Das Image eines Abstiegskandidaten streifte Hannover im sechsten Jahr nach dem Wiederaufstieg endgültig ab. In lautloser, aber effektiver Kleinarbeit entstand ein solider Aufschwung, der die Niedersachsen schon jetzt bis in den Vorhof des UEFA-Cups führte. Sollte der Coup gelingen, trägt der Erfolg einen Namen: Dieter Hecking.
Anders als im Vorjahr, als der Verkauf Per Mertesackers einen ordentlichen Überschuss eingebracht hatte, wurde dieses Mal richtig Geld ausgegeben. Allein Mike Hanke und Christian Schulz verschlangen sieben Millionen Euro Ablöse, hinzu kamen preiswertere Hoffnungsträger wie Gaetan Krebs, Chavdar Yankov und Benjamin Lauth. Für ihn besonders begann die Saison mit einer Enttäuschung, da er gegen seinen Ex-Klub HSV zum Opfer einer Ein-Mann-Sturm-Taktik wurde, die Trainer Dieter Hecking zum neuen System erheben sollte. Auch sonst aber drückte der Auftakt aufs Gemüt, da man nach einer großartigen Vorbereitung inklusive eines Heimsiegs gegen Bernd Schusters Real Madrid, nicht mit einer Niederlage (0:1) gerechnet hatte. Aber die Niedersachsen fingen sich. Teams wie den Bayern (0:3), Bayer Leverkusen (0:3) und auch Schalke 04 (2:3) war 96 zwar vorerst nicht gewachsen. Im Schatten der großen Klubs aber, im hart umkämpften Mittelfeld der Liga, machte sich die Mannschaft einen Namen und setzte sich mit nicht gekannter Konstanz in der oberen Hälfte fest.
Gerade an der Art und Weise, wie Hannover punktete, erkannte man eine Handschrift. Denn Hecking hielt fest am System mit nur einem Stürmer, auch dann noch, als der anfangs wie aufgedrehte Hanke zwischenzeitlich neun Spiele lang nicht traf. Dass 96 auch in dieser Phase Erfolge feierte, war ein Zeugnis der mannschaftlichen Geschlossenheit. Stark in den Vordergrund drängte etwa Szabolcs Huszti, der mit sechs Toren zweimal öfter traf als in der gesamten vergangenen Saison. Außerdem erwies sich Christian Schulz genau wie Hanke als eine Vollverstärkung, schoss sogar drei Tore. Die Zusammenstellung des Kaders, sie wirkte vorwärtsgewandt und durchdacht, auch wenn Spieler wie Kleine, Lauth und wohl endgültig Jiri Stajner der Musik nur hinterher liefen. Allein Kapitän Tarnat und allen voran Robert Enke gaben der Mannschaft ein echtes Gesicht, was selbstverständlich klingt, in Hannover aber nicht immer so gewesen ist. Dass der Klub inzwischen wahr- und vor allem auch ernstgenommen wird, liegt nicht zuletzt an seiner Auswärtsstärke. Nicht nur in Bielefeld (2:0) und Rostock (3:0), sondern auch beim Deutschen Meister (2:0) und beim Karlsruher SC (2:1), der sich ansonsten nur vom FC Bayern zu Hause besiegen ließ, gelangen viel beachtete Kontersiege und damit mehr Punkte auf fremden Plätzen als daheim. Erst kurz vor Abpfiff wurden in Nürnberg (2:2) und Berlin (1:0) weitere Zähler verschenkt. Rätselhaft und fremd wirkte insofern der ehrlose Abschluss der Hinrunde, als die Roten sang- und klanglos mit 1:5 in Cottbus verloren. Dabei war nur eine Woche vorher die Welt noch in bester Ordnung. In einem rauschenden Fußballfest nahm sich Hannover da Werder Bremen zur Brust und rang es nach einer gewaltigen Schlacht schließlich mit 4:3 zu Boden. Nicht nur spielerisch, auch in der Tabelle erreichte die Hecking-Elf in diesem Moment ihren Höhepunkt, den wieder zu erreichen keineswegs unmöglich erscheint: Platz fünf.
Maik Großmann
Das ist keine Gurkentruppe, auch wenn sie aus der Lausitz kommt.
— Erich Laaser