DFB-Team

Durchwachsene Völler-Ära beendet

von Günther Jakobsen14:41 Uhr | 24.06.2004

Mit dem Rücktritt von Teamchef Rudi Völler endete eine Ära, die mehr von einer Sympathiewelle für einen netten Zeitgenossen und dem Bonus einer glücklichen Vize-Weltmeisterschaft 2002 getragen wurde, als von sportlichem Neuaufbruch.

"Das einzige was fehlte, waren die Tore." Rudi Völlers Fehlinterpretation der Sachlage nach dem vorhersehbaren Ausscheiden spiegelt nur das Dilemma der aktuellen Situation wider. Da wurden – inkl. WM 2002 – DFB-Teams hochgejubelt, die bestenfalls punktuell gute Ansätze für sportlich bessere Perspektiven aufzeigten, während andere Teams tatsächlich echten Weltklassefußball zelebrierten. Natürlich fehlten die Klassestürmer – aber es fehlten auch die Klassemittelfeldspieler (Ausnahme: Ballack) – und es fehlte zudem an Klasseabwehrspielern (Ausnahme: Lahm und - mit Abstrichen - Friedrich). An der Besetzung im Tor gab es kaum etwas auszusetzen.

In der konkreten Verantwortung der taktischen Ausrichtung aber steht eindeutig das Duo Völler/Skibbe. Und hier wurden elementare Fehler offenbar. Bereits in der EM-Qualifikation wurden eklatante Defizite in der Vorwärtsbewegung sichtbar, denn wir sahen deutlich mehr Mobilität in Quer- bzw. Rückpassdimensionen. Ein Ausdruck fehlenden technischen Vermögens, denn wenn die Mittel für offensiv gesuchte Eins-gegen-Eins-Situationen fehlen, verbleiben Stagnation und Rückschritt. Der Mangel an international vorzeigbaren Außenbahnspezialisten war seit Jahren unverkennbar, wurde von Völler/Skibbe nie ernsthaft problematisiert, geschweige denn angegangen. Die Last lag auf Newcomer Lahm, der die Doppelaufgabe am linken Flügel defensiv wie offensiv zu lösen hatte und dadurch fast verschlissen wurde. Es fehlte ihm der Partner, der Frings nicht sein konnte, da der Neu-Bayer nur widerwillig den offensiven Flügelpart besetzte, seine besten Leistungen jedoch im zentralen BVB-Mittelfeld offensiv und defensiv ablieferte. Die kaum erprobten Alternativen Rahn, Böhme, Ernst, Rau und Ziege hatten auch aufgrund langwieriger Verletzungen bzw. ihrer Defensivdefizite nicht das Vertrauen des Trainer-Duos. Weitere Alternativen wurden nicht aufgebaut. Am rechten Flügel stabilisierte sich Friedrichs bestenfalls defensiv; Hinkel wurde verletzungsbedingt zurückgeworfen, wäre aber mit Friedrich als defensive Absicherung wirkungsvoller als Schneider oder Frings gewesen; Deisler war zuletzt fit, wurde allerdings als etwaiger "Problemfall" nicht rechtzeitig wieder integriert; Freier war nach durchwachsener Saison nicht wirklich eine Alternative und Asamoah, trotz starker Rückrunde, fallen gelassen. Schneider und Frings waren tatsächlich keine Spieler für die Außenbahn, weil ihnen auf dieser Position schlichtweg die Spielpraxis im Verein fehlte und sie im Nationalteam auf dieser Position zuletzt während der WM 2002 akzeptable Leistungen ablieferten.

Als große Enttäuschung erwies sich Hamann im defensiven Mittelfeld, der jegliche Kreativität im Aufbauspiel vermissen ließ und in den letzten zwei Jahren kaum an seine Bestleistungen anknüpfte. Im Gegenteil. Er nahm penetrant Tempo aus dem Spiel, spielte ohne jegliche Dynamik, schoss kaum aus der zweiten Reihe und hatte überraschenderweise auch technisch und kämpferisch Defizite. Alternativen wurden, wenn Hamann verfügbar war, nicht ernsthaft getestet. Kehl und Jeremies hätten aufgrund ihrer langanhaltenden Formkrisen nicht berufen werden dürfen. Baumann und Ernst enttäuschten regelmäßig im Nationaltrikot, Ramelow zog vernünftigerweise selbst rechtzeitig die Reißleine und Balitsch sowie Borowski hatten nicht einmal im Verein den nötigen Rückhalt. In der Mittelfeldzentrale wäre eine Achse Ballack (defensiv) mit Frings (offensiv) die aktuell effektivste Lösung gewesen, wobei sich Frings bei Ballack-Vorstößen zur Absicherung auch defensiv bewährt hätte.

Auch in der Innenverteidigung wurde von Völler/Skibbe kompromisslos auf Nowotny-Wörns-Baumann gesetzt, die allesamt regelmäßig gegen Klasse- und sogar Mittelklassestürmer versagten. Ein gesunder Metzelder war von keinem aus diesem Trio zu ersetzen. Konkrete Alternativen wie Fahrenhorst, Möhrle, Kläsener und Mertesacker, die allesamt eine gute bis sehr gute Saison hinter sich haben, wurden völlig übersehen. Auch in diesem Mannschaftsteil hielten Völler/Skibbe zu lange an international enttäuschenden Kandidaten fest.

Im Angriff ging die Ein-Mann-Variante, zuvor nicht einmal getestet, völlig daneben. Kuranyi versagte im Abschluss, hatte seine Chance als technisch gute Anspielstation aber verdient. Als Alleinunterhalter war er jedoch total überfordert. Bobic, Klose und Neuville hatten bereits im Vorfeld bewiesen, dass sie derzeit nicht mithalten können; Max wurde rechtzeitig vergrätzt und Podolski, Schweinsteiger und Brdaric zu spät integriert bzw. falsch oder zum falschen Zeitpunkt eingesetzt.

Zudem muss man dem Trainergespann ankreiden, dass die vorsichtige Grundausrichtung in den Spielen gegen Lettland und Tschechien das personelle Dilemma verstärkte und somit jeweils über mindestens 45 Minuten pro Begegnung Angsthasenfußball zelebriert wurde. Konditionell war die Mannschaft schließlich fit und hätte nicht jeweils über eine Halbzeit verplempern dürfen. Mit der Brechstange klappte es dann (vorhersehbar) nicht, auch wenn in nicht wenigen Szenen das Glück im Abschluss fehlte. Doch selbst gegen die Letten war eine Niederlage – wie gegen Ungarn - möglich. Im Spiel gegen die Niederlande war die taktische Ausrichtung zwar okay, verstellte jedoch den Blick dafür, dass die Holländer weit unter ihren Möglichkeiten blieben. Hätte die Advocaat-Elf nur annähernd die Dynamik entwickelt, die im Spiel gegen die Tschechen zutage trat, hätte unser Team weitaus größere Probleme bekommen.

Zusammenfassend blieb die Völler/Skibbe-Ära auf dem Papier zwar unterm Strich durchwachsen bis leicht positiv, doch sie startete schließlich zu einer Zeit, als die DFB-Elf ganz unten war. Wir sind einige kleine Schritte weitergekommen, von der Welt- und auch Europaspitze jedoch noch meilenweit entfernt. Eine Mammutaufgabe für den Nachfolger, doch die Zeit bis zum Fixpunkt WM 2006 ist leider sehr kurz. Und hat nicht Top-Kandidat Hitzfeld mit ähnlich unattraktivem Sicherheitsfußball beim FC Bayern in dieser Saison Schiffbruch erlitten?

Ulrich Merk



Mensch Willi, Du siehst ja aus, als sei 'ne Hungersnot ausgebrochen!" - "Und Du siehst so aus, als seist Du schuld daran.

— Reiner Calmund und Willi Lemke