Kein Mittelmaß

von Günther Jakobsen16:10 Uhr | 01.12.2006

Es ist häufig zu beobachten, dass zuvor funktionierende Mannschaftsteile erheblich an Qualität einbüßen, wenn ein wichtiger Spieler ausscheidet. Bremens Mittelfeld mit Micoud war Extraklasse - nach dem gespielten ersten Saisondrittel muss man feststellen, mit Diego ist es das auch. Und mutmaßlich auch ohne ihn…

Micoud-Abgang kompensiert
Mit der Verpflichtung Per Mertesackers würde Bremens Abwehr an Stabilität gewinnen - darüber gab es keine zwei Meinungen bei Werder-Offiziellen, Fans, Presse und der fußballkundigen Öffentlichkeit. Ein großes Fragezeichen kreiste für alle Außenstehenden jedoch über der Mittelfeldraute der Grün-Weißen: Dem verdienstvollen Taktgeber der letzten vier Jahre, Johan Micoud, war im Herbst seiner Karriere vorzeitig die Freigabe zu einer Rückkehr nach Frankreich gewährt worden. Ohne den Franzosen wäre Werders Double 2004 kaum vorstellbar gewesen. Micoud war beileibe nicht der einzige Fixpunkt im oftmals brillanten Bremer Mittelfeld, aber eben derjenige, der die größte Kreativität und auch Torgefahr produzieren konnte (31 Tore in 123 Spielen). Sein Nachfolger wurde der junge Brasilianer Diego (vollständig: Diego Ribas da Cunha), dem der Ruf eines Riesentalentes vorauseilte, jedoch der Geruch eines beim FC Porto Ausgemusterten anhaftete. Die Bremer Supernasen für potentielle Leistungsträger ließen sich davon nicht irritieren und vertrauten darauf, Diego integrieren zu können; was nach einem Saisondrittel als vollauf geglückt betrachtet werden kann.

Qualität offensiv wie defensiv
Aufgrund seines innigen Verhältnisses zum Ball musste der Brasilianer von den Kollegen anfangs öfter darauf aufmerksam gemacht werden, dass die anderen auch gerne, und hin und wieder mal etwas schneller, das Leder zugespielt bekommen hätten. Das Verständnis scheint inzwischen gewachsen, und, da Diego neben seinen sechs Treffern auch zu neun Torerfolgen für Mitspieler auflegte, die Zusammenarbeit nach relativ kurzer Zeit schon bemerkenswert flüssig. Die kunstvollen Einlagen des 21-Jährigen wären allerdings nicht möglich ohne die effektive Rückendeckung seiner Mittelfeldmitspieler: Die unspektakuläre, aber immens wichtige Sicherung des Rückraumes durch Werderkapitän Frank Baumann (derzeit verletzt) etwa. Oder den omnipräsenten Torsten Frings, dessen Elan und Kämpferqualitäten an die Werderikone Dieter Eilts erinnern. Allerdings kann Frings auf eine wesentlich bessere Technik zurückgreifen, ist deshalb verlässlich im Kombinationsspiel. Dank seiner Stürmer-Vergangenheit hat Frings auch ein gutes Auge für die Mitspieler in der vorderen Reihe, und ab und an sucht er selbst den Abschluss.

Verlässliche Alternativen
Noch ein Tick offensiver als Frings ist Tim Borowski ausgerichtet, der nach einem Post-WM-Durchhänger und überstandener Verletzung wieder einen Startplatz in der Raute ansteuert. In der vergangenen Saison glänzte der 1,94-Hüne mit satten Torschüssen aus der Distanz (zehn Treffer) und elf Assists. Am letzten Wochenende, beim 3:0 gegen Bielefeld, knüpfte er mit einer starken Vorstellung an seine Bestleistungen an, ließ jedoch zwei, drei gute Torchancen liegen. Jurica Vranjes kam 2005 an die Weser und in seiner ersten Saison auf 29 Einsätze. Der Kroate spielt auf wechselnden Positionen einen zuverlässigen Part mit primär defensiven Aufgaben. Dass er in der Startelf nicht gesetzt ist, liegt an der starken Konkurrenz im Verein sowie an unnötigen Fehlern, die ihm gelegentlich im Aufbauspiel unterlaufen. Daniel Jensen ist ebenfalls ein Kandidat, der sich gegen die vereinsinterne Konkurrenz schwer tut. Ähnlich wie Vranjes ist der Däne auf Schwächen oder Ausfälle der Kollegen angewiesen, um seine Chance in der Startelf zu bekommen. Bei den fünf Einsätzen in dieser Saison, sowie beim 1:0-Sieg gegen Chelsea in der Champions League, enttäuschte er nicht. Mit Eigengewächs Christian Schulz, dessen eigentliche Position links außen in der Viererabwehrkette liegt, hat Werder eine weitere Option für die linke Mittelfeldseite. Der Weggang Micouds hat das Werderspiel, wie Trainer Thomas Schaaf anmerkte, ein wenig verändert - verschlechtert, wie man bis jetzt sagen kann, jedoch nicht.

André Schulin



Meine größte Sorge für den deutschen Fußball war nicht, dass wir bei Olympia vorzeitig ausscheiden. Sondern, dass der dritte deutsche Torwart als Feldspieler eingewechselt wird. Es wäre an Peinlichkeit nicht zu überbieten gewesen, wenn Stefan Kuntz das hätte tun müssen.

— Rudi Völler zum deutschen Olympia-Aus in Tokio.