Statistisch betrachtet, kaum. Polen siegte nie gegen Deutschland (14 Niederlagen, 10 Remis). Schon die Eindrücke der letzten Testspiele vor der WM waren wenig verheißungsvoll, und die Niederlage gegen Ecuador unterstrich die Befürchtungen, dass Polen ein WM-Deja-vu ereilen könnte.
Längere WM-Pausen
Seit 1919, kurz nach der Ausrufung der Republik Polen, ist der Fußballsport im Lande der Polanen (ein westslawischer Stamm, nach dem das Land benannt wurde) organisiert. 1923 trat der PZPN der FIFA bei und 1938 qualifizierte sich die Nationalelf erstmals für eine WM-Endrunde. Nach der 5:6-Achtelfinal-Niederlage gegen Brasilien war das Thema Weltmeisterschaft dann eine ganze Zeit lang ad acta gelegt. Erst 1974, beim Turnier in Deutschland, das eine exzellente polnische Mannschaft sah, reihten sich die Osteuropäer wieder unter die weltbesten Teams ein. Ihr begeisterndes Offensivspiel, getragen von den Säulen Deyna, Lato (mit sieben Treffern Torschützenkönig), Gadocha und Szarmach führte zu Platz drei (1:0-Sieg gegen Brasilien) in der Endabrechnung. Die starken Gegner Argentinien, Italien, Schweden und Jugoslawien hatte Polen auf dem Weg ins Halbfinale geschlagen, bevor in der legendären "Wasserschlacht" von Frankfurt die 0:1-Niederlage gegen die BRD den Siegeszug stoppte. Bei den folgenden drei Weltmeisterschaften war Polen ebenfalls vertreten, konnte aber, abgesehen von einem erneuten dritten Rang, 1982 bei der WM in Spanien (3:2 gegen Frankreich), keine Steigerung zum 74er Team erreichen. Nach 1986, als Polen im Achtelfinale an Brasilien scheiterte, fiel der WM-Vorhang wieder für einen längeren Zeitraum. Nach einer überzeugenden Qualifikation zur Weltmeisterschaft 2002 rückte die polnische Auswahl in Asien erneut ins Rampenlicht.
Unter Druck
Diese Veranstaltung indes wurde für Polen zu einer einzigen Enttäuschung. Nach zwei Niederlagen in Gruppe D, mit teilweise indiskutablen Vorstellungen (0:2 gegen Südkorea und 0:4 gegen Portugal), war das abschließende Spiel (ein 3:1-Sieg gegen die USA) bedeutungslos - man war vorzeitig gescheitert. Kein Wunder also, dass ein Umbruch des Teams eingeleitet wurde. Nur vier Aktive von 2002 stehen noch im aktuellen WM-Kader Polens: die Abwehrspieler Jacek Bak (Al-Rayyan) und Michal Zewlakow (RSC Anderlecht), Mittelfeldakteur Jacek Krzynowek (ab kommender Saison beim VfL Wolfsburg) und Stürmer Maciej Zurawski (Celtic Glasgow). Acht Spieler hat Trainer Janas aus der polnischen Liga berufen, davon stehen vier bei Vizemeister Wisla Krakau unter Vertrag. Wisla wuchs in jüngerer Vergangenheit zum Topklub des Landes heran. In den letzten acht Jahren gingen fünf Meistertitel an das Team aus der südpolnischen Stadt, die bis 1596 Hauptstadt Polens war. Zu den meist beachteten Spielern der Nationalelf zählen heuer natürlich die in der Bundesliga tätigen Profis Krzynowek und Euzebiusz "Ebi" Smolarek, der in Interviews mit der Frage zugedeckt wird, wie es für ihn als BVB-Stürmer denn sei, in "seinem" Dortmunder Stadion mit Polen gegen Deutschland zu spielen. Wesentlich wichtiger ist für die Polen allerdings, mit welchem Resultat sie aus dieser Partie heraus gehen. Eine Niederlage würde, nach der unerwarteten 0:2-Pleite gegen Ecuador, eine Neuauflage der deprimierenden Bilanz von 2002 bedeuten.
Ohne Weltstars
Und vermutlich den Rauswurf von Coach Pawel Janas, dessen Kaderauswahl und taktische Aufstellung nicht überall in Polen helle Begeisterung entfachte. Der einstmalige Innenverteidiger und Auswahlspieler (54 Länderspiele) hat vor allem einen schlechten Draht zur Presse und musste vor dem Deutschlandspiel vom polnischen Verbandspräsidenten genötigt werden, auf der Pressekonferenz zu erscheinen, wo er sich dann gewohnt wortkarg gab. "1974 hatte Polen Weltstars, heute nicht", wehrte Janas sich schon vor Turnierbeginn gegen einen Vergleich mit der damaligen Elf. Dafür hatte Janas allerdings höchstpersönlich gesorgt, indem er den international renommierten Keeper Jerzy Dudek (FC Liverpool) außen vor gelassen hatte.
André Schulin
Ich denke nicht, dass ich noch mal Kontakt zu meinem Vater haben werde.
— Bayern Münchens Weltmeister Lucas Hernández in BILD am SONNTAG auf die Frage, ob er seinen Vater, der die Familie verließ, als Hernández zehn Jahre alt war, noch einmal treffen wolle.