Noch nie wurde ein Bayern-Trainer mit so viel Macht ausgestattet wie Jürgen Klinsmann: Der Schwabe probierte zunächst vieles aus, wie zum Beispiel Buddha-Statuen auf den Dächern der Säbener Straße oder die Dreierabwehrkette. Als die Ergebnisse jedoch nicht stimmten, ruderte er erfolgreich zurück.
Der FC Bayern unter Jürgen Klinsmann Ende 2008 sah nicht bedeutend anders aus, gegenüber dem FC Bayern, den Ottmar Hitzfeld übergeben hat. Immer noch spielen die Münchner im bewährten 4-4-2-System effektiven Erfolgsfußball und sind von den Künsten ihres Filigrantechnikers Franck Ribery und den Toren ihres Instinktstürmers Luca Toni abhängig.
Dabei hat Klinsmann vieles ausprobiert, aber das Meiste gelang nicht: Die Buddha-Statuen verschwanden nach einem holprigen Saisonstart und die Dreierabwehrkette nach dem 2:5-Heimdebakel gegen Bremen. Für die Erkenntnis, dass das ultramoderne 4-2-3-1-System beim FC Bayern noch nicht funktionieren konnte, brauchte Klinsmann nur eine schwache Halbzeit im Heimspiel gegen Arminia Bielefeld (3:1). Und seit dem siebten Spieltag schlafen die Spieler wieder im Hotel, statt bei den lieben, aber manchmal quengelnden Kindern zu Hause.
Nur an einem Experiment hielt der Schwabe standhaft fest, nämlich das mit dem Kapitän Mark van Bommel. Der von Vorgänger Hitzfeld als „Aggressive-Leader“ getaufte Holländer, der schon im Meisterjahr zwei Platzverweise in nur 27 Bundesligaspielen kassiert hatte, sah gleich im zweiten Saisonspiel bei Borussia Dortmund (1:1) wieder einmal die Ampelkarte. Nach der abgesessenen Sperre durfte er, und das als Spielführer, vier der darauf folgenden sechs Pflichtspiele über die gesamte Spieldauer nur von der Bank aus verfolgen. Mittlerweile ist der Niederländer nicht nur geradezu handzahm geworden, sondern hat sich auch seinen Stammplatz zurückerkämpft, jedoch nur so lange, bis Timoschuk aus St. Petersberg kommt. Seine Zukunft sieht der Holländer dagegen wohl statt in München bei seinen Landsleuten Fred Rutten (Schalke) oder Martin Jol (Hamburg) und die bayrische Kapitänsbinde bei Phillip Lahm.
Dass der FC Bayern anno Winterpause 2008/09 noch in Sachen Erfolg gegenüber der Vorjahresauswahl zurückfällt, liegt aber nicht am Kapitän, sondern an anderen Faktoren. Den holprigen Start in die Saison hätten außer Klinsmann auch die meisten anderen Trainer hinbekommen, denn der Meister war ohne die verletzten Ribery und Toni und mit vielen Europameisterschafts-müden Beinen nicht im Vollbesitz seiner Kräfte. Die neue Nummer eins, Michael Rensing, zeigt zwar sein großes Talent und ebenso einige starke Partien, allerdings braucht er die nächsten Jahre, um sich als Bayerns Schlussmann zu bewähren. Jedoch hätte selbst ein Millionen-Einkauf die Lücke von Vorgänger Oliver Kahn, vor allem als Wortführer der Mannschaft, nicht ausfüllen können, zumal der derzeit beste Torhüter der Welt, Gianluigi Buffon von Juventus Turin, sein Herz in Deutschland an Borussia Mönchengladbach vergeben hat.
Auch konnte Klinsmann sein waghalsiges Versprechen, jeden Spieler besser zu machen, nicht vollends erfüllen. Zwar erlebte Ze Roberto noch einmal seinen zweiten Frühling, machte Lucio gegen Hoffenheim (2:1) sein vielleicht bestes Spiel im Bayern-Dress und überwand Klose seine Formkrise. Dafür ließen andere Stammkräfte sogar entscheidend nach: Abwehrchef Demichelis, Bayerns Fels in der Brandung im Vorjahr, zerstritt sich nicht nur mit seinem Nebenmann Lucio, sondern leistete sich auch einige Fehler im Abwehrspiel, unter anderem zwei Eigentore, eins in der Champions League gegen Lyon (1:1) und eins in der Liga gegen Frankfurt (2:1). Supertalent Toni Kroos konnte nicht zum erhofften Spielmacher und Ribery-Ersatz aufgebaut werden, und Klinsmanns einstigem Lieblingsschüler, Lukas Podolski, sein Heimweh nach Köln ausgetrieben werden.
Am Ende der Hinrunde konnten sich trotz alledem Jürgen Klinsmann und der FC Bayern München gegenseitig zur Verpflichtung beglückwünschen: Punktgleich mit Emporkömmling Hoffenheim haben die Münchner noch alle Chancen auf die 22. Deutsche Meisterschaft. Und selbst in der Lostrommel bleibt den Bayern ihr Dusel treu: Bei der Auslosung des Champions-League-Achtelfinale erwischte der FCB mit dem portugiesischen Vizemeister Sporting Lissabon, trotz allen guten sportlichen Leistungen, das leichteste Los. Den von Jürgen Klinsmann gewünschten Tempofußball haben die Bajuwaren am vorletzten Hinrundenspieltag gegen Hoffenheim (2:1) schon einmal gezeigt - vielleicht wird aus dem FC Bayern im Jahr 2009 doch der FC Klinsmann.
Senthuran Sivananda
Wir müssen die Basis fundieren.
— Rainer Bonhof