Konzept oder Mogelei?

von Günther Jakobsen11:24 Uhr | 20.12.2008

Kaum ein halbes Jahr spielt Hoffenheim nun in der Bundesliga und hat schon die Gesetze der Schwerkraft erschüttert. Ist es uneingeschränkter Traumfußball oder doch zu sehr das Geld, mit dem der Neuling die Liga beherrscht? Zeigt sich in der TSG das Modell der Zukunft? Und wünschen wir uns mehr davon? Fragen, die nicht nur Experten und Fans, sondern stellvertretend auch unsere Redaktion entzweien. Ein Versuch der Konfrontation.

PRO

Das Phänomen „Hoffenheim“ entzweit unsere Fußballgemeinde. Na und? Macht doch vielen Fans irgendwie Spaß. Sei es als Aufreger oder als Unterhaltungssendung. Unwidersprochen bleibt, dass das Team die Bundesliga und deren Fans aufgewühlt hat. Recht so! Die Dominanz des FC Bayern wurde schließlich frech durchbrochen, an der Tabellenspitze herrscht Spannung und das Topspiel am 16. Spieltag in der Allianz-Arena war eines der besten in den letzten Jahren. Wo also ist das Problem? Etwa beim Geld? Mäzen Dietmar Hopp hatte einiges in die Hand genommen und seinem Spezi Rangnick zum Einkaufen in die Hand gedrückt. Nicht wenig, aber auch längst keine rekordverdächtige Summe. Rangnick kaufte Unterschätzte, Abgeschobene und Talentierte, fügte diese zu einer Teamidee zusammen, die weder mit „kontrollierter Offensive“ noch mit „erfolgsorientiertem Ergebnisfußball“ zu tun hat, sondern eher mit Begriffen wie „Tempofußball“, „hohe Laufbereitschaft“ und „Risikofußball“ beschrieben werden darf. Andere Trainer hatten Ähnliches auch im Sinn, konnten oder wussten ihre innovativen Vorhaben allerdings nicht durchzusetzen oder hatten einfach nicht das richtige „Näschen“ bei ihrer Einkaufstour.
Dass dieses Modell nicht aus einer „Tradition“ im altbekannten Sinne gewachsen ist, also über Jahrzehnte oder einem halben Jahrhundert, mag manchem Fan von auf der Stelle tretenden „Alteingesessenen“ sauer aufstoßen, was allerdings einem Konzept nicht im Wege stehen wird, das intelligent durchdacht, effektiv und erfolgreich daherkommt. Dass der deutsche Fan konservativ sei, möchte ich zudem energisch bestreiten. Die überwiegende Mehrheit der neutralen Beobachter will schließlich guten Fußball sehen. Und endlich auch in der Bundesliga. Die Sinsheimer Vereinsführung hat zumindest in der Hinserie 2008/2009 diesem Anspruch Rechnung getragen. Wer Ibisevic, Beck & Co. wieder von der Bildfläche verschwinden lassen will, nimmt in Kauf, dass ein sich steigerndes Niveau, mehr Tore und ähnlich erfreuliche Elemente des Fußballs sich bald wieder aus der Bundesliga verabschieden. Echte Fußballfreunde haben so etwas nicht im Sinn.
Der FC Bayern war bislang DIE deutsche Fußballmarke. Die Fans der Mannschaft rekrutieren sich vorwiegend aus dem gesamten Bundesgebiet – im Gegensatz zu 1860. 1899 ist aus der Region gewachsen. Zwar schnell, aber nur weil ein ehemaliger Spieler des Vereins (Hopp) schon einmal ein grandioses Konzept hatte (SAP) und nunmehr ein ihm nah am Herzen liegendes unterstützt. Diese Geschwindigkeit der Entwicklung hatten nicht einmal die Macher vorausgesehen. Aber auch die TSG-Fans finden sich mittlerweile vermehrt in der gesamten Republik.
Eine weitere aktuelle Tatsache: Bereits aufgrund dieser Vorrunde der 1899er wurde auch „Hoffenheim“ zu einer Marke. Wie lange? Egal! Eine Marke ist eine Marke. Auch kurzfristig. Dietmar Hopp hat die Weichen für die Zukunft allerdings bereits gestellt. Sein Sohn würde das Angefangene in seinem Sinne fortsetzen.
Ich schaue mir jedenfalls gern die Spiele des Rangnick-Hopp-TSG an und rege mich über den aktuellen Anti-Fußball der Daum- und Favre-Truppen, den der Traditionalisten, wirklich eher auf. Fußball ist und bleibt Fußball auf dem Platz.

Ulrich Merk


CONTRA

Zugegeben, ohne die Blauen wäre die Hinrunde um einiges ärmer gewesen. Die Bayern hätten sich schneller nach vorn geschwungen und die Konkurrenz bald wie üblich dominiert. Bremen hätte weniger gelähmt und der FC Schalke nicht so zerstritten ausgesehen. Vielleicht hätte ohne Sinsheimer Gegenentwurf Stuttgarts Personalpolitik weniger verheerend gewirkt. Und als größte Überraschung hätten wir am Ende die Alte Dame sowie als besten Aufsteiger den biederen 1.FC Köln feiern müssen. Hoffenheim hat ganz Deutschland elektrisiert und die Liga durchlüftet wie kaum eine Mannschaft zuvor. Deswegen möchte man der TSG für ihre erfrischende und aufregende Vorstellung danken – und sie gleichzeitig bitten, nun auch wieder zu gehen.
Denn unwiderstehlich ist Hoffenheim nur auf den ersten Blick. In Wahrheit ist es wie ein verzogenes Kind, das man aus Höflichkeit zwar niedlich nennt, das einen trotzdem aber unheimlich nervt. Der gemeine deutsche Fußballfan ist konservativ. Er möchte keine Torkamera, kein passives Abseits und kein Samstagabendspiel. Dass die Bundesliga weniger schillernd und in Europa kaum erfolgreich ist, nimmt er in Kauf, weil ihn Verhältnisse wie in England oder auch Russland befremden. Stattdessen mag der Fan Vereine mit Tradition, Klubs, die im Stahlbad der Unterklassigkeit hart geworden und die seit jeher in ihrer Region tief verwurzelt sind. Oder noch pathetischer: Vereine mit einer Seele. Wer sich schon an Leverkusen und Wolfsburg gestoßen hat, der kann das fabrikneue Hoffenheim daher kaum mögen. Gehen zumal wird die TSG wohl niemals wieder, denn seit 1989, als Dietmar Hopp den Verein finanziell zu füttern begann, ist sie immer nur auf- und niemals wieder abgestiegen. Über einen Rückwärtsgang verfügt der Bulldozer nicht. Und sollte wider Erwarten doch aus Champions-League-Begierde irgendwann einmal Abstiegsangst werden, dann kann man sicher sein, dass eine große Hand den richtigen Hebel finden wird. Bielefeld und Cottbus haben diese Möglichkeit nicht und werden deswegen nur noch härter ums Überleben kämpfen müssen.
Wo überall und mit wie viel Verstand das viele Geld eingesetzt und welcher Dienst auch am deutschen Nachwuchs geleistet wird, verdient ohne Frage Respekt. Wie aber soll die Liga in Zukunft wohl aussehen, wenn Hoffenheim Schule macht? Steigen die ALDI-Brüder beim SV Schonnebeck ein? Motzt Familie Porsche den FV Zuffenhausen für die Champions League auf? Und wo bleiben dann Nürnberg und Kaiserslautern? Oder Rostock und Dresden? Der Erfolg eines solchen Projekts und genauso der Stolz seiner Macher und Fans werden immer etwas schal sein, nicht unredlich vielleicht, aber doch irgendwie künstlich. In den 90ern gab es einst ein populäres Computerspiel namens Bundesliga Manager Professional. Wer dort schneller vorankommen wollte, der ging in die Bank und nahm sich mit einem einfachen Trick ganz viel Geld. Statt sich über Jahre zu mühen, wurde man in Rekordgeschwindigkeit dann von der grauen Maus zum europäischen Topverein. Umso schneller aber verlor man auch die Lust.

Maik Großmann



,,Ihr Journalisten mit eurem dummen Gelaber" - ,,Das ist kein dummes Gelaber, ich hab ne ganz normale Frage gestellt!"

— Legendärer Dialog mit Frank Rost, Schalke 04, und premiere-Reporter Patrick Wasserziehr.