Englands Traum zerplatzte

von Günther Jakobsen19:57 Uhr | 01.07.2006

In einem weiteren, von taktischen Zwängen geprägten Viertelfinale, gab es keinen Sieger nach der Verlängerung. England erreichte ohne den vom Feld verwiesenen Rooney zwar das Elfmeterschießen, scheiterte dort aber drei Mal am portugiesischen Schlussmann Ricardo.

Mit jeweils nur einem nominellen Stürmer angetreten, zeigten beide Teams in der Anfangsphase einigen Respekt voreinander und suchten vorwiegend über Standards das Spiel in die Spitze. Parallel probierten die Engländer aber auch den Weg über die Außenbahnen. Ein Schuss von Rooney, eine sichere Beute Ricardos (9.) und im Gegenzug ein ebenfalls aus ca. 20 Metern abgefeuerter Versuch Cristiano Ronaldos (kein Problem für Robinson) erzeugten einen ersten Hauch von Gefahr. In der 13. Minute verstolperte Tiago einen Hochkaräter, weil ihm der Ball zu überraschend vor die Füße gefallen war. Portugal produzierte inzwischen mehr Druck, holte auch mehr Freistöße in der Hälfte der Engländer heraus. Aber auch Ronaldos zweiter Knaller blieb ohne Erfolg, zischte über den linken Giebel (19.). Keine zwei Minuten später verpasste Lampard eine feine Hereingabe nur knapp. Das Spiel hatte nun ein achtbares Tempo aufgenommen. Allerdings blieben die Abwehrreihen in den folgenden fünfzehn Minuten undurchdringlich, denn vorne fehlte es an Ideen und Risikobereitschaft. Die fehlenden Highlights vor den Toren erinnerten an das Match des Vortages zwischen Deutschland und Argentinien, die sich über weite Strecken neutralisiert hatten. Dabei wurde viel in die Breite gespielt oder zurück. Ein um einen Meter neben das Tor geschlenzter Ball von Figo (39.) bildete das einsame Highlight am Ende dieser zähen Spielphase. Auch Tiagos Kopfball in der 42. Minute war gefährlicher, als alle bis dahin von den Engländern fabrizierten Torabschlüsse. Selbst ein Freistoß von Beckham aus seiner halblinken Lieblinksposition blieb in der Mauer hängen. Lampard versuchte es vor dem Halbzeitpfiff nochmals aus der zweiten Reihe, von Ricardo sicher gemeistert, ehe es torlos in die Pause ging.

Die Eine-Spitze-Taktiken beider Teams hatten vor dem Seitenwechsel eine Menge Langeweile produziert. Pauleta war völlig abgemeldet und Rooney zwar beweglich, aber allein gegen eine Übermacht. Trainer Eriksson nahm immerhin den farblosen Beckham heraus und brachte Flügelflitzer Lennon. Am abgebremsten Kick änderte sich vorerst allerdings wenig. Als Lennon endlich einmal ins Spiel einbezogen wurde, ergab sich sogleich eine Großchance, die Joe Cole jedoch über den Querbalken setzte (59.). Dann trat Rooney in einem Zweikampf seinem Gegenspieler Carvalho in die Weichteile und der neben ihm postierte Schiri warf den jungen Wüstling vom Platz (63.). Als neue Spitze der zehn Engländer kam Crouch, der sich nach einem weiten Neville-Einwurf mit einem Kopfball über den portugiesischen Kasten einführte. Gegenüber jagte Figo die Kugel aus guter Position ebenfalls drüber (67.). Dennoch kam Portugal mit der Überzahl zuerst gar nicht recht klar. In den Angriffsreihen wurde weiterhin erschreckende Magerkost geboten, einem WM-Viertelfinale unwürdig. Daran änderte auch ein neuer Schlenzer Figos, den Robinson ablenkte, nachdem Ronaldo nicht heran kam (79.), wenig. Ein Lampard-Freistoß (83.) brachte dann wirklich Gefahr. Ricardo lenkte ihn vor die Füße Lennons ab, doch der quirlige Außen traf den Nachschuss nicht voll und Ricardo war rechtzeitig unten. Die Portugiesen versuchten es in Ermanglung besserer Ideen immer wieder aus der Distanz, visierten aber meist die Zuschauerränge an. Nach einer großen Einschussmöglichkeit für Terry, die, abgefälscht, knapp über die Latte flog, war die Nachspielzeit beendet und die schwache, aber spannende Partie ging in die Verlängerung.

Wie bereits in der Schlussphase der normalen Spielzeit drückten die Portugiesen etwas mehr als die Engländer. Mehr als ungenaue Weitschüsse und einige unfruchtbare Standards wurden indes nicht erarbeitet. Englands Konter hatten inzwischen Seltenheitswert, waren aber nie ganz ungefährlich. So kreiselte das Scolari-Team um den britischen Strafraum herum, prallte aber regelmäßig am Bollwerk von Terry, Ferdinand & Co. ab. Auch Cristiano Ronaldos Linkshammer in der 105. Minute strich nur knapp übers Gehäuse des wahrlich nicht sicheren Keepers Robinson. Postigas Abseitstor per Kopf erhitzte die Gemüter zu Beginn der zweiten Halbzeit der Verlängerung genauso wie ein Foul im Strafraum an Lennon eine Minute zuvor. Beide Entscheidungen des Unparteiischen waren jedoch korrekt. Und so zirkulierte der Ball bis in die Endphase der Partie vor allem vor dem 16er der Engländer hin und her, unterbrochen von einigen Schüssen und Flanken, die jedoch harmlos blieben. Es kam somit nach dem letzten Powerplay der Südeuropäer zum unvermeidlichen Elfmeterschießen.

Das Elfer-Drama: Simao 1:0. Ricardo hält Lampards 11er. Viana schießt an den Pfosten. Hargreaves trifft zum 1:1, obwohl Ricardo dran war. Petit knallt links vorbei. Ricardo hält auch Gerrards Schuss. Postiga versenkt sicher zum 2:1. Carragher verwandelt, aber der Ball war nicht freigegeben. Und die Wiederholung hält Ricardo, lenkt die Kugel an die Latte. Dann die Entscheidung durch Cristiano Ronaldo, der nervenstark ins rechte obere Eck drischt. Portugal hatte nach 40 Jahren erstmals wieder ein WM-Halbfinale erreicht.

Ulrich Merk



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— Klaus Augenthaler