Aufstieg und Fall des Norbert M.

Verzückend, wie dieses Ereignis geradezu nach Assoziationen streit, Verzeihung, schreit. Es ließe sich trefflich über Berufsauffassung diskutieren. Über falsch verstandene Hierarchien, über Moral und Anstand im Sport. Oder einfach darüber, ob Norbert Meier auf der Bühne des Duisburger Theaters nicht vielleicht besser aufgehoben wäre als auf dem Fußballplatz.
Aber der Reihe nach. In der 85. Minute des Nachholspiels Duisburg-Köln geraten Trainer Meier und Kölns Albert Streit, nunja, in selbigen. Wir kennen das aus zahlreichen Bundesligapartien, plötzlich stehen sich zwei Männer Stirn an Stirn gegenüber und brüllen sich an. Häufig sind die Männer dabei allerdings so unterschiedlich groß (stellen wir uns ein Wortgefecht zwischen Philipp Lahm und Jan Koller vor), dass die Beleidigungen, die ausgetauscht werden, auf Ohrenhöhe gar nicht erst ankommen und deswegen ungehört im Stadionrund verhallen. Daraufhin trennen sich die Streithähne, ohne dass es zu größeren Komplikationen gekommen wäre und sich einer der beiden beleidigt fühlen müsste. Ein guter Schiedsrichter zeigt beiden gelb, Ende der Diskussion.
Norbert Meier aber ruft den fast gleich großen Albert Streit zum Gespräch und legt sein Haupt an das seines Gegenübers. Er zögert kurz, wohl weil sein Gehirn einen letzten verzweifelten Akt des Einschreitens in Betracht zieht (diesmal stellen wir uns Otto Waalkes vor: (hektisch) „Großhirn an Muskulatur: Verkrampfen! (verzweifelt) „Großhirn an alle: Aufhören!“ (sehr verzweifelt) „Großhirn an alle! Ääh...dahinten gibt´s Bier!“). Doch standhaft leugnet Meier jede Anwesenheit menschlicher Intelligenz und wankt keinen Schritt zurück. Im Gegenteil. Plötzlich schnellt sein Kopf vor, trifft Streit und dann fällt...Meier. Jedenfalls zuerst. Und er schaut sogar im Fallen noch gierig, ob irgendwo eine Kamera in der Nähe ist, die diese Frevelei, diesen unverschämten Kopfstoß von Albert Streit, auch aufzeichnet. Es ist. Meier fällt, weil er wieder angefangen hat zu denken und zwar: „Wenn ich mich jetzt auf den Boden werfe, dann denken alle, dass der Streit mich per Kopfstoß umgehauen hat, hihi. Schlaues Kerlchen.“ Noch während Meier dies denkt und fällt, realisiert Streit, dass er getroffen wurde. Also fällt auch er und denkt: „Gibt´s ja gar nicht. Wir trainieren dieses Fallen jeden Tag, hätte aber nie gedacht, dass mich mal ein Trainer umstößt. Auch gut. Fühlt sich toll an.“
Meiers Tat hat zur Konsequenz, dass Streit die Rote Karte sieht und der Coach auf die Tribüne verbannt wird. Meiers Tat sollte zur Konsequenz haben, dass er die Tribüne für eine große Anzahl von Spielen des MSV Duisburg nicht mehr verlässt. Sie merken, wir sind bei der Diskussion über die Berufsauffassung, Moral usw. angelangt. Ein Trainer hat sich zurückzunehmen. Er darf, wie der große Werner Lorant, kleine Metallkisten durch die Gegend schießen. Er kann gegen Plexiglasscheiben treten, auf dem Rasen (in der Coaching Zone, wohlgemerkt) herumhüpfen oder wutentbrannt eine Plastikflasche mit isotonischem Durstlöscher auf den Boden werfen. Aber der letzte Funken Anstand, der nach Trommelstockwurf und Alpay-Ellenbogencheck noch verlangt werden darf, gebietet es, dass sich zumindest die Trainer auf dem Platz unter Kontrolle haben.
So muss Meier nicht nur mit dem Makel seiner Tat leben (Albert Streit wollen wir höchstens vorwerfen, dass er sich auf eine Diskussion überhaupt eingelassen hat – warum Meier geblutet hat, muss er sich selbst fragen), sondern auch mit einer Sperre rechnen. Obwohl er dies nicht tut: „Wir standen Kopf an Kopf. Dann bin ich hingefallen. Von einer Kopfnuss von meiner Seite aus kann keine Rede sein. Ich rechne nicht mit einer Sperre. Ein Spieler darf sich vor einem Trainer nicht so aufbauen.“ Das wäre der Teil mit den falsch verstandenen Hierarchien.
Und schließlich sei dieser lange Exkurs mit einer Empfehlung an Herrn Meier beendet: Im Foyer III des Duisburger Theaters kommt am 11. Dezember ein Stück nach Hans Christian Andersen zur Aufführung: „Der standhafte Zinnsoldat“. Vielleicht hilft es ja...
Jan-Christoph Poppe