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EURO 1976: Rauch über Zagreb

von Günther Jakobsen13:55 Uhr | 03.06.2008

Zwei Jahre nach der schmerzhaften 1:2-Niederlage im WM-Finale gegen Deutschland waren die niederländischen Nationalspieler um Johan Cruyff buchstäblich auf Rache aus. Das Halbfinale gegen die CSSR entfiel ihnen fast gänzlich.

Der Stachel saß immer noch tief. Die Elftal, die sich als beste Nationalmannschaft der Welt fühlte, was sie wohl auch war, wurde ihr Trauma nicht los. Immer und immer wieder stellte sie sich und die Journalisten ihr die Frage, wie das hatte geschehen können, vor allem nach diesem Beginn, als die Holländer nach einer Minute mit 1:0 geführt hatten, ohne dass Deutschland auch nur einen Ballkontakt gehabt hätte.

Heute sind die meisten der damaligen Akteure in der Lage dazu, diese Frage ehrlich zu beantworten: an der eigenen Überheblichkeit. Nach der frühen Führung hatten die Niederländer versucht, die Deutschen vorzuführen und waren dramatisch gescheitert.

Nun, zwei Jahre später, sollte bei der Europameisterschaft in Jugoslawien alles anders werden. Im entscheidenden Qualifikationsspiel zur Endrundenteilnahme, nach dem damaligen Modus das EM Viertelfinale, fegte die Elftal die absolut chancenlosen Belgier bereits im Hinspiel mit 5:0 vom Platz, die Teilnahme an der Endrunde stand somit schon vor 2:1-Sieg in Belgien fest. »König« Johan Cruyff war einmal mehr der überragende Mann und unumstrittene Leader auf dem Platz.

Cruyff übernahm das Ruder

Doch auch abseits des Spielfeldes hatte Cruyff mittlerweile das Kommando übernommen. Nachdem der Disziplin- und Fitnessfanatiker Rinus Michels seine Tätigkeit als Bondscoach beendet hatte, übernahm Cruyff das Ruder. Der neue Coach Georg Knobel konnte sich kaum durchsetzen, und wenn er doch selber eine Entscheidung traf, so fiel diese stets zugunsten Cruyffs aus. So etwa, als er ein Machtwort im Dauerstreit zwischen den Eindhoven-Spielern van Beveren und van de Kuylen und den Ajax-Akteuren Neeskens und Cruyff zu sprechen hatte, der sogar in Streikandrohungen in den Gruppenspielen gegipfelt hatte. Die Eindhovener wurden nach Hause geschickt. Zudem setzte Kettenraucher Cruyff noch durch, dass während der Endrunde im EM-Quartier der Niederländer geraucht werden durfte und brachte Knobel dazu, den alten Weggefährten van Hanegem ins Aufgebot zu berufen, was erneut zu Streitigkeiten in der Mannschaft führte.

Derart vorbereitet, fieberte das Team und mit ihm das ganze Land dem Traumfinale gegen Deutschland entgegen und der Rache für 74, die weit mehr sein sollte, als nur eine Revanche. Darüber geriet das zunächst anstehende Halbfinale gegen die Tschechoslowakei ein wenig in Vergessenheit. Obwohl die CSSR um ihre Helden Panenka und Ondrus in der Gruppenphase bereits England aus dem Rennen geworfen hatte, schien kein Niederländer auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, dass das Halbfinale mehr werden könnte als ein lockeres Warmspielen.

Dementsprechend scheiterte die Mannschaft im strömenden Regen von Zagreb auf die selbe Weise wie im WM-Finale zwei Jahre zuvor: an der eigenen Arroganz. Zu keiner Zeit fand die Elftal zu ihrem »voetbal totaal«, Cruyff wurde vom tschechoslowakischen Libero Ondrus komplett aus dem Spiel genommen und darüber hinaus dadurch regelrecht gedemütigt, dass ausgerechnet diesem der 1:0-Führungstreffer gelang.

Der Spielverlauf war dramatisch. Zunächst dominierte das begeisternd aufspielende Kollektiv der CSSR die Partie, schwächte sich dann aber durch einen Platzverweis von Pollák und fabrizierte ausgerechnet durch den bärenstarken Ondrus den Ausgleich durch eine unglücklich abgefälschte Flanke selbst.

Da waren´s nur noch neun

Doch die Elftal konnte die Überzahl nicht nutzen und dezimierte sich ihrerseits durch Undiszipliniertheiten. In der 76. Minute flog Neeskens mit der roten Karte vom Platz, was Cruyff derart erregte, dass er selbst Gelb sah. Damit war schon vor dem Ende der Partie klar, dass ein mögliches Finale ohne den bereits vorbelasteten Spielgestalter stattfinden würde. In der Verlängerung sah schließlich auch noch van Hanegem den roten Karton vom unglücklichen Schiedsrichter Thomas aus Wales, der außerdem noch vor dem 2:1-Treffer durch Nehoda in der 114. Minute ein Foul an Cruyff übersah. Veselys 3:1 vier Minuten später war schließlich der endgültige Knock-out.

Der erzürnte Cruyff gab die Schuld hernach dem Schiedsrichter und reiste aus Jugoslawien ab, nicht ohne vorher noch neue Forderungen an den Verband zu stellen: »Die holländischen Nationalspieler müssen besser bezahlt werden, es müssen weniger Trainingslager abgehalten werden, und es muss mehr Freiheit für die Spieler geben.«

Doch in Holland hatten bereits neue Zeiten begonnen, und auch wenn eine B-Elf ohne die großen Stars das Spiel um Platz drei nach einer 2:0-Führung noch verlor, zeigte die Partie doch auch, dass die Niederlande über eine ganze Reihe talentierter Nachwuchsspieler verfügten und vom mittlerweile 29-jährigen Cruyff nicht mehr um jeden Preis abhängig waren.

Dieser trat ein gutes Jahr später aus der Elftal zurück. In 48 Länderspielen hatte er 33 Tore geschossen, ein Titel jedoch blieb ihm verwehrt. Dass auch die deutsche Nationalmannschaft nach einem dramatischen Halbfinale gegen Jugoslawien (4:2 n.V. nach einem 0:2-Rückstand zur Pause) im Elfmeterschießen an der CSSR scheiterte, war da nur ein schwacher Trost.

Fabian Jonas
11Freunde-Online

Zu den Daten der EURO 1976



Fair Play im Fußball? Das ist mir auch schon ein paar Mal begegnet.

— Ansgar Brinkmann