Feuerkopf gegen Sokrates

von Günther Jakobsen15:42 Uhr | 13.09.2002

Im 61. Bundesliga-Derby zwischen dem BVB und Schalke sitzen sich die beiden jüngsten Ligatrainer auf den Bänken gegenüber: Matthias Sammer (35) und Frank Neubarth (40). Beide haben große Karrieren als Spieler hinter sich. Sammer hat auch schon als Trainer einen Riesenerfolg vorzuweisen.

Auch als Trainer meisterlich
Matthias Sammer brachte es auf 178 Bundesligaeinsätze (für den VfB Stuttgart und Borussia Dortmund). Dann beendete 1997 eine Knieverletzung die Karriere des gebürtigen Dresdeners. Während seiner Aktiven-Laufbahn wurde er mehrfacher Deutscher Meister, Champions-League-Gewinner, Europameister 1996 (51 Länderspiele für den DFB, 23 Einsätze in der DDR-Auswahl) und 1996 Europas Spieler des Jahres. Unmittelbar nach seiner langwierigen Verletzungspause übernahm er, zunächst als Co-Trainer neben Udo Lattek, die Bundesligaelf des BVB. Mit dem Titelgewinn aus der vergangenen Saison konnte er bereits als alleinverantwortlicher Trainer einen Top-Erfolg landen.

Erste Trainer-Station in der Regionalliga
Frank Neubarth bestritt 317 Bundesligapartien, allesamt für den SV Werder Bremen. 97 Tore erzielte der meist als Stürmer, aber auch als offensiver Mittelfeldspieler eingesetzte Schlaks. Seine Nationalmannschaftskarriere geriet mit nur einem Einsatz (April 1988, beim 1:0 gegen Argentinien) recht kurz. Dafür spielte er mit Werder regelmäßig in den Europapokal-Wettbewerben auf internationaler Ebene. 1992 gewann er mit den Bremern den Europapokal der Pokalsieger und wurde jeweils zweimaliger Deutscher Meister und DFB-Pokalsieger. Wie Sammer trat auch Neubarth nach der Spielerkarriere eine Trainerlaufbahn bei seinem Stammklub an, wurde Trainer der Werder-Amateure (Regionalliga). Bis Assauer ihn nach Schalke holte.

Adrenalin in rauen Mengen
„Roter Baron“ oder „Feuerkopf“ lauten die von Sammer nicht unbedingt geschätzten Spitznamen, die in Anspielung auf seine Haarfarbe entstanden. Der „Feuerkopf“ umschreibt aber auch das impulsive Temperament des BVB-Übungsleiters, das schon während seiner aktiven Zeit Gegner wie Mitspieler zu spüren bekamen. So musste sich beispielsweise der schnell selbstzufriedene Andreas Möller von Zeit zu Zeit mit dem Adrenalin-Überschuss seines damaligen BVB-Mitspielers auseinandersetzen. Eine schlaffe Berufsauffassung bringt Sammer auch heute noch auf die Palme.

Gegensätze prallen aufeinander, wenn der Disziplin-Fundamentalist Matthias Sammer seine Brasilianer „auf Linie“ bringen will. Die für Südamerikaner fast schon traditionell üblichen, eigenmächtigen Urlaubsverlängerungen (Amoroso) sowie deren mangelhafte Ausdauerwerte nach dem Urlaub sorgten für eine zeitweilige Missstimmung in der jüngsten Saisonvorbereitung. „Eine lange Pause ist zwar schön, das heißt aber nicht, dass man überhaupt nichts machen soll“, ärgerte sich der BVB-Coach, dass seine Zuckerhut-Zauberer in der Sommerpause Sport offensichtlich nur gemütlich vorm Fernseher sitzend genossen hatten.

Mit stoischer Ruhe Wunder bewirkt
Von Frank Neubarth sind Wutausbrüche sammerscher Dimension weder aus der Aktiven- noch aus seiner Trainerzeit überliefert. „Mr. Europacup“ und „Sokrates“ wurde der Offensivspieler genannt. Ersteren Spitznamen verdankt er seinen vielen Treffern für Werder in den Europapokalwettbewerben. Unter anderem leitete Neubarth mit den Treffern zum 1:0 (3.) und 2:0 (10.) das erste „Wunder von der Weser“, den 6:2-UEFA-Pokal-Erfolg im November 1987 über Spartak Moskau (nach 1:4-Hinspielniederlage), ein. „Sokrates“ wurde er gerufen, weil seine staksig wirkenden Bewegungen an den damaligen brasilianischen Weltklassespieler Socrates, alias Sampaio de Souza Vieire de Oliveira, erinnerten. Passend wurde dieser Name auch dadurch, weil Neubarth selbst in hitzigen Spielsituationen mit beinahe stoischer Gelassenheit agierte.

Nicht mehr mittendrin, aber voll dabei
Als Spieler standen sich Sammer und Neubarth in sechs Bundesligapartien gegenüber. Diese Bilanz hat der Dortmunder knapp für sich entschieden: Zweimal gewann das Sammer-Team, einmal behielt Neubarth mit Werder die Oberhand und drei Spiele endeten unentschieden. Ab jetzt wird dieses Duell von der Trainerbank aus fortgesetzt. Mit stoischer Ruhe einerseits und mühsam gebändigtem Temperament auf der Gegenseite.

André Schulin



In München beginnt der Vordere Orient. Da herrschen andere Gesetze.

— Peter Weiand