DFB-Team

Ausbruch als Eigentor

von Günther Jakobsen19:28 Uhr | 07.09.2003

Nach dem trostlosen Kick in Reykjavik nahmen sich die beiden Logen-Kritiker Delling und Netzer doch glatt die Freiheit heraus, der grausigen Wahrheit auf dem Fußballfeld einen Platz in der Unterhaltungsindustrie zuzuweisen – allerdings einen Abstiegsplatz. Damit war der Übungsleiter der Kritisierten gar nicht einverstanden...

Standfußball, technische Unzulänglichkeiten, fehlender Kampfgeist, Fehlpässe en masse etc. etc. etc. Nicht nur Böswillige könnten diese Aufzählung über die Qualität des deutschen Spiels auf Island beliebig fortsetzen. Angesichts der Tatsache, dass sich nahezu jeder Nationalspieler aus Völlers aktuellem Kader, der vorab in die Nähe eines Mikrophons geriet, über den gewaltigen Unterschied zwischen Freundschaftsspielen wie gegen Italien und EM-Auseinandersetzungen schwadronierte, ergab sich ein überraschend emotionsloser, sportlicher Output. Kein einziger Akteur erreichte Normalform und wollte es wahrscheinlich auch nicht, denn das 0:0 schien eines der Ergebnisse zu sein, das intern vorab auf dem Wunschzettel notiert war. Wie anders ist es sonst erklärlich, dass von einer Gegenwehr, von einem Aufbauspiel und von Offensivbemühungen - außer unglücklichen Alibiaktionen - nichts zu sehen war. Die Spielerkommentare kurz nach der Partie gingen dann auch einsilbig in Richtung Abhaken-und-die-beiden-nächsten-Spiele-gewinnen. Sieben Millionen Fußballfans an den Fernsehschirmen würden das schon verstehen...

Danach nahm ARD-Moderator Gerhard Delling den verunglückten Ball auf und stellte den Grottenkick sachlich richtig in die Problematik einer Reihe missglückter Samstagabendunterhaltungen seines Senders. In diesem Umfeld wollte der Teamchef sein und das Wirken seiner Kicker dann doch nicht einsortiert wissen. Aufgebracht randalierte er verbal gegen den rechtschaffen überraschten, jovialen Interviewer Waldemar Hartmann, dem er parallel unterstellte, vor diesem Gespräch bereits drei Weißbier auf dem Sofa genossen zu haben. Der Pflegeleichteste unter den pflegeleichten Moderatoren versuchte verzweifelt, aber erfolglos den Status der ARD-Sportjournalisten und –Experten zu retten, doch auf dem "Hohen Ross" (Völler) kamen die Beschwichtigungsversuche und Völlers Schelte kaum an. Delling und Netzer reagierten nach der Rückschalte souverän und entblößten die wirre, arrogante Stammelei des Bundestrainers mit amüsierter Trotzigkeit und legten selbstbewusst nach. Völler war schließlich die Grundregel entfleucht, dass der Übermittler schlechter Fußballspiele nicht der Verursacher derselben war.

Nun hatte sich also der Leitwolf der ihren Beruf lethargisch nachgehenden Truppe vor dieselbe geworfen und offenbarte dabei seine nicht nur Insidern längst bekannte offene Flanke. Und die zeigte innerhalb dieses Ausbruchs beispielhaft die fehlende Distanz zum eigentlichen sportlichen Tun auf, die sich hierbei in der Person Völlers entlarvend entlud. Die Mannschaft würde in den letzten beiden, entscheidenden Spielen "explodieren", kolportierte Oliver Kahn nachlegend einen Tag später und Völler wähnte sich, einmal-drüber-geschlafen, im Nachhinein immerhin ein bißchen verbal-derb, aber "in der Sache auf dem richtigen Weg".

Wichtige Fragen blieben: Warum "explodierte" das Team nicht auf der Vulkaninsel, um dann entspannter in die beiden letzten Spiele zu gehen? Kann diese fußlahme Truppe gegen Bertis Schotten "explodieren"? Woher die Zuversicht der Kicker vor dem Schottland-Spiel nach dem Reykjavik-Offenbarungseid?
Und vor allem: Wer unterhält uns nach dem kommenden, misslungenen Fußball-Mittwochabend, wenn sich Rudi Völler, nach einem "hart erkämpften Unentschieden gegen überraschend kampfstarke Schotten", wieder vor seine Kicker wirft und emotionell berührt feststellt, dass die Mannschaft im letzten Spiel auf heimischem Boden gegen Island tatsächlich explodieren und gewinnen wird. Auch wenn Delling und Netzer diesmal wieder ein schlechtes Spiel seines Teams gesehen hätten, aber es den Zuschauern eigentlich nicht so krass hätten sagen sollen, weil es doch ehrabschneidend sei und überhaupt und das Hohe Ross im Besonderen und früher auch schlecht und dass ich das schon immer mal sagen wollte und...

Franz Heck



Den Ballon d' Or kann man nicht mehr ernst nehmen. Das ist eine Veranstaltung, wo Leute nur noch ihre Freunde wählen.

— Johan Cruyff