Europameisterschaft

Schwyzer EURO-Splitter (Teil 5): Ein Herz für England

Wenn man nach Genf kommt, ist man in der großen, weiten Welt angekommen. Hier flanieren die Reichen und Mächtigen der Welt. Und hier wird Geschichte gemacht. Die UNO ist hier, internationale Konferenzen finden statt, Fäden der internationalen Politik laufen hier zusammen. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz, von einem Genfer gegründet, hat hier sein Hauptquartier und lenkt seine weltweiten humanitären Aktivitäten. Die Menschen aus aller Welt, die hier leben und sich hier begegnen machen das aufgeschlossene Genf zu einem sympathischen Multikulti-Zentrum der Schweiz.

Zwielichtige Geschichte ist hier auch zuhause. Spionagenest im Kalten Krieg, und nicht ein korrupter Diktator, der nicht hier auch die Schönheit des Lebens genossen hätte, mit den Erträgen seines Kapitals auf sicheren Schweizer Nummernkonten. Kaum ein Ölscheich vom Golf, Silber-Baron aus Südamerika, oder Gas-Oligarch aus dem Osten, der nicht an den Gestaden des Genfer Sees eine Villa samt Hofstaat erworben und mit Prunk erfüllt hätte. Unvergessen die Einkaufstouren, die Herr Mobutu samt Entourage in Genf veranstaltet hat. Gleich mit mehreren mit der Shoppingausbeute gefüllten Fliegern ist er weiland wieder in die Heimat zurückgeflogen, die er zur persönlichen Bereicherung ausgepresst und geknebelt hat. Nun, Mobutu ist nicht mehr, und die Schlösser der Reichen liegen auch eher dezent verborgen.

Für alle sichtbar ist aber das markanteste Wahrzeichen der Stadt, nämlich die gewaltige Wasserfontäne, die 140 Meter hoch in den Himmel schießt, der „Jet d’Eau“. Schon vom Zug oder Flugzeug aus sieht man ihn in der Hafenbucht inmitten von Genf. In Sichtweite des Jet d’Eau liegt das berühmte Nobelhotel Beau Rivage, in dem einst Uwe Barschel in der Badewanne lag, und in dem Kaiserin Sissy verschied, nachdem sie auf der Promenade von einem italienischen Anarchisten erdolcht wurde. Aber das ist schon wieder Geschichte! Zurück zur Fontäne des Jet d’Eau, denn er liefert die Kulisse für eine EURO08-Posse erster Güte.
Findige Köpfe der Genfer EURO08-Planung ersannen sich eine tolle Idee. Auf der Spitze der Fontäne sollte ein überdimensionaler Ball tanzen, wie auf einem Springbrunnen. König Fußball über Genf, buchstäblich das schwarzweiße Tüpfelchen auf dem i! Dazu wurde ein Heliumballon im Fußball-Outfit in Auftrag gegeben, der von einer Stahlseilkonstruktion am Wegflug gehindert und auf der Spitze des Jet d’Eau gehalten werden sollte.

Nun ist es jedem bekannt, dass in Genf bisweilen ein ziemlich grimmiger Wind weht. „Bise“ heißt er, unbarmherzig ist er und im Winter lässt er schon einmal die Eiszapfen am Geländer der Seepromenade waagrecht wachsen. Vorhersehbares Resultat: Der Ball, der für ein Maximallüftchen von 25km/h konstruiert war, wurde schon beim Probetanzen vor dem Turnier vom Wind zerzaust und musste eingeholt werden. Geflickt ist er nun rechtzeitig zurück. Wie lange er hält, weiß keiner. Was man weiß, ist, dass der Spaß 360.000 Schweizer Franken gekostet hat, Reparatur noch nicht eingerechnet.

Und was man auch weiß: Der Ballon wurde in England fabriziert, und konnte auch nur dort repariert werden. So kommt also England bei der EM doch noch zu seinem Recht, und so schwebt der Fußball aus dem Mutterland doch über allem. Während sich also Albions Truppe während der EM trotzig auf Trinidad und Tobago mit einer B-Elf an Sparringspartnern abarbeitet, steht Genf zur EURO08 insgeheim im Zeichen des englischen Fußballs. Aber auf den ist, wie wir gemerkt haben, in diesen Tagen kein Verlass.

Steffen Rottler