Unterirdische Reflexe
von Günther Jakobsen
Es wird schon jetzt langsam unerträglich. Die Deutschen wurden von den Medien nach einem Sieg bereits zum Europameister 2008 hoch geschrieben und geredet, die Poldi-Lobhudeleien schwirrten in Superlativen über uns hinweg. Dann: 1:2 gegen Kroatien im zweiten, erst zweiten EM-Spiel. Und: Die bisherigen medialen Hochjubler mutieren urplötzlich zu Extrem-Runtermachern.
Eingeschnappte Berichterstatter
Die Schwarz-Rot-Gold-Flaggen sind ein Ausdruck von Fußballfans, die sich mit ihrem Kicker-Team und natürlich auch ihrem Land (in diesem Fall zweitrangig) solidarisch erklären. Auf ähnlich knappe Euphoriesymbolismen dürfen sich z. B. TV-Kommentatoren aufgrund ihres Anspruches, ihrer Ausbildung und ihrer Reichweite natürlich nicht herabmaulen. Der immer einmal wieder in Stresssituationen (Deutschland liegt zurück) bösartig, eingeschnappt und völlig unprofessionell vor sich hin pöbelnde ZDF-Kommentatoren-Matador Béla Rethy war mit der Moderation der Partie Deutschland-Kroatien erneut völlig überfordert. Verkraften konnte er bereits nach gerade sieben Spielminuten nur schwer, dass die Deutschen nicht exakt so gut ins Spiel kamen wie gegen Polen und sah nicht ansatzweise, dass die Kroaten technisch, mental und taktisch wesentlich optimaler auf die DFB-Elf eingestellt waren als unser EM-Start-Gegner Polen. Er hatte sich schnell in Rage geredet und kam von seinem unsäglichen Trip über die gesamten 95 Minuten nicht mehr herunter.
Fachfremde Szenenanalysen
Die Kroaten arbeiteten derweil mit tollen fußballerischen Mitteln konzentriert an der Delle in der uns zuvor aufgedrückten 08-Sommermärchen-Illusion weiter. Anerkennung für deren piekfeinen Auftritt schien hier eher ratsam gewesen. Doch das billige Runtermachen (nach dem euphorischen Hochjubeln) wurde auch von Spiegel-Online-Redakteuren beherzigt. Die quälend reduzierte Einzelkritik gegenüber dem wahrlich solide und bestenfalls in Spurenelementen schwächer als sonst auftretenden Mertesacker fiel schlichtweg katastrophal unqualifiziert aus: „Zog vor dem 0:1 seinen Kopf ein. Warum, wird wohl ein Rätsel bleiben.“ Mehr würgte der „Kommentator“ nicht hervor. Der Begriff Einzelkritik wurde somit der Lächerlichkeit Preis gegeben, zumal jeder halbwegs neutrale Fußballkenner deutlich sah, dass kein Zwei-Meter-Mann dieses Erdballs in jenem Moment an die Flanke herangekommen wäre. Der scheinbar sachkundige und ansonsten meist objektive Experte Klopp grummelte in der Nachbetrachtung dieser Szene aus der ihm vielleicht zustehenden aber nichtsdestotrotz ebenso falschen Sichtweise ins notorische Oberlehrer-Horn und dichtete dem Werder-Innenverteidiger Arbeitsverweigerung an. Dass Abwehrmann Jansen in der Folge den Bruchteil einer Sekunde gegen den aufgrund besserer Ausgangsposition ausgestatteten Cleverle Srna zu spät einschritt, wurde sofort auf die Gesamtleistung des Bayern-Linksverteidigers unseriös ausgeweitet. Zumindest bekamen Urs Meyer und Kollege Johannes B. Kerner in soweit die Kurve, indem sie übereinstimmend festhielten, dass die Kroaten schlichtweg an diesem Tag „einfach besser spielten“. Aha!
Sonstige fatale Sichtweisen
Kroaten-Coach Bilic hatte seine Truppe so optimal motiviert, informiert, analysiert und entsprechend trainiert (gute bis sehr gute Fußballspieler sind/waren die Kroaten immer - man frage die Engländer). Die Stärken jedes einzelnen DFB-Spielers konnten dadurch entscheidend reduziert wurden. „Jogi, diese Pleite macht uns Angst“, titelte Bild.de besonders billiges Grauen kurz nach der Partie mit urplötzlich vollen Hosen ins Netz und verkannte dabei völlig eine durchweg hochkarätige Partie, die jeden Fußballkenner über 90 Minuten zu fesseln vermochte. Dennoch: das 2:0 der Balkan-Kicker war ein (wenn auch erzwungener) Zufallstreffer. Podolski fälschte für Lehmann unhaltbar eine an sich missglückte Flanke gen Pfosten ab, so dass der Ball dem glücklichen Olic vor den guten linken Fuß fiel. Falsch machen konnte der HSVer dann gar nichts mehr. Im „Weser-Kurier“ verstieg sich Olaf Dorow zu der Aussage: „“Jens Lehmann patzte – und es stand 0:2. Der Keeper ließ es zu, dass eine Flanke an den Pfosten klatschen konnte.“ Demnach patzt ein guter Torwart nur dann nicht, wenn er auch alle abgefälschten Bälle vorausahnt. Und demzufolge wird aus Lehmann leider kein Fußballgott... Hallo! Der deutsche Anschlusstreffer hatte dagegen geradezu spektakuläres Format, ging aber spätestens nach dem Abpfiff im Rahmen der folgenden Schimpfkanonaden beleidigter Kommentatoren vollends unter: „Wir“ haben schließlich verloren! Geht gar nicht! Die schlechten Verlierer waren aber in ihren ersten Statements nicht unsere Fußballer, die wenig beschönten, sondern sachlich analysierten. Unsere verbrämten Vereinsbrillenträger hinter den Mikros, deren jämmerliches Beleidigtsein blieb dagegen einmal mehr unterirdisch. Die deutsche Elf spielte zwar wie es das Unterhaltungsprogramm vorgegeben hatte, nämlich mit allen verfügbaren Spannungselementen. Verlieren durfte sie allerdings nicht. Streng verboten. Spaßbremse. Passt nicht ins Format. Setzen oder/und: Pranger!
Niveau auf dem Platz – Elend vor dem Mikro
Bei dieser EM spielen durchweg gut ausgebildete Teams nahezu auf Augenhöhe. Selbst die so genannten Underdogs Russland, Rumänien, Schweiz und Österreich sind spielerisch letztlich nur überraschend minimal von den ebenfalls nur so genannten Favoriten entfernt. Die EM08 ist bislang ein Spiegel immer wieder großartiger, mit hohem Aufwand betriebener Fußballunterhaltungskunst. Wir sitzen schlicht gern davor und lassen und mitreißen. Das Niveau der dieses Spektakel begleitenden Kommentatoren labert allerdings um Längen hinterher. Selbst die sich entweder in Brachialkritik (Netzer) oder dürftigen Albernheiten (Delling) übenden ARD-Trophäenträger (Grimme-Preis!?) seien hier ausdrücklich nicht ausgenommen und „machen einem Angst“ für die zweite TV-EM-Hälfte. Die Masse des Unsäglichen hier weiter im Detail auszuführen, würde uns nur doppelt gruseln. Eine Leistungssteigerung der Berichterstatter ist also absolut überfällig. Erfrischende Ansätze, wie die eines Mehmet Scholl, der ein Spiel nicht nur lesen und bedribbeln konnte, sondern nun auch verbal (noch als „Praktikant“) ebenso kurvenreich wie gradlinig Kompetentes wieder gibt, sind da eher ein kreativer Ausweg aus einer mittlerweile geradezu traumatischen Beliebigkeit der aktuell etablierten Laber-Kaste, die ihre miefige Penetranz einmal mehr bei einem großen Turnier offenbart.
Ulrich Merk
Eingeschnappte Berichterstatter
Die Schwarz-Rot-Gold-Flaggen sind ein Ausdruck von Fußballfans, die sich mit ihrem Kicker-Team und natürlich auch ihrem Land (in diesem Fall zweitrangig) solidarisch erklären. Auf ähnlich knappe Euphoriesymbolismen dürfen sich z. B. TV-Kommentatoren aufgrund ihres Anspruches, ihrer Ausbildung und ihrer Reichweite natürlich nicht herabmaulen. Der immer einmal wieder in Stresssituationen (Deutschland liegt zurück) bösartig, eingeschnappt und völlig unprofessionell vor sich hin pöbelnde ZDF-Kommentatoren-Matador Béla Rethy war mit der Moderation der Partie Deutschland-Kroatien erneut völlig überfordert. Verkraften konnte er bereits nach gerade sieben Spielminuten nur schwer, dass die Deutschen nicht exakt so gut ins Spiel kamen wie gegen Polen und sah nicht ansatzweise, dass die Kroaten technisch, mental und taktisch wesentlich optimaler auf die DFB-Elf eingestellt waren als unser EM-Start-Gegner Polen. Er hatte sich schnell in Rage geredet und kam von seinem unsäglichen Trip über die gesamten 95 Minuten nicht mehr herunter.
Fachfremde Szenenanalysen
Die Kroaten arbeiteten derweil mit tollen fußballerischen Mitteln konzentriert an der Delle in der uns zuvor aufgedrückten 08-Sommermärchen-Illusion weiter. Anerkennung für deren piekfeinen Auftritt schien hier eher ratsam gewesen. Doch das billige Runtermachen (nach dem euphorischen Hochjubeln) wurde auch von Spiegel-Online-Redakteuren beherzigt. Die quälend reduzierte Einzelkritik gegenüber dem wahrlich solide und bestenfalls in Spurenelementen schwächer als sonst auftretenden Mertesacker fiel schlichtweg katastrophal unqualifiziert aus: „Zog vor dem 0:1 seinen Kopf ein. Warum, wird wohl ein Rätsel bleiben.“ Mehr würgte der „Kommentator“ nicht hervor. Der Begriff Einzelkritik wurde somit der Lächerlichkeit Preis gegeben, zumal jeder halbwegs neutrale Fußballkenner deutlich sah, dass kein Zwei-Meter-Mann dieses Erdballs in jenem Moment an die Flanke herangekommen wäre. Der scheinbar sachkundige und ansonsten meist objektive Experte Klopp grummelte in der Nachbetrachtung dieser Szene aus der ihm vielleicht zustehenden aber nichtsdestotrotz ebenso falschen Sichtweise ins notorische Oberlehrer-Horn und dichtete dem Werder-Innenverteidiger Arbeitsverweigerung an. Dass Abwehrmann Jansen in der Folge den Bruchteil einer Sekunde gegen den aufgrund besserer Ausgangsposition ausgestatteten Cleverle Srna zu spät einschritt, wurde sofort auf die Gesamtleistung des Bayern-Linksverteidigers unseriös ausgeweitet. Zumindest bekamen Urs Meyer und Kollege Johannes B. Kerner in soweit die Kurve, indem sie übereinstimmend festhielten, dass die Kroaten schlichtweg an diesem Tag „einfach besser spielten“. Aha!
Kroaten-Coach Bilic hatte seine Truppe so optimal motiviert, informiert, analysiert und entsprechend trainiert (gute bis sehr gute Fußballspieler sind/waren die Kroaten immer - man frage die Engländer). Die Stärken jedes einzelnen DFB-Spielers konnten dadurch entscheidend reduziert wurden. „Jogi, diese Pleite macht uns Angst“, titelte Bild.de besonders billiges Grauen kurz nach der Partie mit urplötzlich vollen Hosen ins Netz und verkannte dabei völlig eine durchweg hochkarätige Partie, die jeden Fußballkenner über 90 Minuten zu fesseln vermochte. Dennoch: das 2:0 der Balkan-Kicker war ein (wenn auch erzwungener) Zufallstreffer. Podolski fälschte für Lehmann unhaltbar eine an sich missglückte Flanke gen Pfosten ab, so dass der Ball dem glücklichen Olic vor den guten linken Fuß fiel. Falsch machen konnte der HSVer dann gar nichts mehr. Im „Weser-Kurier“ verstieg sich Olaf Dorow zu der Aussage: „“Jens Lehmann patzte – und es stand 0:2. Der Keeper ließ es zu, dass eine Flanke an den Pfosten klatschen konnte.“ Demnach patzt ein guter Torwart nur dann nicht, wenn er auch alle abgefälschten Bälle vorausahnt. Und demzufolge wird aus Lehmann leider kein Fußballgott... Hallo! Der deutsche Anschlusstreffer hatte dagegen geradezu spektakuläres Format, ging aber spätestens nach dem Abpfiff im Rahmen der folgenden Schimpfkanonaden beleidigter Kommentatoren vollends unter: „Wir“ haben schließlich verloren! Geht gar nicht! Die schlechten Verlierer waren aber in ihren ersten Statements nicht unsere Fußballer, die wenig beschönten, sondern sachlich analysierten. Unsere verbrämten Vereinsbrillenträger hinter den Mikros, deren jämmerliches Beleidigtsein blieb dagegen einmal mehr unterirdisch. Die deutsche Elf spielte zwar wie es das Unterhaltungsprogramm vorgegeben hatte, nämlich mit allen verfügbaren Spannungselementen. Verlieren durfte sie allerdings nicht. Streng verboten. Spaßbremse. Passt nicht ins Format. Setzen oder/und: Pranger!
Niveau auf dem Platz – Elend vor dem Mikro
Bei dieser EM spielen durchweg gut ausgebildete Teams nahezu auf Augenhöhe. Selbst die so genannten Underdogs Russland, Rumänien, Schweiz und Österreich sind spielerisch letztlich nur überraschend minimal von den ebenfalls nur so genannten Favoriten entfernt. Die EM08 ist bislang ein Spiegel immer wieder großartiger, mit hohem Aufwand betriebener Fußballunterhaltungskunst. Wir sitzen schlicht gern davor und lassen und mitreißen. Das Niveau der dieses Spektakel begleitenden Kommentatoren labert allerdings um Längen hinterher. Selbst die sich entweder in Brachialkritik (Netzer) oder dürftigen Albernheiten (Delling) übenden ARD-Trophäenträger (Grimme-Preis!?) seien hier ausdrücklich nicht ausgenommen und „machen einem Angst“ für die zweite TV-EM-Hälfte. Die Masse des Unsäglichen hier weiter im Detail auszuführen, würde uns nur doppelt gruseln. Eine Leistungssteigerung der Berichterstatter ist also absolut überfällig. Erfrischende Ansätze, wie die eines Mehmet Scholl, der ein Spiel nicht nur lesen und bedribbeln konnte, sondern nun auch verbal (noch als „Praktikant“) ebenso kurvenreich wie gradlinig Kompetentes wieder gibt, sind da eher ein kreativer Ausweg aus einer mittlerweile geradezu traumatischen Beliebigkeit der aktuell etablierten Laber-Kaste, die ihre miefige Penetranz einmal mehr bei einem großen Turnier offenbart.
Ulrich Merk