Die Saison veränderte das Standing beider Stammkeeper der Südvereine erheblich. Stuttgarts Timo Hildebrand stieg als Torwart der erfolgreichsten Bundesligaabwehr (nur 21 Gegentore) zu einem aussichtsreichen EM-Kandidaten auf, hinter den gesetzten Kahn und Lehmann. Oliver Kahns „Titanen“-Image bröckelte derweil, da dem Schlussmann der Münchner Bayern ungewohnte Fehler unterliefen. Im direkten Duell stehen die Keeper im öffentlichen Fokus.
Ein 0:4 zum Einstand
Die „Nummer eins“ - so der Titel von Kahns aktuell veröffentlichtem Buch - erlebte in der Saison 1987/88 einen Bundesligaeinstand, wie er unangenehmer kaum hätte sein können. Mit 0:4 unterlag der Karlsruher SC beim 1. FC Köln. Im Tor der Badener stand, als Ersatz für den gesperrten Stammkeeper Famulla, der 18-jährige Oliver Kahn. Dem Debütanten war keine Schuld an den Gegentreffern anzukreiden. Sein Statement nach der Partie: „Ich bin ganz zufrieden mit meinem Spiel“, klingt indes wenig nach dem Oliver Kahn, der bei Bayern München und der DFB-Elf dank seiner Reflexe und seines Siegeswillens zur Nummer eins aufstieg und, dem äußeren Eindruck nach, Gegentore als persönliche Beleidigung zu betrachten pflegt.
Zurück zur Unantastbarkeit
Es gebe nicht nur den Kahn, „der mit offenem Mund im Tor steht, brüllt und seine Kollegen würgt“, sagte der Bayern-Keeper bei der Vorstellung seines Buches - unverkennbar der Versuch einer Imagekorrektur. Darüber hinaus erwägt Kahn Veränderungen, „damit ich meinen Torwart-Job wieder richtig machen kann“. In diesem Zusammenhang stellte er die FCB-Kapitänsbinde zur Disposition. „Ich will wieder zeigen, was ich kann“, brennt er darauf, seinen angekratzten Ruf als Ausnahme-Schlussmann aufzufrischen.
Auf dem aufsteigenden Ast
Auch Timo Hildebrand war mit seinem Bundesligadebüt (Saison 1999/00) nicht unzufrieden. Der Stuttgarter, als Stellvertreter des grippegeschwächten Franz Wohlfahrt, brauchte allerdings auch nicht hinter sich zu greifen und feierte einen 2:0-Auswärtserfolg des VfB in Freiburg: „Es hat superriesig Spaß gemacht, der Mannschaft von hinten zuzuschauen“. In der folgenden Spielserie konnte Hildebrand diesen Anblick in 32 Spielen genießen, denn er hatte Wohlfahrts Platz im Schwabenteam eingenommen. Sportlich wurde diese Saison allerdings nicht einfach; mit Müh´ und Not hielt man die Klasse und Hildebrand kassierte 49 Gegentreffer. Dann jedoch gings mit dem VfB steil bergauf - auch dank der Klasse des Keepers, der mit seinem Rekord von 884 Bundesliga-Minuten in Folge ohne Gegentor in dieser Statistik die Führung vor Kahn (803 Minuten) übernahm.
Tausend Mal gesagt
Die jüngste Umfrage des Fachmagazins „Kicker“ zur Frage, wer bei der EM das Tor der DFB-Auswahl hüten sollte, ergab ein klares Votum zugunsten des Stuttgarters: Mehr als die Hälfte der Teilnehmer (58,1 %) stimmten für Hildebrand, 27,5 % präferierten Kahn, der Rest entschied sich für Lehmann (14,4 %). Volkes Stimme wird die Hierarchie von Teamchef Rudi Völler mit Kahn an der Spitze kaum erschüttern, unterfüttert jedoch Hildebrands EM-Chancen als dritter Torwart. Sportlich unumstritten, nerven ihn nur noch Spekulationen um seine Vertragsverlängerung (bislang bis 2005): „Mittlerweile frage ich mich, warum mir eigentlich niemand glaubt, dass ich hier in Stuttgart bleiben will? Ich hab’s doch schon tausendmal überall und jedem gesagt.“ Mit wachsendem Interesse an seiner Person wird Hildebrand zur Not auch 1001 Mal antworten müssen - oder ein Buch schreiben.
André Schulin
Ich habe nie gerne Elfmeter geschossen, in der Premier League habe ich zwei verwandelt, aber ich weiß auch nicht, wie ich das gemacht habe.
— TV-Experte Jan Aage Fjörtoft bei Servus TV zum Elfmeter-Drama FC Sevilla - Red Bull Salzburg (1:1) mit vier Elfern.