr oder waren gedanklich schon im Urlaub. Und wir waren hochmotiviert und haben uns in einen Rausch gespielt. Natürlich darf so etwas nicht sein, dass eine Profimannschaft so auseinander bricht. Das war nicht in Ordnung von den Dortmundern. Vielleicht ist es aber auch ganz gut, dass so ein Spiel mal stattgefunden hat. Jetzt weiß man ganz genau, wie die Reaktionen sind und wie man anschließend niedergemacht wird.
Statt zum vierten Mal in Folge wurde Mönchengladbach dann niemals wieder Deutscher Meister. War an dieser Stelle schon spürbar, dass die größte Zeit vorüber war?
Das konnte man sehen, ja. Alles brach ein wenig auseinander, die Strukturen waren aufgeweicht. Es war ja kontinuierlich jedes Jahr ein Stückchen Borussia verkauft worden. Erst ging der Eine weg, dann der Nächste. Anfangs kamen immer noch welche nach, aber nur in einer überragenden Mannschaft wird ein mittelmäßiger Spieler auch zu einem guten, weil er einfach mitgerissen wird. Bröckelt die Mannschaft dann aber so auseinander, dann lässt sich das nicht mehr auffangen, dann bleibt es einfach beim Mittelmaß. Wenn man immer ein Steinchen herauszieht, dann fällt das Ganze irgendwann zusammen. Und genau so war das damals in Mönchengladbach der Fall.
Was folgte, war der Absturz in eben jenes Mittelmaß, in dem vorher der Rivale gesteckt hatte. Warum sind die Bayern dann auf Dauer nach oben zurückgekehrt und Gladbach nicht?
Ganz einfach. Die Bayern hatten 66.000 und wir 34.000 Zuschauer, wenn wir denn überhaupt ausverkauft waren, und das waren meist sogar nur Stehplätze. Allein da gab es schon einen Millionenunterschied pro Spiel, da konnten die Bayern ganz anders wirtschaften. Außerdem waren sie natürlich so schlau, das Geld auch zu investieren, während Gladbach bis an sein Limit verkauft und den gleichen Neuanfang gescheut hat. Und an der Stelle ging die Schere dann auseinander.
Genau wie Netzer gingen auch Uli Stielike und Rainer Bonhof später ins Ausland. Hat Sie selbst das nie gereizt? Spanien und die USA lagen ja sehr im Trend.
Nach Amerika hätte ich tatsächlich gehen können, nämlich nach Chicago, wo auch die Berliner Steffenhagen und Granitza spielten. Aber das hat mich nicht gereizt. Viel interessanter war da eine Anfrage von Ajax Amsterdam mit Johan Cruyff. Außerhalb Gladbachs war das immer meine Lieblingsmannschaft gewesen, und ich hab mich sehr geehrt gefühlt und lange überlegt. Das war auch überhaupt keine Geldangelegenheit, danach habe ich gar nicht erst gefragt. Ich hab mich hier nur einfach zu wohl gefühlt, war voll akzeptiert und hatte meinen Stammplatz. Das wollte ich nicht aufs Spiel setzen.
Ich selbst hab das sehr entspannt gesehen. Das waren schöne Reisen, es gab gut zu essen, und für die Ersatzbank hab ich mir immer eine Tafel Schokolade mitgenommen. Die hab ich dann genüsslich gegessen. Ich hab mir immer gesagt, du bist ein guter Torwart, so und so oft Deutscher Meister, die Nummer Eins in Mönchengladbach, also sei doch zufrieden. Für Sepp Maier war die Sache ernster. Der war immer richtig sauer, wenn er draußen saß. Da fällt mir ein: Kennen Sie den? Sepp Maier will unbedingt wissen, ob er der Beste ist und fragt jeden Morgen seinen Hund „Wer ist der beste Torwart in Deutschland?“ Aber der Hund antwortet immer nur: „Kleff, Kleff.“
Das hatte ich genau so immer kommen sehen, deswegen hab ich mir auch kaum Hoffnungen gemacht, bei der WM im Tor zu stehen. Sepp hatte einfach ein schlechtes Jahr gehabt, und in der Zeit hab ich die Lücke eben gefüllt. Mir war schon klar, dass er seine Krise irgendwann überwindet und dass ich dann wieder raus muss. Schließlich war er von der Jugend an von Helmut Schön begleitet worden, und aus dieser Vergangenheit heraus lagen die Sympathien einfach beim Sepp. Es gab dann ein Länderspiel gegen Schottland, wir spielten jeder eine Halbzeit, und ich merkte genau, jetzt ist er wieder da. Ich war auch gar nicht mal groß enttäuscht. Sepp Maiers Krise kam für mich einfach ein Jahr zu früh.
Nach der WM fielen die Bayern in ein gewaltiges Loch, wogegen Gladbach richtig auf Touren kam: Meister mit sechs Punkten Vorsprung und UEFA-Cup-Sieger. War das der Höhepunkt der Fohlen-Ära?
Von Höhepunkten würde ich gar nicht sprechen, all die Jahre waren ein einziger Höhepunkt. Ich kann auch schwer sagen, welcher Titel der schönste war, vielleicht der allererste oder der Pokalsieg ’73, weil ich so viel dazu beigetragen habe und weil er so erzittert war. Es ist einfach wundervoll, dabei gewesen zu sein. Außerdem finde ich es schön, dass wir die Ersten waren, die den Titel verteidigt haben. Die Bayern haben uns das dann nur nachmachen können.
Auf Hennes Weisweiler folgte dann Udo Lattek. Ein Jahr später waren Sie Ersatz.
Beim ersten Mal konnte ich das noch nachvollziehen. Ich hatte schon die alte Saison nur mit Schmerztabletten durchgehalten und hab mich dann freiwillig für die Operation entschieden. Über die Konsequenz, dann erst mal nicht zu spielen, war ich mir im Klaren. Und mit Wolfgang Kneib wurde die Mannschaft dann schließlich auch Meister. Da hab ich schon eingesehen, dass man den Torwart nicht ohne Not wieder wechselt. Etwas ungerecht war die Situation aber eine Saison danach. Da hat Udo Lattek mich aus persönlichen Gründen wieder rausgenommen und hat erst noch so getan, als wenn er sich noch entscheiden müsste, dabei wusste er es schon die ganze Zeit. Darüber hab ich mich sehr aufgeregt.
Kurz bevor Lattek wieder ging, kam es angeblich zu einer Abstimmung, bei der die Mannschaft sich mit 15:1 für ihn ausgesprochen haben soll. Dann waren Sie wohl die Gegenstimme.
Nein, nein. Das mit der Abstimmung kann ich so erst mal gar nicht bestätigen. Außerdem hab gerade ich mich ja noch für ihn eingesetzt. Es war so, dass Lattek, aus welchen Gründen auch immer, entlassen werden sollte. Nun hatten wir ’79 aber sogar den UEFA-Cup gewonnen, und da gab es eine Rede im Klubhaus, wo alle begrüßt und beglückwünscht wurden, vom Balljungen bis zur Putzfrau und natürlich die Mannschaft. Als alle brav klatschten, bin ich aufgestanden - obwohl der Udo Lattek damals wirklich nicht mein bester Freund war - und hab den Dr. Beyer gefragt, ob er nicht jemanden vergessen hätte. „Sie haben ja mit keinem Wort den Trainer erwähnt“, hab ich gesagt. Da stand die Mannschaft auf und hat geklatscht. Unser Votum, wenn Sie so wollen, war es zu fordern, dass Lattek noch bis zum Ablauf seines Vertrages bei uns Trainer bleibt. In Gladbach war noch nie ein Trainer entlassen worden, und wir wollten, dass das auch so bleibt. Und irgendwann hat der Vorstand das auch akzeptiert.
Einen der letzten großen Auftritte hatten die Fohlen am letzten Spieltag 1977/78, beim 12:0-Kantersieg gegen Dortmund. Ihr Trainer sagte damals, hätte das wirklich noch zur Meisterschaft gereicht, in Deutschland wäre wohl Krieg ausgebrochen.
Ja, das wäre natürlich sehr unglücklich gewesen. Manchmal werde ich heute noch gefragt, ob da denn wohl alles koscher war. Aber ganz ehrlich, an die Tordifferenz haben wir doch überhaupt nicht gedacht, unsere einzige Hoffnung war, dass St. Pauli gegen Köln einen Punkt holt. Klar waren die Kölner sauer, aber das Allergemeinste war, dass alle das hinterher am Torwart Endrulat festgemacht haben, dabei war der die ärmste Sau auf dem Platz. Die ganze Mannschaft hat sich hängen lassen. Da waren viele Ältere dabei, die nach der Saison aufhörten, andere bekamen keinen Vertrag mehr oder waren gedanklich schon im Urlaub. Und wir waren hochmotiviert und haben uns in einen Rausch gespielt. Natürlich darf so etwas nicht sein, dass eine Profimannschaft so auseinander bricht. Das war nicht in Ordnung von den Dortmundern. Vielleicht ist es aber auch ganz gut, dass so ein Spiel mal stattgefunden hat. Jetzt weiß man ganz genau, wie die Reaktionen sind und wie man anschließend niedergemacht wird.
Statt zum vierten Mal in Folge wurde Mönchengladbach dann niemals wieder Deutscher Meister. War an dieser Stelle schon spürbar, dass die größte Zeit vorüber war?
Das konnte man sehen, ja. Alles brach ein wenig auseinander, die Strukturen waren aufgeweicht. Es war ja kontinuierlich jedes Jahr ein Stückchen Borussia verkauft worden. Erst ging der Eine weg, dann der Nächste. Anfangs kamen immer noch welche nach, aber nur in einer überragenden Mannschaft wird ein mittelmäßiger Spieler auch zu einem guten, weil er einfach mitgerissen wird. Bröckelt die Mannschaft dann aber so auseinander, dann lässt sich das nicht mehr auffangen, dann bleibt es einfach beim Mittelmaß. Wenn man immer ein Steinchen herauszieht, dann fällt das Ganze irgendwann zusammen. Und genau so war das damals in Mönchengladbach der Fall.
Was folgte, war der Absturz in eben jenes Mittelmaß, in dem vorher der Rivale gesteckt hatte. Warum sind die Bayern dann auf Dauer nach oben zurückgekehrt und Gladbach nicht?
Ganz einfach. Die Bayern hatten 66.000 und wir 34.000 Zuschauer, wenn wir denn überhaupt ausverkauft waren, und das waren meist sogar nur Stehplätze. Allein da gab es schon einen Millionenunterschied pro Spiel, da konnten die Bayern ganz anders wirtschaften. Außerdem waren sie natürlich so schlau, das Geld auch zu investieren, während Gladbach bis an sein Limit verkauft und den gleichen Neuanfang gescheut hat. Und an der Stelle ging die Schere dann auseinander.