Dass Deutschland 2002 nur mit Ach und Krach Vize-Weltmeister geworden war, kümmerte die Fans kaum. Für sie gab es »nur ein Rudi Völler«. Doch bei der EM 2004 entzauberte dieser sich selbst: Aus in der Vorrunde, Aus für ihn.
Wer auf dem Gipfel steht, kann nur noch abwärts gehen. Eine Erkenntnis, so stumpf wie wahr. Rudi Völler kann ein Lied davon trällern. Nach der Weltmeisterschaft 2002 in Asien überstiegen seine Popularitätswerte als Trainer der deutschen Nationalmannschaft gar die des Spielers Völler, der einst in den Arenen der Republik mit lang gezogenen »Ruuuudi-Rufen« gefeiert wurde. Der frühere Weltklasse-Stürmer war mit der deutschen Elf erst im Finale an Brasilien gescheitert. Auch wenn die Gegner auf dem Weg dorthin höchstens internationales B-Format hatten, löste Völler in heimatlichen Gefilden wahre Begeisterungsstürme aus. Die Nation intonierte aus voller Kehle: »Es gibt nur ein Rudi Völler.«
Nach der Kür in Asien rief die lästige Pflicht. Die Qualifikation zur Europameisterschaft 2004 in Portugal. Der deutsche Vize-Weltmeister stolperte mit unansehnlichem Hauruck-Gekicke durch die Gruppe. Einen absoluten Tiefpunkt erlebten Rudis Schützlinge auf den Färöer Inseln. Erst in der 89. Minute gelang Miroslav Klose der Führungstreffer gegen die Amateure von der Schafzüchterinsel. Auch das torlose Remis in Island mutete wie eine spielerische Bankrotterklärung an. Die Enttäuschung in Verbund mit ständiger Medienschelte ließen das »Fass Völler« überlaufen. Im ARD-Studio von Waldi Hartmann platzte ihm nach dem Spiel der Kragen. »Tiefpunkt, noch tieferer Tiefpunkt, ich kann diesen Scheißdreck nicht mehr hören«, polterte er in Richtung des Experten-Duos Gerhard Delling und Günter Netzer. Reporter Hartmann unterstellte er im gleichen Atemzug ob seines gelassenen Auftretens einen maßlosen Weizenbierkonsum. Obwohl sich Deutschland später mit vier Punkten Vorsprung den Gruppensieg sicherte und ihm viele Fans seinen Ausbruch in Island nicht wirklich übel nahmen, hatte das Denkmal Völler erste Kratzer bekommen.
Ein böses Vorzeichen
Der tiefste Tiefpunkt aber sollte noch kommen. Schon beim letzten Test vor der Endrunde verloren die Adlerträger gegen die zweitklassigen Ungarn mit 0:2, ein böses Vorzeichen. Nach dem ersten Spiel in Portugal keimte dennoch wieder so etwas wie Hoffnung auf. Den hoch favorisierten Niederländern trotzte man ein Unentschieden ab. Zu voreilig, wie sich herausstellte. Es folgte ein blamables 0:0 gegen Lettland und eine Niederlage gegen eine aufgepeppte tschechische B-Elf, die sich schon vorher für das Viertelfinale qualifiziert hatte. Deutschland war draußen.
Nur zwölf Stunden später nahm der einstige Liebling der Nation noch im portugiesischen Almancil entnervt seinen Hut. »Ich hatte das Gefühl, dass durch die WM im eigenen Land es nur jemand machen kann, der unbefleckt ist, der einen gewissen Kredit hat in diesen zwei Jahren, einen ähnlichen Kredit, wie ich ihn hatte vor vier Jahren, der ist wichtig«, begründete Völler damals seinen Rücktritt. Und tatsächlich schaffte es ein gewisser Sunnyboy aus Kalifornien namens Klinsmann den deutschen Fußball den nötigen Renovierungsarbeiten zu unterziehen. Und Völler fand seinen Frieden als Sportdirektor in Leverkusen. Ende gut, alles gut.
Gereon Detmer
11freunde-Online
Zu den Daten der EM 2004
Noch gar nicht, dazu bin ich zu sehr Realist!
— Stefan Kuntz, Nationaltrainer der Türkei, vor dem WM-Playoff-Halbfinale gegen Portugal und Cristiano Ronaldo, zur Frage, wie oft er schon an die WM gedacht habe...