Der Meister der Rotation

von Günther Jakobsen13:04 Uhr | 08.11.2002

Ottmar Hitzfeld genießt bei seinen Spielern, den Trainer-Kollegen und in der Öffentlichkeit ein hohes Maß an Anerkennung und Akzeptanz; schließlich kann der Fußballlehrer eine fast beispiellose Erfolgsbilanz vorweisen. Akribisches Arbeiten, besonnenes Auftreten auch in kritischen Situationen und respektvoller Umgang mit seinen Schützlingen sind Markenzeichen seines erfolgreichen Arbeitsstils. All diese positiven Aspekte und Triumphe vergangener Tage bewahren den gebürtigen Lörracher jedoch nicht vor dem Automatismus, bei Misserfolg in Frage gestellt zu werden. Und „Misserfolg“ beginnt bei den Bayern früher als anderswo.

Das weißeste Ballett aller Zeiten
Zu den Methoden eines erfolgreichen Trainerwirkens befragt, erklärte Hitzfeld unter anderem einmal: „Versuche die Erwartungen der anderen zu ignorieren“. Dies ist gewiss ein empfehlenswerter Ratschlag, um in aller Ruhe den eigenen Weg verfolgen zu können. Wie in aller Welt soll das aber funktionieren, wenn man Übungsleiter des FC Bayern ist und „die anderen“ Beckenbauer, Hoeneß und Rummenigge heißen? Hitzfeld betonte immer wieder, dass er allein für die Entscheidungen im sportlichen Bereich zuständig sei. Das mag so sein - und weist ihm, zurecht, auch die Verantwortung am derzeitigen Zustand des Teams zu. Dass jedoch die Erwartungen der „anderen“ an ihm vorbeigerauscht sind, ist sicherlich nicht der Fall. Die voreiligen Prädikate „Weißes Ballett“ und „bester FC Bayern aller Zeiten“ stammen jedenfalls nicht vom Bayern-Coach - aber er bekam neben den Vorwürfen, das Team nicht richtig eingestellt zu haben, nach dem peinlichen Champions-League-Aus jene Lobhudeleien höhnisch um die Ohren gehauen.

Deadline Dortmund-Spiel?
„Eine tote Mannschaft“, urteilte Franz Beckenbauer drastisch nach der Pleite von La Coruna, und auch die nachfolgende 0:2-Niederlage in Bremen konnte keine Hoffnung auf plötzliche Wiederauferstehung nähren. „Wir werden in jedem Fall das Spiel gegen Dortmund abwarten und uns danach zusammensetzen“, meinte Uli Hoeneß nach dem Champions-League-Aus der Bayern. Ob in diesem Meeting eine Entscheidungen über das Schicksal des Trainers fällt, verriet der Bayern-Manager nicht. Immerhin brachte der erzitterte 2:1-DFB-Pokalsieg über Hannover 96 wieder eine Atempause für Hitzfeld, der seinen bis 2004 dotierten Vertrag in München erfüllen will.

Erste Trainererfolge in der Schweiz
Mit den Grasshoppers Zürich gewann Ottmar Hitzfeld 1990 und 1991 den Schweizer Titel. Diese Erfolge weckten das Interesse der Dortmund Führungsspitze und so bestellte man den Meistertrainer umgehend zum Nachfolger des beim BVB glücklosen Horst Köppel. Ein Volltreffer, denn bereits in der ersten Saison mit den Schwarz-Gelben errang Hitzfeld die Vizemeisterschaft. Drei Jahre später folgte dann 1995 Dortmunds erste deutsche Meisterschaft (in der Bundesliga), die 1996 verteidigt werden konnte. 1997 feierte Hitzfeld dann gar den Champions-League-Triumph mit Dortmund, Höhepunkt und zugleich Einleitung seines Abganges bei den Westfalen. BVB-intern kam man zu dem Schluss, dass nun die Zeit für einen Umbruch gekommen sei und verpflichtete mit Nevio Scala einen neuen Chefcoach. Nicht allerdings, ohne zuvor den verdienten Meister-Trainer Ottmar Hitzfeld mit dem neu geschaffenen Posten eines Sportdirektors zu versehen. Ein Amt, das nach Hitzfelds Wechsel zum FC Bayern ebenso in der Versenkung verschwand, wie Dortmunds Erfolg in den unmittelbar folgenden Jahren.

Der Seriensieger
Hitzfeld nahm den Erfolg mit nach München. Dreimal in Serie reckte er auf dem Münchner Rathaus-Balkon die Meisterschale in die Höhe (1999 bis 2001) und verhalf darüberhinaus den Bayern im Mai 2001 zum langersehnten Champions-League-Erfolg, den man 1999 im denkwürdigen Finale gegen ManU noch in der Nachspielzeit verpasst hatte. Damals geriet Hitzfeld aufgrund seiner Auswechslungen in der Schlussphase der Partie erstmals ernsthaft in die Kritik (die bis dahin starken Matthäus und Basler gingen vorzeitig), überstand die Krise aber durch Beharrlichkeit und den Bundesliga-Meistertitel in der folgenden Saison.

Gelernter Rotierer
Unmut seitens der Spieler, aber auch vom kritischen „Kaiser“ Franz Beckenbauer, wurde in der Vergangenheit bestenfalls dann laut, wenn es um die von Hitzfeld bevorzugte Rotation ging - eine Teilzeitbeschäftigung, die der Bayern-Coach während seiner Bundesligalaufbahn als Stürmer des VfB Stuttgart am eigenen Leib erlebte. 1975 wechselte Hitzfeld vom FC Basel, mit dem er 1972 und 1973 Schweizer Meister wurde, zum damaligen Zweitligisten VfB Stuttgart. Zwei Jahre später stiegen die Schwaben wieder ins Oberhaus auf und Hitzfeld spielte eine Saison in der Bundesliga.

Einen Stammplatz im Schwabensturm hatte er jedoch nicht. Dieter Hoeneß (32 Einsätze) und Walter Kelsch (26) durften häufiger ran. Hitzfeld kam auf 22 Einsätze (davon zwölf Mal ein- oder ausgewechselt) und erzielte dabei fünf Treffer. Den Saisonauftakt absolvierte der VfB übrigens damals gegen den FC Bayern; ein 3:3-Remis, bei dem Hitzfeld nach 45 Minuten ausgewechselt wurde. Wenn es um die Rotation geht, weiß der Bayern-Coach also bestens Bescheid. Ob er selbst wieder auf den Rotationsteller gerät, hängt möglicherweise vom Ergebnis des Spitzenspiels gegen Dortmund ab. Hitzfeld sollte sich also genau überlegen, wen er in dieser wichtigen Partie aufbietet. Bisher gehörte das richtige Gespür hierfür zu seinen Stärken.

André Schulin



Wir sahen ihn nur, wenn er in der Kabine die Prämien erhöhte.

— Paul Breitner über Bayern-Präsident Wilhelm Neudecker.