Kopfteam gegen Begeisterungself

von Günther Jakobsen16:44 Uhr | 09.04.2008

Michael Ballack und die Vernunftbolzen vom FC Chelsea besiegen im Viertelfinale Fenerbahce Istanbul. Und auch Liverpool bereitet den englischen Fans viel Freude – zumindest denen, deren Herz nicht für Arsenal schlägt. Unser Kollege Thomas Becker von der 11Freunde-Redaktion fasst die beiden CL-Spiele von gestern zusammen.

Kopfteam gegen Begeisterungs-Elf - so wird es im Halbfinale der Champions League heißen. Dass sich die Vernunftbolzen von Chelsea gegen Fenerbahce durchsetzen würden, war keine Überraschung. Und wenn Liverpool gegen Arsenal spielt, gibt es zumindest immer einen Sieger: den Zuschauer.

Auch im Viertelfinale der Königsklasse behält der FC Chelsea seine juventusturinsche Minimalistenspielweise bei: ein Höhepunkt nach vier Minuten und noch einer drei Minuten vor Schluss - das muss genügen. In den 83 Minuten dazwischen: nicht sehr viel. Geradezu wehmütig denkt man an die Hochgeschwindigkeitsfestivals mit Barcelona vor ein paar Jahren. Gegen die viel zu ängstlichen Türken - immerhin mit einem 2:1-Vorsprung angereist - mussten die Londoner beim nahezu wiederstandslosen 2:0 nie an ihre Grenzen gehen.

Am spannendsten war fast noch die Szene in Minute 77. Drogba hatte einen Freistoß herausgeholt: prima Position, 20 Meter vor dem Tor, halblinke Position. Den Ball schießt jeder Rechtsfuß gerne. Ballack auch. Aber auch Drogba. Sekunden später wurden die Hierarchieverhältnisse beim FC Chelsea nochmal deutlich: Platzhirsch Drogba schoss den Freistoß, trotz Ballackscher Diskussionsversuche. Drogba schoss gut, aber nicht gut genug: Istanbuls Keeper parierte mit Mühe. Ballack blieb nichts als zusehen.

Ballack in Topform

Es dürfte an diesem Abend der einzige Mini-Rückschlag für den Kapitän der deutschen Nationalmannschaft gewesen sein. Ballack ist in blendender Form, das fleischgewordene EM-Versprechen. Nach vier Minuten versenkte der am vergangenen Sonntag gegen Manchester City noch geschonte Ballack eine Flanke des Kollegen Lampard aus sieben Metern per Kopf im Netz - ein echter Ballack. In der Folge wirkte der Deutsche in der Londoner Mittelfeldzentrale derart dominant und präsent, dass jeder neben ihm blass wirken musste - auch der Ex-Platzhirsch Lampard. Mit dem wurde Ballack ja monatelang ein chronisches Miss-Verhältnis nachgesagt - was auf dem Platz nicht sichtbar war und wovon Ballack sagt: »Diese Diskussionen sind überflüssig.« Mittlerweile spricht man bei den Blau gewandeten Mannschaftskameraden gar schon von den »Blues Brothers«. Der Ballack-Bruder erzielte dann auch Treffer Nummer zwei nach brillanter Vorarbeit von Essien.

Und Fener? Fand nicht wirklich statt. Hoffte offensichtlich ebenso wie 4000 mitgereiste Fans auf einen weiteren Sonntagsschuss wie im Hinspiel. Doch die Gefahr für Chelseas Defensive hielt sich in engen Grenzen. Trainer Zicos Ziel, die ersten 20 Minuten ohne Gegentor zu überstehen, war früh gescheitert - weitere Pläne lagen offenbar nicht vor. Dennoch sprach Ballack nachher brav von »schwerer Arbeit«, ist aber was das Halbfinale und das darauffolgende Spiel angeht guter Dinge: »Wir sind mal an der Reihe.«

Fragwürdiger Elfmeterpfiff

Den Gegner kennen sie nur allzu gut. Der FC Liverpool setzte sich nach dem 1:1 im Hinspiel in einem wunderbar heißblütigen 4:2 gegen die ehemaligen Saison-Überflieger von Arsenal London durch. Nach dem 2:1 von »El Nino« Torres gegen den bedenklich hüftsteifen Senderos, wechselte Arsenals Offensivgeist Wenger mit van Persie und Walcott gleich zwei Stürmer ein - was kurz darauf mit einem Tor der besonderen Art belohnt wurde.

In Minute 80 schnappte sich der junge Theo James Walcott am eigenen Strafraum den Ball und rannte los. An vier Gegnern vorbei, vielleicht waren es auch fünf, er rannte einfach so schnell. Am Ende der Raserei hatte er auch noch die Kraft, den Nerv und das Auge den Ball zum Kollegen Adebayor zu passen, der nurmehr einschieben brauchte - 2:2, nun wäre Arsenal weiter. Eine Minute später steht alles wieder Kopf. Fragwürdiger Elfmeterpfiff nach einem mittelschweren Rempler gegen den für Crouch eingewechselten Babel. Gerrard trifft ungerührt - 3:2, Liverpool weiter. Doch damit nicht genug: Bei einem letzten Konter schüttelt der flinke Babel, der schon als 17-Jähriger mit Ajax Amsterdam Champions League spielte, seinen Verfolger Fabregas mit Körper und viel Willen ab wie eine nervige Fliege und schießt zum 4:2-Endstand ein - und beschert seinem in der Meisterschaft recht abgeschlagenen Klub ein recht ordentliches Programm zum Saisonschluss: Am Sonntag geht es in der Liga gegen Blackburn, kurz darauf im Europapokal gegen die Londoner aus Chelsea.

Die hat man mit Begeisterungsfußball a la Liverpool immerhin schon zwei Mal im Halbfinale rausgeworfen. Chelsea-Coach Avram Grant wird anderes im Kopf haben.

Thomas Becker

11Freunde-Online



Ich kann für mich ausschließen, dass ich weglaufe.

— Florian Kohfeldt, Trainer Werder Bremen, nach der siebten Niederlage in Folge.