Öffentliche Person Kahn

von Günther Jakobsen13:40 Uhr | 05.03.2004

Aufsehen erregender Fußball ist bei den Bayern in dieser Saison eher die Ausnahme; das Medieninteresse am Münchener Spitzenklub wird davon jedoch kaum tangiert - dann werden eben die Personality-Stories hoch gejazzt. Dafür eignet sich allerdings nicht jeder Spieler. Auch mangels anderer, öffentlichkeitswirksamer Bayernakteure - Scholl ging ins mediale Exil, Elber nach Lyon; andere sind zu brav (Ballack) oder mundfaul (Lizarazu, Linke) - konzentriert sich somit weitgehend alles auf den einzig Flagge zeigenden Exzentriker im Team: Oliver Kahn.

Augenzwinkernde Betrachtungen
Die Berichterstattung macht in Zeiten des Promi-Präsentierungswahns längst nicht mehr an der Gartenpforte häuslicher Intimität der Protagonisten halt. Deshalb rückte neben „Titan“ Kahns Hechterei auf dem grünen Rasen auch seine Discopräsenz in den öffentlichen Fokus. Die Folge: Offizielle (sportliche) und inoffizielle (private) Themen wurden vermischt, wie in der geschmeidigen Stellungnahme von Kahn-Freund und -Förderer Sepp Maier zu Leistungsdefiziten seines Schützlings („Die Zentimeter, die ihm jetzt bei manchen Toren fehlen, braucht er zurzeit woanders“) ausgedrückt. In die gleiche Kerbe humorvoller Betrachtung Kahn´schen Schaffens zielte auch Bayern-Trainer Ottmar Hitzfelds Bewertung: „Wenn alle Spieler so engagiert wären wie Oliver Kahn, wäre das gefährlich für die Mannschaft“.

Keine Flucht
Übers Ziel hinaus geschossen wirkt dagegen die Empfehlung Toni Schumachers - nach Kahns Kullerball-Fehler gegen Real Madrid (Roberto Carlos-Freistoß) - sein Heil im Ausland zu suchen. Man stelle sich vor, es würde in Kreisen prominenter Kicker Schule machen, nach drei, vier Patzern plus einem gewissen Quantum an öffentlicher Kritik einen Grenzübertritt anzustreben - es wäre der Beginn einer neuen Völkerwanderung. Zurecht die Absage des Bayern-Keepers zu diesem Vorschlag. Berechtigt aber auch der Einwand eines anderen Ex-Nationaltorwarts: „Kahn muss es sich eingedenk der bisherigen Saison gefallen lassen, dass sein Status hinterfragt wird“, so Andy Köpke.

Konkurrenz holte auf
Und hier setzt die rationale Auseinandersetzung mit der Leistung der deutschen Nummer Eins ein. Anders, als sich zuletzt Kahn-Konkurrent Jens Lehmann mit einem Seitenhieb auf Kahns Privatleben „Ich habe keine 24-jährige Freundin“ vergriff. Und auch anders, als die spanische Postille „Sport“, die reißerisch „Mit einem Fehlgriff zerstörte er sein ganzes Prestige“ den Nimbus Kahns in einem Augenblick weggewischt sah. Sein Madrider Torwart-Kontrahent Iker Casillas rückte diesen Unfug wieder gerade: „Ein Fehler löscht nicht alles aus, was er geleistet hat“. Großtaten der Vergangenheit können nicht in Frage gestellt werden und rechtfertigen auch nach wie vor das Vertrauen von Rudi Völler, in dessen DFB-Auswahl Kahn fast immer überzeugt hat. Aber die bisherige Saison hat gezeigt, dass Kahn sich sportlich nicht mehr von anderen Keepern (Hildebrand, Rost, Lehmann) absetzen konnte. Im Bayerntor ist er konkurrenzlos, für den Job im DFB-Dress stehen Alternativen bereit, denen ebenfalls Vertrauen entgegen zu bringen ist.

André Schulin



Ich kann nicht jeden, der nicht spielt, nuckeln und ihn schaukeln.

— Reiner Calmund über Stürmer Erik Meijer, der einen Stammplatz forderte