Das Duell der Keeper

von Günther Jakobsen16:01 Uhr | 13.12.2002

In der Torhüter-Rangliste des Fachmagazins kicker belegten Oliver Kahn (mit dem Prädikat: Weltklasse) und Frank Rost (Internationale Klasse) in den letzten beiden Jahren die vorderen Plätze. Durch den Wechsel von Werder Bremen zum FC Schalke 04 versprach sich der Schalker Keeper bessere Erfolgsaussichten auf Titelerfolge im nationalen wie internationalen Bereich. Wünsche, die sich Oliver Kahn längst erfüllt hat.

Ohne Lobby
Auf 162 Bundesligabegegnungen, davon 147 für Werder Bremen, kann Frank „Fäustel“ Rost zurückblicken. Mit den Norddeutschen feierte er zweimal (1994 und 1999) den DFB-Pokalsieg. Der zweite Erfolg freute den ehrgeizigen Bremer Schlussmann besonders: „Es tat so gut, den Bayern kontra geben zu können“. Mit 6:5 nach Elfmeterschießen behielt Werder damals die Oberhand und Rost hatte entscheidenden Anteil am Sieg, schließlich konnte er Lothar Matthäus’ Strafstoß parieren und den Pott damit für die Bremer sichern. In der Nationalelf kam Rost erst einmal zum Einsatz (im März 2002, erste Halbzeit beim 4:2 über die USA), was er darauf zurückführt, dass die großen Klubs eine bessere Lobby beim DFB hätten und er mit seiner offen ausgesprochener Meinung nicht immer pflegeleicht sei.

Von Gurken und Bratwürsten
Im Juli sorgte ein Rost-Interview im kicker wieder für Wirbel: „Kahn ist ein sehr guter Torhüter, da gibt es keine Diskussion. Aber: Wenn er einen Ball reinkriegt, schreien alle: unhaltbar. Wenn Torhüter X in der Bundesliga so einen Ball kassiert, ist er eine Gurke“. Bayerns Torwarttrainer Sepp Maier gefiel das vegetarische Bild nicht und er entgegnete deftig: „Die Rost-Bratwurst soll die Klappe halten und jetzt bei Schalke beweisen, dass er annähernd die Klasse von Kahn hat“. Rost entgegnete: „Den Rummel verstehe ich bis heute nicht. Ich habe gesagt, der Oliver Kahn ist ein sehr guter Torhüter, der Maßstäbe gesetzt hat in Deutschland. Aber nicht jede Parade von ihm ist eine übermenschliche Tat. Das sehe ich nun einmal so, ich bin schließlich vom Fach. Das muss man sagen dürfen, das ist doch keine Neidattacke, wie mir unterstellt wurde“.

Unter Kollegen
Eine verblüffende Wendung nahm das Verhältnis Frank Rosts zu seinem ehemaligen Werder-Konkurrenten Oliver Reck. „Ich war maßgeblich an der Verpflichtung von Frank Rost beteiligt“, bekannte Reck, dass er Rosts Wechsel zu den Blau-Weißen unterstützt hatte. In gemeinsamen Bremer Zeiten beanspruchten beide die Nummer-Eins-Position und machten dies auch mehrfach deutlich - Missstimmungen waren die Folge. „Wir waren damals Konkurrenten, und ich habe vielleicht über die Stränge geschlagen, weil ich spielen wollte. Aber: Immer offen heraus“, so Rost. Nun beerbte er seinen Bremer Vorgänger auch bei Schalke und wird sogar von dem einstigen Rivalen trainiert. Solidarität bewies Rost gegenüber Pascal Borel, dem er telefonisch Mut zusprach, als sein Nachfolger in Bremen wegen einiger Fehler heftig kritisiert wurde.

Der emotionale Kahn
Torwart-Titan, King-Kahn, Dschingis-Kahn, Vul-Kahn - die Liste der für Oliver Kahn gefundenen Namen und Attribute ist lang und sowohl von Bewunderung, als auch von Befremden geprägt. Der anerkannt seit Jahren zu den weltbesten Keepern zählende, gebürtige Karlsruher überrascht eben auf dem Platz immer wieder mit einem Mix aus sportlicher Extraklasse und Ausbrüchen der aggressiven Art. Als „Beißer“ präsentierte er sich beispielsweise gegenüber dem Dortmunder Stürmer Heiko Herrlich (Saison 98/99), während der Leverkusener Thomas Brdaric jüngst von „Todesangst vor Kahns Pranke“ berichtete. Ist eine derartige Umschreibung auch sicherlich übertrieben, so verdeutlicht die Aktion Kahns gegen Brdaric aber doch die Angespanntheit des Bayern-Keepers während eines Spiels. Kahn meint zu seinen Eskapaden, er sei „…ein emotionaler Mensch, der auch über die Stränge schlägt. Das kann und wird wieder mal passieren. Aber im Grunde will ich nur eines: Erfolg und Spaß an der Sache“.

Welttorhüter und mehr
Sieht man ihm den „Spaß an der Sache“ auch seltener an, die Erfolge sprechen für sich. Seit November 1987 spielte Kahn 385-Mal in der Bundesliga, davon 128 Partien für den Karlsruher SC (1987 bis 1994), anschließend für den FC Bayern München. Mit dem FCB wurde Kahn viermal deutscher Meister, zweimal DFB-Pokalsieger sowie UEFA-Cup-Gewinner (1996) und Champions-League Titelträger (2001). Darüber hinaus wurde er zweimal (1999 und 2001) zum „Welttorhüter des Jahres“ und in Japan und Südkorea als „Bester Spieler der WM 2002“ gekürt. Dies sind nur die wichtigsten Auszeichnungen.

Kahn und die Titanen
Oliver Kahn steht in der Tradition der deutschen Torhüter, die langjährig mit herausragenden Leistungen einen großen Rückhalt in der Nationalelf darstellten und maßgeblichen Anteil am Erfolg der DFB-Teams hatten. Misst man einen Torhüter - wie man es bei Stürmern mit erzielten Treffern macht - jedoch an der Anzahl eingefangener Tore, nimmt der Titan Kahn im Vergleich der fünf meistbeschäftigten DFB-Stammkeeper (über 50 Einsätze) nur eine hintere Platzierung ein. Mit durchschnittlich 0,98 Gegentreffern pro Spiel (56 Spiele, 55 Gegentore) belegt er hauchdünn vor Harald „Toni“ Schumacher (0,98/ 76 Spiele, 75 Gegentore) den vierten Platz dieser Wertung. Eine bessere Gegentor-Statistik weisen Bodo Illgner (0,92/ 54 Spiele, 50 Gegentore) und Sepp Maier (0,84/ 95 Spiele, 80 Gegentore) auf. Bester in diesem allein torbezogenen Ranking ist Andreas Köpke (0,79/ 59 Spiele, 47 Gegentore). Eine Reduzierung der Torwartleistungen auf kassierte Gegentreffer ist selbstverständlich genauso unzureichend, wie die ausschließliche Bewertung eines Stürmers nach Torerfolgen. Blanke Zahlen helfen manchmal aber auch, vernünftige Relationen herzustellen.

Das Ziel: WM 2006
Kahn wie Rost sind gleichermaßen vom Ehrgeiz besessene Keeper, die auf dem Platz ständig unter Strom stehen und vereinsintern jeweils die klare Nummer Eins. Die gegenseitige Anerkennung ist da, wie aus Rosts Worten eigentlich unmissverständlich hervorgeht. Und Oliver Kahn nannte im Sommer 2001 auf die Frage, wen er mittelfristig als ernsthaftesten Konkurrenten im Nationalteam betrachtet: Frank Rost. Beide haben als großes Ziel noch die WM 2006 im Auge, für den Bayern-Keeper die letzte große Herausforderung, bevor er - wie von Uli Hoeneß angeregt - die Nachfolge des Bayern Managers antritt. Derzeit sieht es nicht danach aus, als könnte Rost Kahn in der Nationalelf verdrängen. Rosts Hoffnung: „Ich muss weiter konstant spielen und darf den Leuten keine Angriffsfläche bieten“. Ein direkter sportlicher Vergleich im Duell beider Teams, ohne verbale Nebengeräusche, ist dafür die beste Gelegenheit.

André Schulin



Ich wechsle nur aus, wenn sich einer ein Bein bricht.

— Werner Lorant