Nach der insgesamt enttäuschenden letzten Spielzeit hatten den Hamburger SV nur wenige als ernsthaften Kandidaten für die Meisterschaft auf dem Zettel. Aber Coach Stevens nutzte die Vorbereitung, um aus dem gut bestückten Kader eine bestens funktionierende Einheit zu formen. Dank einer sicheren Defensive und brandgefährlichen Offensivakteuren fuhren die Norddeutschen neun Siege ein und schlossen die Hinrunde als Tabellendritter ab. Dies ist der zweite Teil einer Bundesligahalbzeitbilanz, die wir in unregelmäßigen Abständen bis zum Rückrundenbeginn fortsetzen werden
Als Huub Stevens in der Winterpause der vergangenen Saison Thomas Doll als Cheftrainer ablöste, stand der HSV auf dem 17. Platz, hatte 13 Zähler und nur einen einzigen Sieg auf dem Konto. Der Niederländer impfte seinen neuen Schützlingen Selbstvertrauen und vor allem seine altbekannte Weisung ein, auf Dauer nur mit einer sattelfesten Hintermannschaft erfolgreich sein zu können. Außerdem wurden mit Frank Rost ein routinierter Keeper sowie ein treffsicherer Stürmer namens Ivica Olic unter Vertrag genommen. So landeten die Hanseaten in der Rückserie neun Dreier und kletterten schließlich auf Rang sieben – Stevens hatte den drohenden Abstieg souverän umschifft und neue Hoffnungen in der nach einem Titel lechzenden Metropole geweckt. Nun galt es für die Vereinsoberen um Vorstandschef Bernd Hoffmann, den hochwertigen Kader für die neue Spielzeit punktuell zu verstärken, was mit den Verpflichtungen von Jerome Boateng, Romeo Castelen und Mohamed Zidan auch einigermaßen gut gelang. Unmittelbar nach dem ersten Saisonspiel gegen Hannover (1:0) flatterte den Hamburgern dann allerdings Ärger ins Haus. Nach einem verlockenden Angebot des FC Valencia besaß Rafael van der Vaart die Unverschämtheit, sich mit dem Trikot der Spanier ablichten zu lassen, um seinen vorzeitigen Wechsel zu forcieren. Die Verantwortlichen beharrten jedoch auf dem Verbleib ihres besten Mannes, der sich daraufhin mit der Situation arrangierte und auf dem Spielfeld – wie es seine Pflicht ist – alles für den Arbeitgeber gab. Van der Vaart, der sich nun aller Voraussicht nach im Sommer verabschieden wird, etablierte sich endgültig in der Riege der Topspieler der Liga und avancierte mit neun Toren zum treffsichersten Schützen der Hamburger. Aus der starken Mannschaft ragte aber auch noch ein anderer Akteur heraus: Der kroatische Nationalspieler Ivica Olic mauserte sich zum be-ständigsten aller HSV-Angreifer und brachte die gegnerischen Netze sieben Mal zum Zappeln. Wie wertvoll Olic und van der Vaart für die Nordlichter sind, verdeutlicht die Tatsache, dass sie für 16 der insgesamt 24 erzielten Treffer verantwortlich waren.
Wesentlich beeindruckender als die im Ligavergleich nur durchschnittliche Torausbeute ist die Defensivleistung der Hamburger. Lediglich 13 Gegentreffer ließ die Abwehr zu und ist damit hinter der des FC Bayern die zweitsicherste im deutschen Profifußball. Und auch auf internationalem Parkett stellte die Verteidigung ihre Klasse unter Beweis. Im UEFA-Cup stand in drei der vier Gruppenspiele hinten die von Stevens stets geforderte Null. Einzig beim 1:1 in der abschließenden Partie gegen Basel, als die Qualifikation für die Zwischenrunde bereits in trockenen Tüchern war, musste Frank Rost die Kugel aus den Maschen holen. Trotz der Punkteteilung beendete das Gründungsmitglied der Bundesliga die Gruppenphase mit zehn Punkten souverän als Tabellenerster. Nun kommt es zum Duell mit einem weiteren Team aus der Schweiz – dem FC Zürich. Im Achtelfinale des DFB-Pokals, das die Hamburger durch Siege gegen Holstein Kiel (5:0) und den SC Freiburg (3:1) erreichten, trifft man auf den Regionalligisten Rot-Weiss Essen. In allen drei Wettbewerben stehen die Chancen für die Hanseaten also alles andere als schlecht. Einen Wehrmutstropfen hielt das Jahr bei aller Euphorie aber dann doch bereit: Im November kündigte Huub Stevens seinen Abschied zum Saisonende an, um in seiner Heimat beim Meister PSV Eindhoven und damit in der Nähe seiner kranken Frau arbeiten zu können („Es war eine schwierige Entscheidung, die ich gemeinsam mit der Familie getroffen habe“). Dass sich die Mannschaft von dieser Nachricht nicht aus der Ruhe bringen ließ und bis zur Winterpause weiterhin ansprechende Leistungen zeigte, spricht dafür, dass auch in der Rückrunde mit dem HSV zu rechnen ist.
Christian Brackhagen
Vertrauen Sie mir, wir werden besser!
— Declan Rice nach dem Nations-League-Abstieg von England ohne Tor aus dem laufenden Spiel heraus.