Abseits von den im Vorfeld als Superstars gefeierten Spielern - die nur in Ausnahmefällen (Kahn, Ronaldo, Rivaldo) die Erwartungen erfüllen konnten - haben sich bei vielen Mannschaften Akteure in den Vordergrund gespielt, die international bislang nur in der „zweiten Reihe“ gestanden haben. Ein besonderes Augenmerk dieser Betrachtung ist auf die Einwechselspieler gerichtet, die bei dieser WM eine herausragende Rolle spielten.
Die Joker
Den erfolgreichsten „Joker“ dieses Turniers stellte die Türkei. Fünfmal wurde Ilhan Mansiz eingewechselt und belebte jedes Mal das Angriffs-Spiel der Türken nachhaltig. Gegen den Senegal war er zudem der Torschütze zum 1:0-Siegtreffer, des „Golden Goals“ in der 95. Spielminute. Bei diesem Turnier stellte er seinen Stürmerkollegen Hakan Sükür eindeutig in den Schatten.
Auf drei Einwechslungen brachte es der südkoreanische Volksheld Jung Hwan Ahn. Mit seinen Hereinnahmen gewannen die Spiele seines Teams an Dynamik. Lediglich beim letzten WM-Auftritt Südkoreas, der 0:1-Halbfinalniederlage gegen Deutschland, konnte auch Ahn nichts mehr bewegen. Zweimal zuvor jedoch entschied der 26-Jährige mit einem Treffer das Spiel zugunsten seines Teams: Beim 1:1-Ausgleich gegen die USA in den Gruppenspielen und beim 2:1-Golden-Goal-Siegtreffer gegen Italien (116.). In vier Begegnungen spielte er von Beginn an.
Zu schade für die Bank
Zu einem kurzen, aber explosiven WM-Einsatz, kam der Paraguayer Nelson Cuevas. Im letzten Gruppenspiel gegen Slowenien wurde der Stürmer beim Stande von 0:1 eingewechselt (62.). Wie von einem Turbo angetrieben wirbelte Cuevas durch die slowenischen Abwehrreihen und traf drei Minuten nach seiner Einwechslung zum 1:1-Ausgleich. In der 84. Spielminute fegte der 22-Jährige erneut durch den slowenischen Strafraum und jagte das Leder zum 3:1-Endstand für Paraguay in die Maschen. Dieser Treffer bescherte den Südamerikanern den Einzug ins Achtelfinale. Als es hier gegen Deutschland ging, ließ Paraguays Nationaltrainer Cesare Maldini den quirligen und torgefährlichen Stürmer unverständlicherweise auf der Reservebank schmoren. Erst in der 90. Minute (!!!), zwei Minuten nachdem Oliver Neuville die 1:0-Führung der Deutschen erzielt hatte, kam Cuevas. Gerade noch rechtzeitig zum Trikottausch, aber zu spät, um noch Wirkung zu erzielen.
Weitere Stürmer, die positiv überraschten, waren Hasan Sas (Türkei), Ki Hyeon Seol (Südkorea), Jorge Campos (Paraguay), El Hadji Diouf (Senegal), Ronald Gomez (Costa Rica) und natürlich der kopfballstärkste Angreifer: Miroslav Klose. Nicht ganz so unbekannt war Ronaldinho bereits vor der WM. Während der Spiele rückte der bei Paris St. Germain unter Vertrag stehende Brasilianer in seinem Wert für die Mannschaft aber näher an die Superstars Ronaldo und Rivaldo heran.
Kahn hält die Aufsteiger in Schach
In die internationale Torhüter-Hierarchie, hinter Oliver Kahn (trotz des Patzers im Endspiel), ist Bewegung gekommen. Die „Alten“, Baia, Seaman und Chilavert, erlebten in Japan und Südkorea ihr Waterloo. Neue Helden zwischen den Pfosten bestimmten die Schlagzeilen. Allen voran Brad Friedel, der großen Anteil am Erfolg der US-Boys hatte und Recber Rüstü, der Mann im türkischen Gehäuse, der den gegnerischen Stürmern nicht nur aufgrund der Paste unter seinen Augen Respekt einflößte.
Die Stürmer hatten es, von wenigen Ausnahmen in der Vorrunde abgesehen, nicht leicht. Zu sicher standen die Abwehrreihen. Herausragende Defensivkräfte waren Englands Abwehrrecke Rio Ferdinand, kopfballstark, antrittsschnell, ballsicher und mit viel Spielübersicht ausgestattet; Südkoreas „Oldie“ Hong Myung-Bo, der das Abwehrgefüge der Asiaten organisierte und sein Team nach vorn trieb, sowie in Reihen der DFB-Auswahl Christoph Metzelder. Bemerkenswert, wie schnell und mit welcher Sicherheit der 22-jährige Dortmunder den Part des Linksverteidigers im Nationalteam ausfüllte.
Nur die USA mit Spielmacher alter Prägung
Die großen Spielgestalter im Mittelfeld gibt es nicht mehr, zumindest konnte sich in Japan und Südkorea kein Spieler dieses Prädikat an das Trikot heften. Ausnahme hier: Der Amerikaner Claudio Reyna, der, mit allen Freiheiten ausgestattet, das Spiel seiner Elf dirigierte. Mittelfeldmotoren, Ballverteiler und Abräumer - in diese Gattungen sind ansonsten die rund um den Mittelkreis agierenden Akteure einzuordnen. Mit sehr viel Offensivwirkung überzeugten bei der WM die „Mittelfeldmotoren“ Ramon Morales (Mexiko), „Teilzeitkraft“ Junichi Inamoto (Japan) und vor allem Damien Duff (Irland). Wenn ein Spieler als Sinnbild für das „Kämpfen-bis-zum-Umfallen“ steht, dann der bei den Blackburn Rovers spielende Duff, der praktisch als zusätzliche Sturmspitze agierte. Gleichermaßen als „Abräumer“ und „Ballverteiler“ im Mittelfeld tat sich Dietmar Hamann hervor, während Gilberto Silva (Brasilien) weitgehend als Sicherung „nach hinten“ überzeugte.
Die künftigen Superstars?
Die als „Gewinner“ dieser WM aufgeführten Spieler waren natürlich schon vor dem Turnier als hervorragende Fußballer bekannt, blieben jedoch in der öffentlichen Bewertung stets hinter den Superstars zurück. Der Abstand ist nun geschrumpft. Den frisch erworbenen Ruhm können naturgemäß eher die Jüngeren, wie Ronaldinho (22), Ahn (26), Diouf (21), Mansiz (27), Klose (24) oder Metzelder (21) nutzen, um ihr Standing im Weltfußball zu verbessern. Ob der Sprung in den Fußball-Olymp, zu den Legenden dieser Ballsportart gelingt, bleibt noch offen. Ein wichtiger Schritt dorthin ist zumindest getan. Für den Koreaner Hong Myung-Bo (33) hingegen war die Weltmeisterschaft in seiner Heimat zugleich Höhepunkt und (durch den Patzer im letzten Spiel nicht ungetrübter) Abschluss der internationalen Karriere.
André Schulin
Gegen mein Training ist die Bundeswehr wie Urlaub.
— Eduard Geyer