Der Hamburger SV vor der Saison 2002/2003

von Günther Jakobsen15:12 Uhr | 01.08.2002

Quo vadis, HSV? Wieder liegt ein Jahr hinter dem ruhmreichen letzten Dino der Liga, das den Anhängern einen Blick in die Vergangenheit schmackhafter erscheinen ließ, als das aktuelle Geschehen um ihren Klub zu verfolgen. Frische Erfolge tun dringend Not, will man nicht vollends in die Nostalgieecke abrutschen. Die erfolgreiche Saisonvorbereitung gibt Anlass zu Hoffnungen.

Die letzte Saison…
…fiel der Startschuss zur Trainerwechsel-Saisoneröffnung in Hamburg (nach dem sechsten Spieltag). Getroffen wurde Frank Pagelsdorf, der dieses Ungemach jedoch dank hervorragender (auch finanzieller) Polsterung locker wegsteckte. Vom eigenen Schnellschuss überrascht, fiel der HSV-Führung urplötzlich auf, dass auf der Trainer-Ersatzbank niemand mehr saß, der „Pagel“ kurzfristig ersetzen konnte. So musste Sportchef Holger Hieronymus einspringen, bis nach dreiwöchiger Suche Kurt Jara in den Alpen entdeckt wurde. Da der Österreicher aber noch beim FC Tirol Innsbruck unter Vertrag stand, mussten die Hamburger auch hier noch einmal tief in die Tasche greifen - das Image der geschäftstüchtigen Hanseaten litt unter diesem Aktionismus ebenso, wie der Umfang der Vereinskasse. In der Absicht diese aufzufüllen, hatte man - zunächst bis 2006 befristet - ein Stück Tradition verkauft: Das Volkspark-Stadion wurde in AOL-Arena umgetauft. Ein weiterer Wermutstropfen: Vor der Saison wurde Karsten „Air-Bäron“ mit einem Benefiz-Spiel verabschiedet. Vor seiner Leidensgeschichte (acht Knieoperationen) zählte der kopfballstarke Hamburger zu den größten deutschen Stürmerhoffnungen.

Die sportliche Bilanz: Zehn Siege, zehn Unentschieden und vierzehn Niederlagen, Platz elf in der Abschlusstabelle. Das bedeutet, der HSV war im zweiten Jahr in Folge nur graues Bundesliga-Mittelmaß mit deutlicher Tendenz Richtung Abstiegszone, eher denn UEFA-Cup. Jaras Trainer-Bonus verpuffte schnell. Nach zwei Siegen (4:0 gegen Hertha und 1:0 in Wolfsburg) machte das Hamburger Zwischenhoch wieder einem tristen Durchschnittsgekicke Platz, das nur von wenigen Lichtblicken unterbrochen wurde. Der zur Rückserie gekommene Argentinier Bernardo Romeo sorgte immerhin für eine spürbare Belebung des Angriffsspiels (acht Treffer), während Vorjahrestorschützenkönig Sergej Barbarez aufgrund verschiedener Verletzungen nicht so zum Zuge kam. Neuzugang Martin Pieckenhagen erfüllte die Erwartungen, ließ den Weggang Jörg Butts nach Leverkusen verschmerzen. Rückkehrer Jörg Albertz hingegen überzeugte selten - analog dem Spielfluss der Hamburger während der Saison.

Die Neuen und der Kader
Mit Ausnahme von Roy Präger hat sich der HSV von keinem Spieler getrennt, der eine tragende Rolle oder eine Perspektive im Kader inne hatte. Von den Neuzugängen hingegen verspricht sich Trainer Kurt Jara einiges. Mit den meisten Vorschusslorbeeren belastet betritt der Argentinier Christian Ledesma (von River Plate) die Hamburger Bühne. Er soll das HSV-Spiel lenken, quasi die Nachfolge seines unbeständigen Landsmannes Rodolfo Esteban Cardoso (neun Saisonspiele) antreten. Um die gleiche Position bewirbt sich auch Richard Kitzbichler (von Austria Salzburg) der auch seine Stärken auf der rechten Außenbahn andeutete. Die Mittelfeldneuzugänge komplettiert Christian Rahn (von St. Pauli), der allerdings eher für Druck von der linken Seite sorgen soll. Im WM-Testländerspiel gegen Kuwait (7:0) feierte der 23-Jährige ein gelungenes Nationalmannschafts-Debüt. Für die Abwehr wurden Lars Jacobsen (von Odense BK), Stephan Kling (von Bayern München) und Michael Baur (vom FC Tirol) geholt. Nach einjährigem Hannover-Intermezzo kehrt Torhüter Carsten Wehlmann an die Elbe zurück.

Der Fisch stinkt vom Kopf her…
Der Eiertanz in der HSV-Führungsriege mit dem Vorstandsvorsitzenden Hackmann (Vertrag bis Sommer nächsten Jahres), Aufsichtsrat Bandow und Manager Hieronymus (zum Jahresende gekündigt), ist nur noch als unverständlich, peinlich und ermüdend zu bezeichnen. Da möchte man es am liebsten wie die lebende schwarz-weiß-blaue Raute halten und mit einem „Tschüss, euer Uwe Seeler“ quittieren. Im ehemaligen Hamburger Volksparktheater, ääähh -Stadion wurden Machtkämpfe schon wesentlich interessanter ausgetragen. Die 70er-Jahre-Aufführung „Lackschuh gegen Filzpantoffel“, mit den Charakterdarstellern Dr. Peter Krohn (als Lackschuh) und Trainer Kuno Klötzer (als Filzpantoffel) spiegelte die ewige Kontroverse „Innovation gegen Tradition“ wider, hatte also Substanz und zog das Publikum über Jahre in seinen Bann. Und ganz nebenbei, damals spielte der HSV einen echt guten Stiefel.

André Schulin

Die Hamburger SV-Daten



Ich frag dich, ob du meine Frau werden willst. In diesem Sinne: Schöne Grüße nach Deutschland!

— Max Kruse mit einem Live-Heiratsantrag nach dem Olympia-Spiel Deutschland-Saudi-Arabien (3:2) in Tokio.