Eine Neuauflage der Kopfstoßaffäre vom WM-Finale 2006 wird es nicht geben, da die Hauptdarsteller Materazzi und Zidane (Karriereende) fehlen. Azzurri-Coach Marcelo Lippi sortierte Provokateur Materazzi, einen der in den letzten Jahren raren italienischen Auswahlspieler von Inter Mailand, aus. Aber auch ein erneuter Endspiel-Einzug der Squadra Azzurra erscheint fraglich, wenngleich Lippi noch neun amtierende Weltmeister aufbietet.
Dass die Italiener Turnier-Spätstarter sind, ist nichts Neues. Wer den abschließenden Testspielen der Azzurri gegen Mexiko (1:2) und die Schweiz (1:1) deshalb zuviel Bedeutung zumisst, als sowohl die Resultate noch die Spielweise verbesserungswürdig waren, könnte sich leicht verkalkulieren. Schon in der Qualifikation setzte sich Italien relativ ungefährdet durch. Dass die Entscheidung bis auf die letzte Runde vertagt wurde, lag nur an den beiden Remis´ gegen Irland. Ex-Azzurri-Coach Giovanni Trapattoni konnte seine Landsleute jedoch nicht hinter sich lassen und scheiterte schließlich mit den Iren in der Relegation an Frankreich.
Mit dem aktuellen Trainer der Squadra Azzurra, Marcelo Lippi, ist der WM-Erfolg von 2006 eng verbunden. Der Cupsieg war für den in der Toskana (Viareggio) gebürtigen Lippi ein passender Moment, das Amt niederlegen. Genauso passend erschien es ihm jedoch, das Team erneut zu übernehmen, als sein Nachfolger Roberto Donadoni zwei Jahre danach mit Italien die EM-Qualifikation verpasste. Allerdings traf Lippi beim Wiedereinstieg eine klare Absprache: „Ich mache zwei Jahre und dann ist Schluss." Im Hinterkopf trug er mit sich einer Wiederholung des Titelgewinns.
Kein Del Piero, Toni oder Totti und kein „Inter-Aktiver“ - vier Jahre nach dem WM-Triumph in Deutschland nominierte Lippi aber immerhin noch neun Akteure für Südafrika, mit denen er anno 2006 Italiens vierte Weltmeisterschaft feierte. Dass nicht ein einziger Spieler von Meister Inter Mailand im Aufgebot steht muss nicht zwingend verwundern. Der 18-malige italienische Titelträger hat nur sechs italienische Profis unter Vertrag, von denen lediglich einer, Mario Balotelli, annähernd in den Verdacht gerät, als Stammspieler wahrgenommen zu werden. Das junge Stürmertalent scheint jedoch noch nicht gefestigt genug für eine WM-Teilnahme, derweil Materazzi (zwölf Punktspieleinsätze) auch auf Vereinsebene ausgespielt zu haben scheint.
Den größten Block stellt Juventus Turin mit sechs Akteuren, allen voran die Oldies Gianluigi Buffon und Fabio Cannavaro. Deren Turiner Teamkollege Giorgio Chiellini avancierte in der WM-Qualifikation zu einem festen Faktor in der Nationalelf und könnte, da er von seiner ursprünglichen Außenverteidiger-Position ins Zentrum wechselte, legitimer Nachfolger Cannavaros werden. Noch nicht zu ersetzen sind die Dauerbrenner Gattuso und Pirlo. Milans durchsetzungsfähiger Mittelfeldkämpe Gennaro Gattuso wird von Beginn an auflaufen können, derweil Spiellenker und Freistoßspezialist Andrea Pirlo den Turnierstart aufgrund einer Wadenzerrung möglicherweise verpasst. Ein Einsatz noch während der Gruppenphase sollte jedoch drin sein.
Was für Italien bei der WM herausspringen könnte hängt vom Steigerungspotenzial der Azzurri während des Turniers ab - was bekanntermaßen nicht unerheblich ist. In der Gruppe F, gegen Paraguay, Neuseeland und die Slowakei, sollten sich Lippis Mannen jedenfalls durchsetzen können. Auch der aus Gruppe E kommende Achtelfinalgegner - sofern er nicht überraschenderweise Niederlande heißt - dürfte Italien nicht vor unlösbare Probleme stellen. Danach könnte es eng werden; zum ganz großen Wurf scheint die Squadra Azzurra nicht in der Lage. In Punkto Routine kann den Azzurri kaum einer das Wasser reichen. Probleme sind eher zu erwarten, sollte eine kreative Spielgestaltung erforderlich sein.
Mögliche Aufstellung: Buffon - Cannavaro, Chiellini, Zambrotta, - Gattuso, Pepe, De Rossi, Camoranesi, Pirlo - Gilardino, Iaquinta
André Schulin
Bevor ich nach Homburg kam, wurde dort noch mit Strohballen gespielt.
— Uwe Klimaschefski nach dem 3:1-Coup im DFB-Pokal mit dem FC Homburg gegen Bayern München 1977.