Chile: Junge Wilde

von Günther Jakobsen13:29 Uhr | 02.06.2010

Als Trainer der argentinischen „Albiceleste“ scheiterte Marcelo Bielsa mit seinem Team bei der WM 2002 bereits in der Vorrunde. Mit Chiles Auswahl hat der Argentinier reelle Chancen, es besser zu machen. Die Andenkicker bilden eine junge, offensivfreudige Einheit.

Wenn der Argentinier Marcelo Bielsa die Auswahlspieler Chiles zusammentrommelt, kommt dies einer kleinen Weltreise gleich. Sieben Akteure, und damit der größte Block des Kaders, stehen immerhin noch bei Clubs aus dem Andenstaat unter Vertrag. Universidad de Chile stellt zwei Spieler ab, ebenfalls jeweils zwei kommen von Universidad Catolica und dem chilenischen Rekordmeister CSD Colo Colo, beheimatet in der Landeshauptstadt Santiago de Chile. Aus der näheren Nachbarschaft (Argentinien, Brasilien, Mexiko) stoßen noch drei weitere Aktive hinzu, ansonsten aber haben sich die chilenischen Topkicker über acht europäische Länder verteilt. Mit Mittelfeldakteur Jorge Valdivia kickt zudem ein chilenischer Auswahlspieler im Mittleren Osten (VAR), bei Al Ain, das bis Dezember 2009 von Winfried Schäfer gecoacht wurde.

Aus der Bundesliga ist Arturo Vidal (Bayer Leverkusen) bestens bekannt, der von Colo Colo zur Werkself wechselte. Defensivspezialist Vidal ist „kein Kind von Traurigkeit“, eher der unermüdliche Verfechter einer rustikalen Gangart. Damit steht er in der Tradition seines Landsmannes Carlos Caszely, der sich den historischen Eintrag sicherte, als erster Spieler einer WM-Endrunde den roten Karton (1974, nach Revanche-Foul gegen DFB-Verteidiger Vogts) gesehen zu haben.

Eine weitere markante Aktion machte Caszely bereits in der Qualifikation zur WM 1974 bekannt. Chile musste eine Relegation gegen die UdSSR spielen; das in Moskau ausgetragene Hinspiel endete 0:0. Schauplatz des Rückspiels sollte das Nationalstadion von Santiago de Chile sein, wo wenige Tage zuvor noch Gefangene und Opfer des blutigen Umsturzes durch General Pinochet aufbewahrt wurden. Die UdSSR weigerte sich anzutreten, die Begegnung wurde deshalb offiziell als 2:0-Erfolg Chiles gewertet, das damit das WM-Ticket erhielt. Diktator Pinochet hatte jedoch ungeachtet der FIFA-Wertung die Nationalelf zum angesetzten Termin auf den Platz dirigiert. Er ließ den Anstoß ausführen und - ohne Gegner - den 1:0-„Siegtreffer“ (Caszely) erzielen. Danach wurde das „Spiel“ abgepfiffen.

Chiles aktuelle Auswahl, die zu den jüngsten des Turniers zählt, qualifizierte sich ohne Umweg direkt für Südafrika. Nur die gerade mal einen Zähler besseren Brasilianer und das punktgleiche Team Paraguays behaupteten sich in der Südamerika-Qualifikation knapp vor den angriffslustigen Chilenen. Goalgetter Humberto Suazo (Real Saragossa) überzeugte mit zehn Treffern - kein anderer Akteur traf in der Quali des CONMEBOL (Südamerikanischer Fußballverband) öfter. Eine Muskelverletzung gefährdet allerdings seinen Einsatz am Turnierstart. Zwei Siege in den beiden letzten Testspielen vor der WM, ein 1:0 gegen Nordirland sowie ein 3:0-Erfolg über Israel, bestätigen den anhaltend guten Lauf von Bielsas Mannen.

In der Gruppe H bekommt es Chile mit Europameister und Titelanwärter Spanien zu tun - eine große Herausforderung als Abschluss der Gruppenspiele. Mit Honduras und der Schweiz stehen zuvor zwei Gegner auf dem Programm, gegen die ein erfolgreicher Abschluss nicht unrealistisch erscheint. Das schnelle Umschalten der Chilenen aus der Abwehr in den Angriff, verbunden mit einer hohen Ballsicherheit, hält den laufstarken Südamerikanern genügend Möglichkeiten offen, bei ihrer achten WM-Teilnahme über die Gruppenphase hinaus zu kommen.

Mögliche Aufstellung: Bravo - Jara, Ponce, Vidal, Medel - Carmona, Gonzalez, Fernandez, Valdivia - Suazo, Beausejour

André Schulin



Ich habe nur abgewunken. Wenn ich das nicht mehr machen darf, dann weiß ich es nicht!

— Düsseldorf-Trainer Friedhelm Funkel nach einer gelben Karte für sich selbst.