Seit Jahren zählt Bayer Leverkusen zu den spielstärksten und offensivfreudigsten Mannschaften der Bundesliga. Und auch im bisherigen Saisonverlauf knüpften die Rheinländer unter der Leitung von Michael Skibbe an diese Tradition an. Fraglich ist allerdings, ob die viertplatzierte Werkself gefestigt genug ist, um sich bis zum Schluss an der Tabellenspitze zu halten.
Die Spielzeit 2001/2002 war die erfolgreichste in der Leverkusener Klubgeschichte. Trainer Klaus Toppmöller führte das Team, in dem solch namhafte Akteure wie Zé Roberto, Michael Ballack und Lucio standen, in das Finale der Champions League und des DFB-Pokals. Zudem besaß Bayer in der Liga die große Chance auf seinen ersten Meistertitel. Am Ende standen die Werkskicker jedoch mit komplett leeren Händen da: In der Königsklasse mussten sie sich Real Madrid beugen, im Pokal unterlagen sie dem FC Schalke und die Meisterschaft sicherte sich mit nur einem Punkt Vorsprung Borussia Dortmund. Dennoch ist die Mannschaft dem Publikum wegen ihres ansehnlichen, stets nach vorne ausgerichteten Kombinationsfußballs bis heute in bester Erinnerung geblieben. Dass sich die offensive Ausrichtung seit diesem denkwürdigen Jahr in Leverkusen etabliert hat, zeigt ein Blick auf die aktuelle Tabelle: Mit 32 geschossenen Toren verfügen die Westdeutschen hinter Werder Bremen (42) über die zweitstärkste Sturmreihe im deutschen Oberhaus. Weil auch in der Verteidigung, die erst 16 Gegentreffer und damit die drittwenigsten in der Liga zugelassen hat, vorzüglich gearbeitet wurde, findet sich Bayer auf einem beachtlichen vierten Platz wieder. Bei lediglich sechs Punkten Rückstand auf die Führenden aus München und Bremen ist die Werkself sogar in den Kreis der Meisterschaftsaspiranten aufgestiegen. Dabei hatte die Saison alles andere als verheißungsvoll begonnen. In den ersten vier Spielen gelang der Truppe von Michael Skibbe, der seit 2005 in der BayArena an der Seitenlinie steht, mit dem 3:0 gegen Karlsruhe nur ein Sieg. Hinzu kam das überraschende Aus im DFB-Pokal gegen den FC St. Pauli (0:1). Zurückzu-führen war der holprige Beginn wohl in erster Linie auf die fehlende Abstimmung durch die zahlreichen Neuzugänge. Als sich Manuel Friedrich, Vratislav Gresko, Hans Sarpei, Arturo Vidal und Theofanis Gekas – um nur die bekanntesten zu nennen – dann endlich an ihre neuen Kollegen gewöhnt hatten, ging es jedoch stetig bergauf. Mit einem 4:0-Erfolg über Bielefeld am zwölften Spieltag läutete Leverkusen eine fünf Begegnungen andauernde Siegesserie ein, die erst in der letzten Hinrundenpartie gegen Bremen (2:5) ihr Ende fand. In den abschließenden sechs Duellen erzielte Bayer 18 Tore, also mehr als die Hälfte seiner gesamten Trefferausbeute, und bot dabei über weite Strecken tollen Angriffsfußball mit fantastischen Spielzügen.
Unabdingbare Bestandteile der jungen Mannschaft sind die Routiniers Bernd Schneider, Carsten Ramelow und Sergej Barbarez. Vor allem Letztgenannter wurde seiner Führungsrolle, unter anderem mit vier Treffern und drei Assists, vollends gerecht, nachdem er in den ersten beiden Partien der Saison lediglich ein Reservistendasein gefristet hatte. Wichtiger noch als im Ligaalltag ist die Erfahrung der drei Mittdreißiger im internationalen Vergleich. Dort qualifizierten sich die Rheinländer durch einen knappen Erfolg gegen den portugiesischen Erstligisten Uniao Leiria (3:1, 2:3) für die Gruppenphase des UEFA-Cups. Mit Siegen über den FC Toulouse, Sparta Prag und den FC Zürich bewältigte Bayer – bei einer Niederlage gegen Spartak Moskau – auch diese Etappe mit Bravour. Mit neun Punkten und 8:2 Toren schloss die Skibbe-Elf die Gruppe E als Tabellenerster ab und muss ihre Kräfte nun in der Zwischenrunde mit Galatasaray Istanbul messen. Das Aufeinandertreffen mit dem türkischen Traditionsklub stellt für die Werkskicker eine echte Bewährungsprobe dar; genauso wie die zweite Halbserie der Bundesliga, in der Leverkusen eine in der Vergangenheit oft nicht vorhandene Beständigkeit unter Beweis stellen muss.
Christian Brackhagen
Der Herbstmeistertitel ist unwichtig, deshalb verkaufen wir in Gelsenkirchen nicht einen Tannenbaum mehr.
— Rudi Assauer