Brasilien: Erfolgreicher Sambafußball

von Günther Jakobsen15:39 Uhr | 18.06.2011

Bei den Herren schon lange eine feste Größe, schaffen die Frauen Brasiliens zur Zeit das, was ihre männlichen Kollegen vermissen lassen: Sie vereinen Zauberei mit Effektivität. Allein die eigene Psyche kann die Damen vom Zuckerhut stoppen.

Auch Brasilien gehört zu den Mannschaften, die an jeder bisherigen Frauen-WM teilgenommen haben. Aufgrund der individuellen Klasse einzelner Spielerinnen nahmen die „Canarinhas“ in Südamerika schnell eine Vormachtstellung ein, die Konkurrenz ließ lange auf sich warten. So gewannen die Brasilianerinnen zwar in schöner Regelmäßigkeit die Südamerikameisterschaft (1991, 1995, 1998, 2003, 2010) und wurden lediglich 2006 von Argentinien bezwungen, auf globaler Ebene brauchte es allerdings eine längere Anlaufzeit. 1991 und 1995 schied man bereits in der Vorrunde aus, infolgedessen wurde verstärkt an der fußballerischen Ausbildung der Damen gearbeitet. Dies sollte 1999 bereits Früchte tragen. In einer Gruppe mit Deutschland, Italien und Mexiko sicherte sich das Team um den damaligen Trainer Wilson De Oliveira Rica Rang eins noch vor Deutschland, was für allgemeine Überraschung sorgte. Das Halbfinale wurde mit 4:3 gegen Nigeria gewonnen, die USA waren bei der 0:2-Niederlage im Halbfinale dann allerdings doch eine Nummer zu groß. Nach einem 5:4-Erfolg im Elfmeterschießen über Norwegen sicherte sich Brasilien am Ende Rang drei, erfolgreichste Torschützin war Sissi, die sieben Treffer erzielen konnte. 2003 war bereits im Viertelfinale Schluss, man scheiterte mit einem 1:2 an Schweden. In China 2007 konnte Marta, die seit 2006 bis heute durchgängig Weltfußballerin des Jahres wurde, außerhalb der US-Liga auch im Nationalteam auf sich aufmerksam machen. Ihre sieben Tore führten Brasilien ins WM-Finale, welches man dann mit 0:2 gegen Deutschland verlor. Als Trostpreis durfte Marta, die im Finale noch einen Elfmeter vergab, die Titel der besten Spielerin, sowie der Torschützenkönigin mit nach Hause nehmen.

In Südamerika sowieso schon Klassenprimus, wurde Brasilien auch 2010 Südamerikameister und qualifizierte sich direkt für die WM. In der ersten Runde traf man auf Venezuela (4:0), Uruguay (4:0), die Überraschungsmannschaft aus Kolumbien (2:1) und Paraguay (3:0); in Runde zwei wurden der Erzrivale Argentinien (4:0), erneut Kolumbien (5:0) und Chile (3:1) bezwungen und die „Canarinhas“ sicherten sich souverän den Titel.

Überragende Akteurin der Qualifikation war (natürlich) Marta (25), die zusammen mit Sturmpartnerin Cristiane (26) 17 von 25 Toren erzielte. Während Marta sich in der US-Profiliga etabliert hat und seit 2011 bei Western New York Flash aktiv ist, nahm Cristiane den für eine Brasilianerin ungewöhnlichen Weg über die deutsche Bundesliga. Sie fand sich jedoch weder beim 1. FFC Frankfurt, noch beim VfL Wolfsburg zurecht und ging nach einem kurzen Intermezzo in der Heimat für ein halbes Jahr nach Schweden zum Linköpings FC. Dort wollte sie allerdings auch nicht bleiben, es zog sie erst zurück nach Brasilien und dann im Zuge der neuen Profiliga der USA zu den Chicago Red Stars. Zur Zeit ist sie jedoch wieder nach Brasilien ausgeliehen und spielt für Santos Futbol Clube. Beide Spielerinnen bilden einen technisch überragenden, abschlussstarken Sturm, der für jede gegnerische Abwehrreihe vor allem aufgrund der Dribbelstärke sehr schwer zu verteidigen ist.

Seit 2002 wartet Brasilien auf einen Weltmeistertitel im Fußball. Die Herren wurden von den Europäern überholt, die Frauen wollen jetzt genau das Gegenteil schaffen. Und das zu recht, denn die Offensivabteilung von Trainer Kleiton Lima verdient eindeutig das Prädikat weltklasse. Zu schlagen sind die Brasilianerinnen nur, wenn sie Gegenwind bekommen und defensiv gefordert werden. Denn vor lauter Angriffslust vernachlässigen Marta & Co. zuweilen die Abwehrarbeit und lassen sich aus dem Konzept bringen, sobald nicht alles so klappt, wie sie sich es wünschen. Trotzdem ist Brasilien ein großer Kandidat auf den Titel und schon allein die Sambaklänge beim Aufwärmprogramm werden für gute Laune im Stadion sorgen.

Lisa Ramdor



Wenn du keine Abwehr hast, hast du keine Mannschaft.

— Lucien Favre