Favoriten mit Startproblemen

von Günther Jakobsen09:34 Uhr | 13.06.2004

Ein sportlich eher durchwachsener Einstieg kennzeichnete die EM 2004 am ersten Spieltag des Turniers in der Gruppe A. Während sich Gastgeber Portugal nach der sensationellen Niederlage gegen Griechenland bereits mit dem Rücken zur Wand sieht, schleppten die nur zwanzig Minuten lang überzeugend auftretenden Spanier gegen allerdings harmlose Russen einen dünnen Erfolg über die Zeit. Das große Problem beider Favoriten liegt im Angriff.

Hoffnungsträger Deco und Ronaldo
Die hoch eingeschätzten Portugiesen zeigten einmal mehr ihre alten Schwächen. Bis zum gegnerischen Strafraum zelebrierten sie teils überaus ansehbaren Kombinationsfußball mit einem in der ersten Halbzeit allgegenwertigen Figo in der Hauptrolle, aber auch mangelhaftes, weil durchsichtiges Zuspiel in die Spitze, wo Pauleta verzweifelt rochierte, aber regelmäßig übersehen wurde. Schüsse aus der zweiten Reihe hatten ebenfalls Seltenheitswert, zudem gesellten sich in der Anfangsphase auch ungewohnte technische Schwächen zum portugiesischen Dilemma. Mit Deco und Ronaldo für die blassen Rui Costa und Simao kam die neue Generation Portugals bereits nach der Halbzeitpause auf den Platz und zeigte viel versprechende Ansätze. Deco suchte mit teils spektakulären, unorthodoxen Mitteln den direkten Weg zum Tor und wirkte wesentlich spritziger als sein Vorgänger Rui Costa, dessen zeitlupenhafte Aktionen der Veranstaltung nicht gerecht wurden. Ronaldo verursachte zwar ungestüm den Elfmeter, der zum 0:2 führte, war aber am linken Flügel stets anspielbar, lieferte sich tolle Zweikämpfe mit dem griechischen Verteidigertalent Seitaridis, lag mit seinen Hereingaben aber meist im Kontrast zu den Laufwegen Pauletas. Trotzdem - mit dem Kernpersonal der zweiten Hälfte erscheint ein Weiterkommen der Gastgeber immer noch machbar. Absolute Nervenstärke, nicht gerade eine der herausragenden Tugenden der portugiesischen Kicker, wird jedoch vonnöten sein.

Ausfälle Raul und Morientes
Der zweite Favorit aus der Gruppe A, das junge spanische Team, zeigte zwischen der 5. und 25. Minute, was in ihm steckt. Beschlagen mit zwei überaus trickreichen, druckvollen Außen (Etxeberria, Vicente), wirkungsvoll mit stürmenden Abwehrcracks (Puyol, Marchena) und einem defensiv starken, im Aufbau allerdings etwas biederen zentralen Mittelfeld (Baraja, Albelda), wurde der Gegner aus Russland in der ersten halben Stunde arg unter Druck gesetzt. Geschickte Positionswechsel und die technisch guten Grundvoraussetzungen der spanischen Kicker vervollständigten die überraschend variantenreiche Leistung der Iberer. Doch die Parallele zum portugiesischen Auftritt wurde ebenso deutlich. Die Spitzen Raul und Morientes blieben stumpf, weil sie die verschiedensten Zuspiele unzureichend verwerteten. Dabei flogen die Flanken Etxeberrias und Victentes teilweise im Minutentakt in den russischen Strafraum, wo allerdings in der Luft wie am Boden die beiden Real-Angreifer zumeist den Kürzeren zogen. Sie waren schlichtweg Ausfälle. Das einzige Tor resultierte im Prinzip aus einer einzigen gelungenen Körpertäuschung Valerons, der, indem er sich mit einem Haken den Ball auf den linken fuß legte, die gesamte russische Innenverteidigung inkl. Torwart Ovchinnikov verlud. Zu diesem Zeitpunkt war bereits längere Zeit nichts mehr vom großen spanischen Auftritt der Anfangssequenz zu sehen. Sie hatten in dieser Periode schlichtweg das Toreschießen vergessen. Gegen einen anderen Gegner ein kaum wieder gutzumachendes Dilemma. Auch verfielen die Spanier nach ihrem Führungstreffer in die alte, nicht aus der Mannschaft zu boxende Tradition, nach einem geschossenen Tor den Laden hinten dicht zu machen und einen Ein-Tor-Vorsprung nach Hause zu mauern. Gegen unentschlossene Russen, die ihr zweifelsohne in Ansätzen immer wieder aufblitzendes Können nicht auszubauen im Stande waren, war das nahezu problemlos möglich. Gegen Griechen in der Form von gestern, aber auch gegen Portugiesen, wie sie in der zweiten Hälfte Ansätze zeigten, wäre die Geschichte wahrscheinlich ins Auge gegangen. Somit bleibt die schlichte Phrasenschwein-Erkenntnis, dass in der Gruppe A weiterhin jeder jeden schlagen kann, da selbst die Griechen nicht herausragten, sondern "nur" effektiv spielten. Der diesjährige Europameister dürfte nach den Leistungen der beiden ersten Spiele allerdings einer anderen Vorrunden-Gruppe entspringen.

Ulrich Merk

Zu den Daten der EM (inkl. Spielberichten und Spielerbenotungen)



Wenn du 32 Prozent Zweikampfquote in der 1. Halbzeit hast, kannst du Dreier-, Vierer-, Fünfer- oder Fahrradkette spielen. Ist völlig egal.

— Frankfurts neuer Trainer Oliver Glasner nach 2:5 zum Start bei Borussia Dortmund.