Es gibt in der Bundesliga-Szene kein Äquivalent für Reiner Calmund. Der als XXL-Manager und Pate von Bayer Leverkusen bekannt gewordene Mann besetzte einst wie eine Glucke das unbeachtete Leverkusener Fußballnest und machte sich daran, einen prosperierenden Verein mit einer stattlichen Mannschaft auszubrüten - unter einem den Erschaffungsakt ständig begleitenden Geschnatter.
Bayers oberster Sympatieträger
Das Wirken Calmunds in Leverkusen ist, bislang jedenfalls, als Erfolgsstory zu betrachten. Der studierte Betriebswirt kam 1976 zum Werksklub und engagierte sich zunächst verantwortlich im Leverkusener Nachwuchsbereich. Auf Amateurbasis hatte er zuvor selbst Fußball gespielt (in Frechen) und bei verschiedenen kleineren Vereinen als Trainer fungiert. Zwischen 1988 und 1999 übte er das Amt des Managers der Lizenzspielerabteilung aus und wurde anschließend Geschäftsführer der Bayer 04 Fußball-GmbH. Calmund war die treibende Kraft, die den als Plastikklub verschrienen Verein zu sportlichen Erfolgen hochpäppelte (UEFA-Cup-Sieg 1988, DFB-Pokalsieg 1993, drei deutsche Vizemeisterschaften 1997, 1999, 2000). Leverkusens sportlicher Aufstieg, von kräftigen monetären Zuwendungen der Bayer AG gestützt, rückte den Verein zunehmend ins Zentrum des öffentlichen Interesses - und auch hier war Reiner Calmund mit seiner jovialen Beredsamkeit die Idealbesetzung, Bayers Belange vital zu vertreten und für Sympathie zu werben.
Freund des bildhaften Formulierens
Die von Calmund gerne bildhaft dargestellten Stellungnahmen könnten in einer Endlos-Schleife um die Bay-Arena kurven und einen Zitatenschatz ungeahnten Ausmaßes begründen. Ein bescheidener Auszug:
„Ich hätte schon gern einige an der Gurgel gepackt, aber die entscheidenden Hälse waren nicht da“, (nach der 1:3-Heimpleite gegen Cottbus, Februar 2001).
„Ich kann nicht jeden, der nicht spielt, nuckeln und ihn schaukeln“, (über Stürmer Erik Meijer, der einen Stammplatz forderte).
„Da flankt dann mal einer anstatt für 400.000 nur noch für 300. 000 Euro hinter das Tor“, (zu vermuteten Gehaltskürzungen der Bundesliga-Profis nach der Kirch-Pleite).
„Einige unserer Spieler hatten braune Streifen in der Hose“, (nach der 0:3-Champions-League-Niederlage bei Real Madrid, 1998)
„Gras fressen“ gegen den Abstieg
Die Talfahrt in der aktuellen Saison schlug Calmund auf den Magen und sonst wo hin - Wasserstandsmeldungen über Calmunds gesundheitliche Verfassung waren und sind speziell in der aktuellen Saison oftmals Teil der Bayer-Berichterstattung - aber nicht auf das Sprachzentrum: „Die sitzen im Kino und träumen von der Vorsaison. Blöderweise haben sie nicht bemerkt, dass der Film längst zu Ende ist“, kritisierte er die Mannschaft und empfahl: „Alle Spieler müssen Gras fressen“. Unwirsch reagierte er auf die Forderung, Bayer müsste - nach dem Trainerwechsel Toppmöller/Hörster und der Verpflichtung von Sportdirektor Jürgen Kohler - eine weitere Korrektur in der sportlichen Leitung vornehmen: „Ich habe einfach keine Lust mehr, den Trainer zu wechseln und einen Eskimo oder irgendjemand mit Bergsteigerschuhen zu holen“. Mit der Verpflichtung von Klaus Augenthaler wurde Bayer dann doch noch einmal aktiv.
Dem Klub mit Haut und Haar verpflichtet
Weniger Leverkusens Absturz in die Abstiegszone, als das darauf erfolgte, hinterfragenswerte Krisenmanagement brachte erstmals auch Reiner Calmund in die Kritik. Einen Rücktritt im Abstiegsfall lehnte er ab. Sein Statement „Ich lebe mit Haut und Haaren für den Klub“, nimmt ihm jeder ab. Und, sei es aus Gewohnheit, sei es Dank Calmunds Einzigartigkeit - in der Fußballberichterstattung würde auch etwas fehlen, ohne die Stimme von Leverkusens Glucke.
André Schulin
Dieses Jahr war es leider nur die Meisterschaft.
— Bayern-Coach Hansi Flick nach der Saison 2020/2021.